Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

KONFERENZ/160: 7. WTO-Ministerkonferenz - ohne Ambitionen gescheitert (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 4/2009
Schwerpunkt Welternährung

Ohne Ambitionen gescheitert
Die 7. WTO-Ministerkonferenz in Genf

Von Michael Frein, Peter Fuchs und Tobias Reichert


Die 7. WTO-Ministerkonferenz, die vom 30. November bis 2. Dezember 2009 in Genf stattfand, war genau so, wie man es erwarten konnte: Eine Werbeveranstaltung für den Freihandel. Welches Problem auch angesprochen wurde, ob Klimachaos, Umweltverschmutzung, Hunger, Armut oder Wirtschaftskrise - der WTO zufolge ist die Liberalisierung des Welthandels die richtige Antwort auf all diese (und auf alle anderen) Fragen.


WTO-Generalsekretär Pascal Lamy verdeutlichte dies auf einer Diskussionsveranstaltung unmittelbar vor der Konferenz. Danach hat die WTO in der Wirtschafts- und Finanzkrise gezeigt, dass sie wichtige Beiträge zur Problemlösung leistet. Das multilaterale Handelssystem, so Lamy, sei ein wesentlicher Garant dafür, dass ein Rückfall in den Protektionismus verhindert werde. Und mit Blick auf den Klimaschutz verfüge die WTO bereits heute über die notwendigen Instrumente, um den möglichen Anforderungen gewachsen zu sein, die sich aus den Klimaverhandlungen ergeben könnten. Lediglich beim Verhandlungsprozess sieht Lamy Reformbedarf. Dieser sei defizitär, räumte der WTO-Generaldirektor angesichts des Stillstandes der Doha-Runde ein. Daraus Hoffnungen auf eine wirkliche Demokratisierung der Handelspolitik abzuleiten, wäre indes verfehlt. Vielmehr geht es Lamy um "effektivere" Verhandlungsprozesse mit dem Ergebnis schnellerer und weitergehender Marktöffnung.


Die Doha-Verhandlungen: Schwarzer Peter statt Liberalisierung

Mit dem Eingeständnis defizitärer Verhandlungsprozesse hatte Lamy einen wunden Punkt der WTO getroffen. Die 2001 im arabischen Emirat Katar beschlossene Verhandlungsrunde zur Liberalisierung des Welthandels steckt in einer Sackgasse, der Verhandlungsabschluss liegt in weiter Ferne.

Daran ändern die zahlreichen, auch dieser Tage in Genf wieder gebetsmühlenartig vorgetragenen, Bekenntnisse der WTO-Mitglieder für einen schnellen, erfolgreichen und ambitionierten Abschluss der Doha-Runde nichts, der nun für 2010 anvisiert ist. Diese sind Teil eines globalen "Schwarzer Peter"-Spiels. Niemand will zum Schluss die Verliererkarte in Händen halten und Sündenbock für das endgültige Scheitern der Runde sein. Da ein Scheitern aber zunehmend wahrscheinlicher wird, gilt es, die eigene Bereitschaft zu einem schnellen und erfolgreichen Verhandlungsabschluss möglichst oft möglichst laut kund zu tun - und dazu bot die 7. Ministerkonferenz in Genf eine hervorragende Bühne.


Handel und Klima: Die WTO am Katzentisch

Wie wenig Einfluss die WTO auf die aktuellen Debatten hat, zeigt sich beim Thema "Handel und Klima". Die Frage, ob die Globalisierung und der liberalisierte Welthandel zu den Ursachen des Klimawandels gehören, wurde in Genf gar nicht erst gestellt. Offenbar galt es, eine Diskussion um eine Re-Regionalisierung der Weltwirtschaft und für einen tiefgreifenden sozialen und ökologischen Strukturwandel weltweit zu vermeiden.

Mit Blick auf konkrete Maßnahmen zeigt sich das WTO-System handlungsunfähig: Zum Thema Klimaschutz fiel den Ministern nur ein, die Zölle auf klimaschonende Produkte zu senken. Dabei zeigen seit Jahren immer neue Untersuchungen, dass Handelsschranken praktisch keine Rolle für die Verbreitung erneuerbarer Energien oder energieeffizienter Technologien darstellen. Auch im Rahmen der Doha-Runde wird schon lange über die Liberalisierung des Handels mit "Umweltgütern" verhandelt - bislang ist es nicht einmal gelungen zu klären, wie ein "umweltfreundliches Produkt" definiert werden könnte.

