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INTERNATIONAL/278: Chile - Reiches armes Antofagasta, Ungleichheit in Bergbauregion gravierend (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. September 2015

Chile: Reiches armes Antofagasta - Ungleichheit in Bergbauregion gravierend

von Marianela Jarroud

Bild: © Marianela Jarroud/IPS

In der nordchilenischen Bergbaustadt Calama leben Reich und Arm in nächster Nähe
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CALAMA, CHILE (IPS) - Die Bewohner der nordchilenischen Bergbauregion Antofagasta verfügen über das landesweit höchste Pro-Kopf-Einkommen. Dennoch leben 4.000 Familien in Slums.

Wie Jaime Meza, ein Einwohner der Stadt Calama, berichtet, ist das Gefälle zwischen Arm und Reich immens. "Die Bergleute verdienen eine Menge Geld und bauen sich prächtige Häuser. Doch gleich um die Ecke vegetieren die Armen in Baracken."

In dem Gemeindebezirk Calama, in dem sich die gleichnamige Stadt befindet, werden zurzeit 37 Minen ausgebeutet. Hier findet sich auch die weltgrößte Übertage-Kupfermine Chuquicamata.

Die Region Antofagasta weist einer Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das weltweit höchste Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt und das höchste Wirtschaftswachstum des südamerikanischen Landes auf.

Nach offiziellen Zahlen verdienen in dieser Region 625.000 Menschen ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen in Höhe von jährlich 37.205 US-Dollar. Das entspricht dem Achtfachen dessen, was die Menschen in der südlichen Region Araukanien verdienen: 4.500 Dollar pro Kopf und Jahr. Landesweit liegen die Durchschnittseinkommen der 17,6 Millionen Chilenen bei 23.165 Dollar pro Kopf und Jahr.

Allerdings ist Antofagasta vor Armut und Elend nicht gefeit. 45.000 Menschen leben in Armut, 4.000 von ihnen in extremer Armut. Die 42 Slums sind die Heimat von 4.000 Familien. Das als 'Hauptstadt des chilenischen Bergbaus' bekannte Calama wird häufig auch als 'Oase in der Atacama-Wüste' bezeichnet. Es liegt 2.250 Meter über dem Meeresspiegel und ist rund 240 Kilometer von der regionalen Hauptstadt Antofagasta und 1.380 Kilometer von Santiago entfernt.


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Calama wird oft als Oase der Atacama-Wüste, dem trockensten Ort der Welt, bezeichnet
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Im 15.600 Quadratkilometer großen Gemeindebezirk Calama befinden sich vier der acht Minen, die von dem staatlichen Kupferunternehmen CODELCO ausgebeutet werden. CODELCO ist der weltgrößte Kupferkonzern.


Angelockt von der Hoffnung auf schnelles Geld

Das Gros der 57.000 Zuwanderer der Region, die an Argentinien und Bolivien anstößt und nicht weit von Peru entfernt liegt, hat sich in Calama niedergelassen. Angelockt von den Verdienstmöglichkeiten haben sie die Bevölkerung Calamas von ursprünglich 150.000 auf mehr als 200.000 Menschen anschwellen lassen.

"Das ist definitiv eine multikulturelle Stadt", bestätigt Rodrigo Meza vom Dr. Carlos Cisternas-Krankenhaus in Calama. "40 Prozent der Frauen, die hier gebären, sind Zuwanderinnen", bestätigt er. Die Migrantinnen und Migranten stammen aus Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru.

Die ausländischen Frauen arbeiten vorwiegend als Haushaltshilfen, die Männer in Bau- oder Bergbausektor. Viele der Zuwanderinnen verdienen sich ihr Geld durch Prostitution - eine in Bergbauregionen stark nachgefragte Dienstleistung. In der Zwischenzeit schießen die Gewinne des örtlichen Kasinos um jährlich zehn Prozent in die Höhe, und das Einkaufszentrum verzeichnet alljährlich zehn Millionen Besucher.

"Selbst ein Bergmann mit wenig Erfahrung bringt es monatlich auf fast eine Million Peso (rund 1.500 US-Dollar)", berichtet Jaime Meza, der für ein Unternehmen tätig ist, das Bergbauunternehmen in Fragen der sozialen Verantwortlichkeit berät.

Doch das Leben in der Stadt ist teuer. Ein ein Kilogramm schwerer Laib Brot, ein chilenisches Grundnahrungsmittel, kostetet über zwei Dollar, und für ein Haus muss eine Familie der Mittelschicht 150.000 Dollar aufbringen. "Doch Geld ist reichlich vorhanden, und die Menschen sind bereit, soviel zu zahlen", bestätigt ein örtlicher Ladenbesitzer.

Dem gegenüber liegt der monatliche Mindestlohn in Chile bei gerade einmal 350 Dollar, und viele Migranten in Calama verdienen sogar nur die Hälfte dieses Betrags, wenn sie keinen Arbeitsvertrag haben und somit nicht sozialversichert sind.

Die Ungleichheit zeigt sich besonders stark, wenn die Bergbauunternehmen ihren Beschäftigten zum Abschluss der Tarifverhandlungen Sonderboni in Höhe von tausenden US-Dollar auszahlen. Die Landbesitzer werben angesichts des zu erwartenden Geldregens mit Sonderangeboten.

"Die Einkommensunterschiede in dieser Stadt sind gewaltig. Jeden Freitag ziehen sich die Bergleute Geld, um es dann für Frauen und Alkohol auszugeben", bestätigt der Taxifahrer Francisco Muñoz. Allerdings hat sich die Lage in der Stadt seit sieben Jahren deutlich verschlechtert. Damals habe CODELCO beschlossen, die 15 Kilometer von der Stadt Calama entfernte Bergbausiedlung Chuquicamata in die Stadt zu verlegen.


Steigende Immobilienpreise

Die Bergleute zogen direkt in für sie gebauten Häuser im reichen Osten und im armen Westen und Norden der Stadt um. "Die Bergleute haben die Häuser zu einem günstigen Preis bekommen, und CODELCO half mit Sonderzahlungen aus. Doch inzwischen verkaufen sie die Häuser zu exorbitant hohen Preisen. Sich eine Wohnung in Calama zu kaufen, ist kaum noch vorstellbar. Ein Normalbürger kann sich höchstens einen vom Staat subventionierten Wohnraum leisten, nicht aber die Häuser, die diese Leute verkaufen", fügt Meza hinzu.

Die Ungleichheit im mineralienreichen Calama führte 2009 zu einer Protestwelle, die immer wieder überschwappt. Gefordert wird eine Beteiligung des Gemeindebezirks an den Kupfereinnahmen in Höhe von fünf Prozent. Allein im letzten Jahr produzierte Chile 5,7 Millionen Tonnen Kupfer. Das entsprach 31,2 Prozent des globalen Outputs.

Die Proteste unter dem Motto 'Was wäre Chile ohne Calama?' richten sich gegen die langjährige Vernachlässigung eines Gemeindebezirks, dem der Staat einen beträchtlichen Teil seines Reichtums verdankt. Die jüngste Demonstration fand am 27. August statt.

Nach Ansicht des Anthropologen Juan Carlos Skewes sind die Proteste nachvollziehbar. Solange die Regierung nicht auf die Forderungen der Region eingehe, würden sie weitergehen. (Ende/IPS/kb/14.09.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/09/la-region-minera-de-antofagasta-un-espejo-de-desigualdad-chilena/
http://www.ipsnews.net/2015/09/antofagasta-mining-region-reflects-chiles-inequality/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2015

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