Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → WIRTSCHAFT


INTERNATIONAL/296: Handelsabkommen - Gefahr im Kleingedruckten (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

Gefahr im Kleingedruckten
Wie Handelsabkommen genutzt werden, um Vorkehrungen zum Schutz des öffentlichen Interesses zu untergraben

von Melinda St. Louis und Jessa Boehner
aus dem Englischen von Nadja Wieler


Die Reihe der jüngsten Fälle, welche die US-amerikanische Regierung vor der Welthandelsorganisation (WTO) verloren hat, zeigen, dass die Sorgen von KritikerInnen wohlbegründet sind. Diese fürchten, dass Handelsabkommen öffentliche Schutzvorkehrungen untergraben würden. Von Angriffen auf die Herkunftslandsbezeichnung bei Fleischprodukten bis zu Anti-Raucher-Kampagnen für Jugendliche, diese Fälle zeigen die Gefahren der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) auf: Die Abkommen würden Möglichkeiten, die es erlauben innerstattliche Schutzmaßnahmen anzufechten, dramatisch ausweiten.

In der aktuellen Debatte um TTIP und TPP erklären die USA und die Europäische Kommission, dass ExpertInnen, AktivistInnen und KritikerInnen, die fürchten, dass Handelsabkommen öffentliche Schutzvorkehrungen untergraben könnten, falsch informiert sind. Im Zuge seiner Ansprache zur TTP in der Nike-Zentrale im letzten Jahr, ging der US-amerikanische Präsident Barack Obama so weit zu versichern: "Kritiker warnen davor, dass Teile des Abkommens amerikanische Regulierungen wie die Nahrungsmittelsicherheit, den Arbeitnehmerschutz und sogar die Finanzverordnung untergraben. Sie denken sich das aus, es ist einfach nicht wahr. Kein Handelsabkommen wird uns dazu zwingen, unsere Gesetze zu ändern."

Betrachtet man jedoch eine Reihe an Fällen, welche die USA kürzlich vor der WTO verloren hat, wird deutlich, dass Handelsabkommen nicht nur wichtige Mechanismen zum Schutz des öffentlichen Interesses untergraben können, sondern dies längst tun. Tatsächlich haben vergangene WTO-Beschlüsse zur Rücknahme von Richtlinien geführt, wie beispielsweise einer Gesetzesverordnung zur Sauberkeit von Benzin (Clean Air Act), Bestimmungen in Bezug auf Shrimp-Fangtechniken, durch die Meeresschildkröten getötet werden (Endangered Species Act), oder Standards zur Kraftstoffeffizienz von Autos. Drei weitere jüngere Fälle im Rahmen der WTO zeigen, dass Kritiker zu Recht überaus beunruhigt sind.


Herkunftslandsangabe bei Fleisch aufgehoben

Nach jahrzehntelangen Anstrengungen von Verbraucheranwälten, führten die USA im Jahr 2008 für den US-Markt verbindliche Herkunftslandskennzeichnungen für Schweine- und Rinderfleisch ein. Diese sollen den VerbraucherInnen über das Land, in dem die Tiere geboren, aufgezogen und geschlachtet werden, informieren. Nach Erlassen der Kennzeichnungspflicht, die von 90 Prozent der AmerikanerInnen unterstützt wurde, legten mexikanische und kanadische FleischerzeugerInnen sowie die verarbeitende Fleischindustrie aus den USA Einspruch gegen die neue Richtlinie ein. Nachdem sie die Kennzeichnungspflicht jedoch nicht auf demokratischem Wege verhindern konnten, wandten sie sich an die WTO, um die Deregulierung alternativ durch bestehende Handelsabkommen zu erreichen. In erster Instanz entschied die WTO im Jahr 2011 zugunsten der kanadischen und mexikanischen Regierungen und gegen das beliebte Kennzeichnungsgesetz. Um VerbraucherInnen weitere Informationen bereitzustellen, änderte die Obama-Administration daraufhin die Kennzeichnungspflicht im Jahr 2013. Dieses Vorgehen sorgte dafür, dass die durch das WTO-Tribunal identifizierten Verletzungen behoben wurden.