Über die Frage, wie der Handel mit umweltschädlichen Gütern und Dienstleistungen reguliert und begrenzt werden könnte, wird dagegen kaum ernsthaft diskutiert. Eine Grenzausgleichssteuer (Border Adjustment Tax) für besonders klimaschädliche Produkte ist aufgrund des heftigen Widerstandes der Entwicklungsländer in der WTO nicht durchsetzbar. Sie sehen darin einen "Grünen Protektionismus". Die Befürchtung ist nicht ganz aus der Luft gegriffen da gerade die USA als stärkste Befürworter eines solchen Instruments auftreten, obwohl sie im Klimaschutz bislang keine überzeugende Rolle gespielt haben.

Noch etwas kommt hinzu: Die Philosophie des WTO-Systems sieht grundsätzlich vor, dass die unterschiedliche Herstellungsweise einer Ware - etwa mit Blick auf die unterschiedliche Energie- und CO2-Intensität - keine unterschiedliche Behandlung im internationalen Handel rechtfertigt. In der Regel darf also ein klimafreundlich hergestelltes Produkt nicht anders behandelt werden als ein klimaschädlich produziertes. Für die WTO ist die Debatte um die Grenzausgleichssteuer damit gleich ein doppeltes Problem: Sie ist kein geeigneter Ort für ein multilateral vereinbartes Vorgehen in Fragen der Klimagerechtigkeit. Und zugleich wird offen über klimapolitische Maßnahmen diskutiert, die nur schwierig mit ihren Regeln in Einklang zu bringen sind.


Handel und Ernährungssicherung: Die Blockade bleibt

Auf den Weltagrarmärkten gab es in den letzten Jahren dramatische Preisschwankungen. Arme Kleinbauern, die die Mehrheit der Hungernden ausmachen, konnten von den gestiegenen Preisen aber nicht profitieren. Stattdessen stieg die Zahl der Hungernden auf über eine Milliarde an. Die Regierungen kamen beim Welternährungsgipfel im November zum Schluss, dass internationale und nationale Politik darauf ausgerichtet werden müssen, die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu stärken und dafür die Rahmenbedingungen zu verbessern. In Genf wurde über die Rolle, die die WTO im Komitee für Welternährungssicherheit spielen soll, nicht einmal diskutiert, obwohl dieses Komitee alle internationalen Organisationen zur Hungerbekämpfung koordinieren soll. Auch zu den in der Doha-Runde seit langem heftig umstrittenen Schutz- und Unterstützungsmechanismen war nichts Neues zu hören: Die USA und andere große Agrarexporteure lehnen sie weiter ab.


Handel und Finanzkrise: Der Teufel und der Beelzebub

Auch beim Thema Handel und Finanzkrise agiert die WTO - inklusive ihrer Mitgliedstaaten und Befürworter - weitaus weniger hilfreich, als ihr Generaldirektor glauben machen will. Während im Rahmen der G20 über die Regulierung der Finanzmärkte gestritten wird, fährt die WTO mit ihrem Liberalisierungskurs bei den Verhandlungen zum Dienstleistungsabkommen (GATS) auch bei Finanzdienstleistungen unbeirrt fort. Das Argument des WTO-Generalsekretärs in Genf, unterstützt von der EU-Kommission sowie der Bundesregierung lautet: "We are in the business of market opening, not in the business of deregulation."

Folgt man dieser Position, so beschließen die G20 Regulierungen für die Finanzmärkte, während die WTO nur für die Gleichbehandlung von In- und Ausländern in allen Märkten sorgt. Tatsächlich bedeutet Marktöffnung von Finanzdienstleistungen im Rahmen der WTO jedoch auch den Verzicht auf staatliche Auflagen und Regulierungen, die potenziell oder real 'diskriminierend' wirken können. Diese jeweilige Selbstverpflichtung zum Verzicht auf bestimmte Regulierungen der WTO/GATS-Mitglieder kann sehr wohl in Konflikt geraten mit der Regulierung von Banken und Finanzgeschäften, etwa beim Verbot neuer spekulativer Finanzinstrumente oder bei Maßnahmen zur Kapitalverkehrskontrolle.

Also lässt sich festhalten: Die WTO trägt wenig Konkretes zur Bewältigung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise bei. Im Gegenteil: Ihre Grundprinzipien, Verträge und Politiken sowie insbesondere die Verhandlungen zur Liberalisierung der Finanzdienstleistungen bergen die Gefahr, weiteres Öl ins Feuer des Finanzmarktkapitalismus zu gießen und somit genau das zu konterkarieren, worum auf anderen Ebenen der Politik gerade zur Regulierung der Finanzmärkte gerungen wird.


