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REDE/449: Rainer Brüderle zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag, 16.09.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle, zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 16. September 2010 in Berlin


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Der Aufschwung hat Flügel bekommen. Das letzte Quartal war das wachstumsstärkste seit 20 Jahren. Ganz Deutschland hat die Wirtschafts- und Finanzkrise schneller verdaut als erwartet. Es gibt zwar noch Risiken, aber wir haben die Kurve bekommen.

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognose für Deutschland in den letzten Wochen flächendeckend erhöht. Zwar wird sich die Dynamik im Herbst etwas normalisieren, doch das Bruttoinlandsprodukt könnte aufs Jahr gerechnet um deutlich mehr als 2,5 Prozent wachsen. Das ist mehr als doppelt so viel, wie wir Anfang des Jahres prognostiziert haben.

Ich habe die Berufspessimisten noch im Ohr. Doch mit Nörgelei kommen wir nicht weiter. Deutschland braucht Zuversicht und Optimismus. Die Zuversicht ist auch berechtigt. Deutschland ist wirtschaftlich wieder die Nummer eins in Europa. Die grün-rote Laterne aus Massenarbeitslosigkeit und jahrelanger Stagnation haben wir längst abgegeben.

Unser Aufschwung ist ein Beschäftigungsaufschwung. Seit Jahresmitte 2009 hat die Beschäftigung zugenommen. Die Arbeitslosigkeit geht stetig zurück. In Bayern und Baden-Württemberg haben wir quasi Vollbeschäftigung: eine Vier vor dem Komma. Ein Rückgang der Arbeitslosenzahl auf unter drei Millionen im Herbst dieses Jahres ist erreichbar. Das ist enorm wichtig für die wirtschaftliche Psychologie und die Stimmung.

Das deutsche Jobwunder, wie es im Ausland genannt wurde, löst Hunderttausende persönliche Konjunkturprogramme aus. Das ist besser als jedes staatliche Konjunkturprogramm Nummer drei, vier, fünf oder sechs.

Wir müssen sogar aufpassen, dass wir nicht schon bald ein großes Fachkräfteproblem bekommen. Deshalb brauchen wir in Deutschland auch Fachkräfte aus dem Ausland. Kollege de Maizière hat von der Willkommenskultur gesprochen. Er hat recht. Wir sollten den besten Talenten der Welt den roten Teppich ausrollen.

Wir brauchen ein Umsteuern von unkontrollierter Zuwanderung in die Sozialsysteme hin zur Zuwanderungssteuerung zum Erhalt unserer Sozialsysteme.

Die sehr positive Wirtschaftsentwicklung kommt nicht von ungefähr. Die deutschen Unternehmen haben sich seit Jahren gut aufgestellt. Sie haben sich auf den wachsenden Weltmärkten hervorragend positioniert. Der Aufschwung ist exportgetrieben. Die entscheidenden Impulse kamen aus dem Export. Die Unternehmen haben in der Krise alles darangesetzt, ihre Mitarbeiter zu halten. Bei den ersten Anzeichen der Belebung konnten sie voll durchstarten. Oft haben betriebliche Bündnisse mit den Betriebsräten vor Ort das ermöglicht. Auch wenn jetzt die Lohnfindung im Aufschwung ansteht, muss das einzelbetrieblich bewertet werden. Manche Betriebe verdienen so gut, dass mehr drin ist. Bei anderen heißt es: mehr Maßhalten, damit sie ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht verlieren.

Der Aufschwung zeitigt auch Entlastungen für Bürger und Unternehmen: Circa zehn Milliarden Euro Einkommensteuerentlastung hatte das Bundesverfassungsgericht uns verordnet. Sechs Milliarden Euro Entlastungen der alten Regierung haben wir beibehalten, und acht Milliarden Euro haben wir noch draufgelegt, und zwar genau an den Stellen, wo Bürger, Mittelstand und Wirtschaft gestärkt werden. 24 Milliarden Euro steuerliche Entlastung! Das nenne ich Wachstumsbeschleunigung. So stärkt man die Binnennachfrage und nicht durch Forderungen nach Steuererhöhungen oder die Wiederbelebung der klassenkämpferischen Vermögensteuer. Das alles sind letztlich Vorschläge, die Wachstum und Dynamik in Deutschland abwürgen. Über 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind Personengesellschaften. Für sie ist die Einkommensteuer Unternehmensteuer. Diesen Gesellschaften will die SPD 50, 60 Prozent des Gewinns wegsteuern. Ein Unternehmen, das keinen Gewinn hat, kann nicht investieren. Wer nicht investieren kann, kann keine Jobs, keine Arbeitsplätze schaffen. Diese wirtschaftspolitische Binsenweisheit kennen in der aktiven Sozialdemokratie offenbar nur noch wenige. Einem Klaus von Dohnanyi sind solche Dinge noch geläufig.