Mexiko und Kanada jedoch fochten diese neue Richtlinie an und die WTO sprach sich letzten Mai erneut gegen das US-Gesetz aus. Im Dezember autorisierte die WTO Kanada und Mexiko dazu, Handelssanktionen im Wert von mehr als eine Milliarde USDollar jährlich gegen die USA zu verhängen, solange bis das fehlerhafte Kennzeichnungsgesetz abgeschwächt oder widerrufen würde. Eine Woche später wurde eine Verordnung im Kongress verabschiedet, welche die beliebte VerbraucherInnenkennzeichnung aufheben sollte. Die Verordnung wurde dabei im Rahmen eines zwingend zu verabschiedenden Gesetzesentwurfs durchgewinkt, welcher inhaltlich in keiner Beziehung zu der Verordnung stand. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass Angriffe auf Richtlinien im Rahmen von Handelsabkommen zu einer Gesetzesänderung führen können.


Angriff auf das Delfinschutzzeichen

Nach Handelskonflikten mit Mexiko und anderen Staaten in den Jahren 1991 und 1994 wurde das US-Verkaufsverbot von Thunfisch, der mit für Delfine tödlichen Ringwadennetzen gefangen wurde, im Jahr 1997 abgeschafft. Das Verbot wurde erlassen, nachdem 6 Millionen Delfine durch die Netze getötet worden waren. Daraufhin wurde das Verbot durch ein freiwilliges Kennzeichnungsprogramm für Thunfisch ersetzt. Das Delfinschutzzeichen erlaubt es VerbraucherInnen, eine informierte Entscheidung zu treffen und Thunfisch zu kaufen, bei dessen Fang keine Delfine getötet wurden. Das Zeichen hat zu einer Senkung des Delfinsterbens um 97 Prozent in den letzten 25 Jahren beigetragen.

Jedoch stand das Schutzzeichen bereits wiederholt in der Schusslinie der WTO. So leitete Mexiko im Jahr 2008 dagegen ein Verfahren ein. Die WTO entschied 4 Mal in 4 Jahren - im Jahr 2011 und 2012 und zweimal im Jahr 2015 - zu Ungunsten der Kennzeichnung und bezeichnete sie als ein "technisches Hindernis für den Handel". Die WTO entschied, dass das Schutzzeichen gegen WTO-Regeln verstoße, obwohl es die Tierwelt schützt, freiwillig ist und gleichermaßen in- und ausländische Firmen betrifft. Der USA wurden keine Möglichkeit gegeben, Widerrufung einzulegen. Vielmehr bedeutete die Entscheidung, dass bei weiterer Nutzung des Delfinschutzzeichens durch die WTO autorisierte Handelssanktionen gegen die USA verhängt werden können.


Anti-RaucherInnen-Gesetz im Visier

Auch ein US-Gesetz zur Senkung der Raucherrate unter Jugendlichen verurteilte die WTO als regelwidrig. Das Gesetz verbietet den Verkauf von Zigaretten mit Aromen wie Schokolade oder Erdbeere und anderen süßen Geschmacksrichtungen, die nur durch US-Firmen vertrieben werden. Darüber hinaus verbietet das Gesetz den Verkauf von Zigaretten mit Nelken-Geschmack, die durch amerikanische und ausländische Tabakfirmen vermarktet werden. Obwohl GesundheitsexpertInnen zu dem Ergebnis gekommen sind, dass dieses an eine sehr kleine Zielgruppe gerichtete Verbot hilft, das Rauchen zu unterbinden, hat Indonesien das Gesetz vor der WTO angefochten. Die WTO entschied im April 2012 abschließend, dass die USA die Vermarktung von Zigaretten mit süßen Geschmacksrichtungen nur verbieten könne, wenn von dem Verbot alle aromatisierten Zigaretten eingeschlossen würden, sprich auch Menthol-Zigaretten, welche vorzugsweise von Erwachsenen geraucht werden. US-VerbraucherInnen- und Gesundheitsorganisationen waren empört über diesen Beschluss, welcher effektiv ein Verbot bereits kleinerer politischer Maßnahmen bedeutete, die darauf abzielen, bestimmte Bevölkerungsgruppen, in diesem Fall Kinder, vom Rauchen abzuhalten.

Die Entscheidung bedeutete, dass Indonesien berechtigt wurde, gegen die USA vorzugehen. Letzten Endes einigten sich Indonesien und die USA bevor die WTO Sanktionen anordnete. Der Fall zeigt jedoch deutlich, wie Handelspolitik dazu genutzt werden kann, und auch genutzt wird, um das Gesundheitswesen anzugreifen.