Protektionismus versus Freihandel: Falsche Alternativen

Dies verweist auf ein anderes Problem. Die in Genf vorherrschende Diskussion um den erfolgreichen Kampf gegen den drohenden Protektionismus und die Verteidigung des freien Welthandels führt am eigentlichen Problem vorbei. Die tatsächliche Herausforderung besteht darin, wirtschaftliche Strategien zu entwickeln, die nicht einseitig auf Liberalisierung und Wettbewerbsfähigkeit, sondern auf Umweltschutz sowie globale soziale Gerechtigkeit hinarbeiten.

Hierzu gehört auch die Stärkung der Interessen von abhängig Beschäftigten weltweit und ihrer kollektiven Vertretungen, der Gewerkschaften. Im Kern geht es um das ILO-Konzept zu "Decent Work" (Gute oder Menschenwürdige Arbeit). Gerade in vielen Entwicklungsländern, aber auch in Industrieländern, hat die ökonomische Liberalisierung der vergangenen Jahre zu einem erheblichen Verlust von Arbeitsplätzen oder zu verschlechterten und prekären Lohn- und Arbeitsbedingungen geführt. Davon betroffen sind vor allem die Armen. Dieser Befund wird inzwischen sogar auch in Studien der WTO sowie durch entsprechende Untersuchungen der EU nicht geleugnet.


Bilaterale Handelspolitik: Totengräber des Multilateralismus?

Der Bedeutungsverlust der WTO zeigt sich nicht nur darin, dass sie strukturell keine adäquaten Antworten auf die drängenden globalen Problemlagen bietet. Auch die zunehmende Zahl bilateraler Handelsprozesse stellt eine Herausforderung dar. Dies ist allerdings gerade auch aus einer kritischen entwicklungspolitischen Sicht keine gute Nachricht. Vielmehr zielen die wettbewerbsstarken Industrieländer mit ihrer bilateralen Freihandelspolitik auf weitere Liberalisierung und Marktöffnung. Sie beabsichtigen damit dezidiert, über WTO-Verpflichtungen hinaus zu gehen. Mit anderen Worten: Die Liberalisierungsschritte, die auf multilateraler Ebene vor allem wegen des Widerstandes der Entwicklungsländer nicht vereinbart werden können, sollen nun auf bilateraler Ebene verankert werden. Die Europäische Union hat dazu die "Global Europe"-Strategie entwickelt, die explizit auf WTO-plus-Verpflichtungen abzielt. Damit will die EU die Märkte vor allem der Schwellenländer öffnen, um die kaufkräftige Nachfrage dort für europäische Exportinteressen zu erschließen. "Global Europe" macht deutlich, dass der Kern des Problems weniger in der WTO als Organisation zu suchen ist, sondern vielmehr in einer Liberalisierungspolitik, die allen Ebenen der globalen Handelspolitik zugrunde liegt.


Fazit

Niemand war mit großen Ambitionen nach Genf gereist. Das Ziel der 7. WTO-Ministerkonferenz war bescheiden. Es ging darum, die Bedeutung der Organisation angesichts der globalen Krisen und im Vorfeld der Weltklimakonferenz von Kopenhagen hervorzuheben. Nimmt man dies als Maßstab, so ist nach Seattle 1999 und Cancún 2003 eine weitere WTO-Ministerkonferenz gescheitert.

Es ist der WTO in Genf nicht gelungen, deutlich zu machen, dass sie wirklich einen Beitrag zur Lösung der drängendsten Probleme der Menschheit leisten kann und will. Vielmehr wurde einmal mehr offensichtlich, dass das Mantra der Liberalisierung vor allem einem dient: der Öffnung der Märkte im Interesse der Global Player.

Michael Frein ist Referent für Handel und Umwelt beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) und Sprecher des Leitungskreises des Forums Umwelt und Entwicklung; Peter Fuchs arbeitet bei WEED u.a. zu den Themen WTO und Internationale Handels- u. Investitionspolitik; Tobias Reichert ist Referent für Welthandel und Ernährung bei Germanwatch.


*


Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2009, S. 34-35
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Koblenzer Str. 65, 53173 Bonn
Telefon: 0228/35 97 04, Fax: 0228/923 993 56
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2010