Ökonomisch sinnvolle Politik sieht anders aus. Ökonomisch sinnvolle Politik setzt auf Vorfahrt für die soziale Marktwirtschaft und ein großes Stoppschild für staatliche Eingriffe; darum geht es dieser Regierung. Wir haben entschieden, dass die Krisenmaßnahmen jetzt sukzessive auslaufen. Das fängt in der Realwirtschaft mit dem Deutschlandfonds an, und das wird sich auch in der Finanzwirtschaft - bis hin zur Commerzbank - fortsetzen. Auch beim Bundeshaushalt schalten wir vom Krisenmodus auf Wachstummodus um. Vernünftige Prioritäten setzen heißt, alle zu fordern, aber niemanden zu überfordern. Das verstehe ich unter intelligentem Sparen.

Wir bauen den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums strukturell um, weg von überholten Subventionen, hin zu Innovation und Investition. Wir straffen die Regionalhilfen. Die Steinkohlebeihilfen werden deutlich um zehn Prozent zurückgefahren. In diesem Thema ist derzeit viel Bewegung. Wie auch immer die abschließende Haltung der Europäischen Kommission sein wird, eines ist klar: Es geht um einen Auslaufbergbau in Deutschland. Überraschend finde ich die Reaktionen der Grünen. In Nordrhein-Westfalen kämpfen sie engagiert für die Fortführung der Kohlesubventionen bis 2018. Hier im Bundestag stellen die Grünen einen Antrag nach dem anderen auf sofortigen Ausstieg aus der subventionierten Kohle. Der tiefere Sinn dieser ökologisch-ökonomischen Dialektik bleibt mir völlig verschlossen. "Hauptsache dagegen" reicht nicht für die größte Volkswirtschaft Europas. Deswegen legt die Bundesregierung das erste umfassende Energiekonzept seit über zehn Jahren vor. Wir vereinen Ökonomie und Ökologie. Wir zeigen den Weg in das regenerative Zeitalter auf. Bezahlbare Energien, technologische Machbarkeit und CO2-Minderung müssen sinnvoll miteinander verzahnt werden. Dafür brauchen wir die Laufzeitverlängerung bei den Kernkraftwerken um durchschnittlich zwölf Jahre.

Unser besonderes Augenmerk gilt dem Mittelstand. Die anwendungsorientierten Programme für kleine und mittlere Unternehmen haben Priorität. Gerade für den Mittelstand ist die erneute hohe Förderung im Außenwirtschaftsbereich notwendig. Ich will, dass alle Programme des Bundeswirtschaftsministeriums zukünftig noch besser auf den Mittelstand zugeschnitten werden. Ich habe deshalb eine Prüfung aller Förderprogramme angeordnet; denn ich bin mir sicher: Mit dem eingesetzten Geld können wir noch mehr erreichen für den Mittelstand und noch mehr Freiheiten für Entscheidungen und für Gestaltung schaffen.

Der jetzige Aufschwung soll keine Eintagsfliege sein. Nein, es geht darum, unser langfristiges Potenzial zu erhöhen. Das ist unser Ziel. Das werden wir auch gemeinsam schaffen: für die Unternehmen, für den Mittelstand, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - kurzum für die Menschen in unserem Land. Lassen Sie uns deshalb bei den Beratungen wie immer gut und zügig zusammenarbeiten. Das hat Deutschland verdient.


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Quelle:
Bulletin Nr. 88-1 vom 16.09.2010
Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle,
zum Haushaltsgesetz 2011 vor dem Deutschen Bundestag am 16. September 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2010