Erweiterung extremer Investorenrechte

Während diese WTO-Fälle die Gefahr von Streitschlichtungen zwischen Staaten im Rahmen des internationalen Handelsregimes aufzeigen, ist die Ausweitung der Verfahren zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Investoren und einem Staat (Investor-state dispute settlement, ISDS), welche in bilateralen und regionalen Handels- und Investitionsverträgen enthalten sind, eine noch größere Gefahr für eine demokratische Politik und das öffentliche Interesse. ISDS befähigt individuelle ausländische Unternehmen, inländische Gerichte zu umgehen und Politiken und Maßnahmen einer souveränen Regierung direkt vor einem privaten und außergerichtlichen Tribunal anzufechten.

Bestehend aus 3 privaten AnwältInnen sind die außergerichtlichen Tribunale dazu berechtigt, unbegrenzte Summen von Steuergeldern als Kompensationszahlungen anzuordnen, wenn gesundheitspolitische, umweltpolitische und andere Maßnahmen, die dem öffentlichen Interesse dienen, als behindernd für die Gewinnaussichten von Unternehmen angesehen werden. Der Betrag richtet sich nach den "zu erwartenden zukünftigen Gewinnen" von denen das Tribunal annimmt, dass ein Unternehmen diese eingenommen hätte, würde es die öffentlichen Maßnahmen und Richtlinien, welche es attackiert, nicht geben.

Alleine im Rahmen von US-Handelsabkommen haben ISDS-Fälle SteuerzahlerInnen dazu gezwungen, über 440 Millionen US-Dollar an Unternehmen zu zahlen. Dabei handelte es sich um Fälle wie Verbote von giftigen Stoffen, Regelungen zur Landnutzung, behördliche Genehmigungen oder Richtlinien zur Nutzung u. a. von Wasser und Holz. Zudem stehen allein unter US-Handelsabkommen noch mehr als 34 Milliarden US-Dollar an Forderungen aus, darunter gegen Regelungen zu medizinischen Patenten, Umweltschutzauflagen, Gesetze im Klima- und Energiesektor und vielen weiteren Maßnahmen, die dem öffentlichen Interesse dienen.


Angriff gegen die Ablehnung des Keystone XL-Pipeline-Projekts

Die Behauptung von Präsident Obama, die ISDS-Regelungen würden kein Risiko eines Angriffs von Unternehmen auf Umweltrichtlinien darstellen, wurde durch die jüngste Bekanntgabe einer kanadischen Firma, einen ISDS-Fall gegen die USA einzuleiten, weiter diskreditiert.

Lediglich 2 Monate nach einem wegweisenden Sieg für eine sechsjährige Umweltkampagne - der Entscheidung der US-amerikanischen Regierung, das Projekt der Keystone XL-Öl-Sand Pipeline abzulehnen -, reichte das Unternehmen TransCanada mit Berufung auf ISDS-Klauseln aus dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) eine Absichtserklärung ein. In dieser forderte das Unternehmen eine Zahlung von 15 Milliarden US-Dollar durch die amerikanischen SteuerzahlerInnen. Diese Summe beinhaltet die von dem Unternehmen beanspruchten "zu erwartenden Gewinne" des Projekts, das die Obama-Administration, im Zuge ihrer Bemühungen gegen den Klimawandel vorzugehen, abgelehnt hat. Der Fall wird voraussichtlich Jahre dauern, aber er macht deutlich, dass die ausgeprägten Rechte von Investoren, die fest in Handelsabkommen verankert sind, Bemühungen zum Klimaschutz und andere Bereiche des öffentlichen Interesses bedrohen.


Ausbau von TTIP und TPP

Diese aufgeführten Fälle gegen die USA machen das kontroverse Werben der Obama-Administration für TTIP und TPP nur problematischer, da beide Handelsabkommen die Gefahren dieser Art von "Handel" erheblich erhöhen. Beide Abkommen würden das ISDS-System stark ausweiten und Einsprüchen gegen VerbraucherInnen- und Umweltschutz sowie andere politische Maßnahmen in den USA und anderen Staaten Tür und Tor öffnen. Mit TTIP würden mehr als 47.000 amerikanische Firmen dazu ermächtigt, ISDS-Verfahren gegen europäische Richtlinien und Regierungsmaßnahmen einzuleiten. Zudem würde TTIP, mehr als 27.000 europäische Unternehmen dazu befähigen, das ISDS-Verfahren zu nutzen und so die Möglichkeit von ISDS-Verfahren gegen US-Politiken fast vervierfachen.


Melina St. Louis ist Direktorin und Jessa Boehner Mitarbeiterin für internationale Kampagnen bei Global Trade Watch.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 33-34
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang