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STEUER/1295: Grundsteuerreform - Bodenwertsteuer sinnvolle Alternative, aber Probleme im Detail (spw)


spw - Ausgabe 3/2018 - Heft 226
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Grundsteuerreform: Bodenwertsteuer sinnvolle Alternative, aber Probleme im Detail

von Stefan Bach und Claus Michelsen(1)


Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Grundsteuer-Urteil im April 2018 den Spuk der uralten Einheitswerte endlich beendet. Bis Ende 2019 muss die Grundsteuer reformiert werden und die neuen Besteuerungsgrundlagen müssen bis spätestens Ende 2024 eingeführt sein. Trotz des engen Zeitplans gibt es bisher keine politischen Aktivitäten, da erst einmal die Landtagswahl in Bayern im Oktober abgewartet werden muss.

Das Urteil war nicht überraschend. Eine laufende Besteuerung von Vermögenswerten ergibt nur Sinn, wenn ihre Werte regelmäßig aktualisiert werden. Das hat beim Grundvermögen nie funktioniert. Das Bewertungsgesetz schreibt zwar seit 1931 vor, alle sechs Jahre neue Einheitswerte festzustellen (sic!). Geklappt hat es seitdem aber nur zweimal: 1935 und 1964. Unter den Nazis, die seinerzeit das Steuersystem für Aufrüstung und Eroberungspolitik konsolidierten und ausbauten, standen fiskalische Gesichtspunkte im Vordergrund - da nahm man es mit der Bewertungsqualität nicht so genau. Beim letzten Mal dauerte es zehn Jahre, bis die neuen Werte erhoben und eingeführt wurden - da waren sie bereits veraltet. Die Bewertungen waren aufwändig und kompliziert, taugten aber trotzdem nicht viel - es gab viele Einsprüche und Proteste. Der Frust bei Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung war beträchtlich.

Nach diesem Debakel ignorierten alle folgenden Regierungen die notwendige Neubewertung und führten die 64er Einheitswerte einfach fort. In den neuen Bundesländern griff man auf die Einheitswerte von 1935 zurück, die mit höheren Steuermesszahlen grob auf die 1964er Wertverhältnisse angepasst wurden. Die Bewertungsstellen der Finanzämter wurden ausgedünnt - und galten mitunter als "Archipel Gulag" für Unbotmäßige.

Das war nicht dramatisch, weil das Grundsteuer-Aufkommen recht niedrig ist. Das durchschnittliche Steueraufkommen je Objekt liegt derzeit bei 410 Euro im Jahr. Bei Wohnungen sind es im Durchschnitt 200 Euro. Da lohnen sich keine aufwändigen Bewertungsverfahren, die man regelmäßig aktualisieren muss. Denn um die maßgeblichen Wertverhältnisse des Einzelfalls zu berücksichtigen - also örtliche Belegenheit und Zuschnitt des Grundstücks sowie Qualität, Ausstattung und Erhaltungszustand des Gebäudes - braucht man professionelle Wertgutachten durch Architekten oder Bauingenieure, die sich die Objekte anschauen. Das kostet für ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung leicht 1500 Euro und mehr, also ein Vielfaches des jährlichen Steueraufkommens, und bei spezielleren Objekten kann es noch deutlich kostspieliger werden. Und selbst dann gilt: Zwei Gutachter, drei Meinungen - die Bewertungsergebnisse können weit auseinander liegen, so das Streit programmiert ist. Dabei ist ein "Dummensteuereffekt" kaum zu vermeiden: Sachkundige oder gut beratene Steuerpflichtige können das Bewertungsergebnis in ihrem Sinne beeinflussen, während Unbedarfte und schlechter Beratene Überbewertungen hinnehmen müssen.

In vielen Ländern betragen die Grundsteuerbelastungen ein Mehrfaches des deutschen Niveaus, vor allem in England, Kanada, den USA und anderen angelsächsischen Ländern, wo man für Eigenheime schnell 2000 Euro und mehr im Jahr zahlen kann. In diesen Ländern werden mit der Grundsteuer häufig auch öffentliche Leistungen wie Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung oder Schulen finanziert. Dagegen zahlen wir in Deutschland allein für Wasser, Abwasser und Abfall häufig mehr als das Doppelte wie für die Grundsteuer.

Die weitaus größere fiskalische Bedeutung in vielen Ländern unterstreicht, dass die Grundsteuer eine wichtige und sinnvolle Steuer für die Kommunen ist. Daher sollte sie unbedingt erhalten werden. Sie könnte künftig eine größere Rolle im Steuersystem und bei der Gemeindebesteuerung spielen. Die neue Bemessungsgrundlage muss die legitimen Interessen der Gemeinden berücksichtigen, aber auch von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert werden. Sie darf nicht die Fehler der bisherigen Regelung wiederholen, bei der mit großem Aufwand wenig sachgerechte Werte ermittelt wurden.

In diesem Spannungsfeld wurde die Grundsteuer-Reform seit Jahrzehnten auf die lange Bank geschoben. Schließlich müssen rund 35 Millionen Grundsteuer-Objekte neu bewertet werden. Seit langem wird über einfachere und pauschalierende Verfahren nachgedacht. Diese haben aber naturgemäß den Nachteil, dass sie weniger einzelfallgerecht sind. So wurden sich die Länder nie über ein pragmatisches Neubewertungskonzept einig.

Einheitsbewertung light oder flächenbezogenes Grundsteuermodell?

Die meisten Länder wollen die Grundstückswerte mit vereinfachten Verfahren verkehrswertnah ermitteln - sozusagen eine aktualisierte Einheitsbewertung light. Das lehnen reiche Bundesländer ab, allen voran Bayern, früher auch Baden-Württemberg und Hessen, inzwischen auch Hamburg. Sie fürchten deutlich steigende Belastungen guter Lagen und höhere Zahlungen im Bund-Länder-Finanzausgleich und präferieren eine einfache Besteuerung von Grundstücks- und Gebäudeflächen ohne Wertkomponente. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sorgt jetzt für den notwendigen Einigungsdruck.

Die meisten Bundesländer haben sich auf das "Kostenwert-Modell" verständigt, bereits seit 2016 gibt es einen entsprechenden Gesetzentwurf. Dabei wird der Bodenwert mit den Bodenrichtwerten angesetzt, die grundsätzlich bundesweit verfügbar sind. Für die Gebäude sollen pauschale Baukosten je Quadratmeter Brutto-Grundfläche angesetzt werden, die grob nach den wesentlichen Gebäudearten differenziert werden. Zusätzlich gibt es eine Alterswertminderung von maximal 70 Prozent.

Das ist zwar schon deutlich einfacher als die recht nervigen und techniklastigen "Sachwertverfahren" der alten Einheitsbewertung oder der Erbschaftsteuer, die ohne Fachleute kaum zu bewältigen sind. Aber auch hier steckt, wie häufig im Leben, der Teufel im Detail. Vor allem müssen die Gebäude-Daten erhoben werden, denn in der Finanzverwaltung oder bei anderen Behörden liegen die erforderlichen Informationen nicht vollständig vor. Das mag für die meisten Fälle nahezu trivial erscheinen, ist aber für die personell ausgedünnten und IT-technisch schlecht aufgestellten Finanzverwaltungen ein Problem angesichts von 35 Millionen Steuerfällen, für die eine Datenbank neu aufgebaut werden muss. Und fachlich zufriedenstellend ist das stark pauschalierende Bewertungskonzept auch nicht: Modernisierte Altbauten profitieren von der hohen Alterswertminderung, ohne dass der Erhaltungs- und Modernisierungsaufwand werterhöhend berücksichtigt würde. Neubauten werden entsprechend relativ belastet, wenn man das Ganze aufkommensneutral einführt. Das wird heftige Proteste der Benachteiligten auslösen.

Das Gegenmodell ist ein rein flächenbezogenes Grundsteuermodell, das von Bayern und Hamburg unterstützt wird. Dieses bezieht sich allein auf Grundstücks- und Gebäudeflächen, ohne deren Wert zu berücksichtigen. Zwar ist die Erhebung recht einfach - aber eine gleichmäßige Besteuerung von guten und schlechten Lagen sowie hochwertigen und einfachen Immobilien nur nach der Fläche dürften viele als ungerecht empfinden.

Vor allem berücksichtigt ein derart simpel gestricktes Modell nicht, dass Kommunen mit ihren Leistungen maßgeblich den Wert der Immobilien mitbestimmen. Öffentliche Infrastruktur, kulturelle Einrichtungen oder Angebote für Unternehmen bestimmen die Standortqualität und damit auch den Wert des Grund und Bodens. Ohne die Bodenwertkomponente partizipieren die Kommunen nicht an den Immobilienwertsteigerungen durch öffentliche Leistungen. Das wäre steuer- und wirtschaftspolitisch nachteilig, denn die Bodenrente kann man abschöpfen, ohne dass man die Leistungsanreize groß verringert. Internationale Organisationen wie die OECD oder der IWF empfehlen Deutschland seit Jahren, die hohen Steuer- und Abgabenbelastungen der Erwerbseinkommen zu reduzieren und "leistungslose" Vermögenseinkommen stärker zu belasten.

Alternative: Bodenwertsteuer

Apropos Bodenrente: Eine sinnvolle Alternative ist die Bodenwertsteuer. Sie ließe sich auf Grundlage der flächendeckend vorliegenden Bodenrichtwerte relativ leicht umsetzen. Diese werden regelmäßig durch die kommunalen Gutachterausschüsse auf Grundlage tatsächlicher Immobilientransaktionen ermittelt. Zwar gibt es in vielen Lagen nur wenige Verkäufe von baufreien Grundstücken. Aber dazu gibt es etablierte Methoden, um die Bodenpreise auf Grundlage der Daten aus umliegenden Regionen oder von bebauten Grundstücken zu schätzen. Allerdings müssten die Verfahren transparenter gemacht und die Differenzierung nach örtlicher Lage erhöht werden.

Die Bodenwertsteuer bietet einige Vorteile. Sie wird von Mieterorganisationen, Stadt- und Landesplanern, Umweltverbänden sowie einzelnen Kommunalpolitikern, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden unterstützt. Sie gewährleistet "fiskalische Äquivalenz" hinsichtlich der öffentlichen Leistungen, beteiligt sich an den Wertsteigerungen oder -verlusten der Immobilienbesitzer und "belohnt" oder "bestraft" gute oder schlechte Wirtschaftspolitik der Kommunen. Nicht zuletzt unterstützt sie siedlungs- und umweltpolitische Ziele. Unbebaute Grundstücke werden relativ zu den bebauten Grundstücken deutlich stärker belastet, und damit auch das bewusste, häufig spekulative Brachliegenlassen oder Unternutzung von Bauflächen. In den letzten Jahren steigen gerade in den Ballungsräumen die Bodenpreise rasant, nicht selten deutlich schneller als die Werte von Gebäuden. Eigentümer gut gelegener Bauflächen werden über Nacht immer reicher, ohne dass sie etwas dafür geleistet haben. Investitionen in Bebauung, Umnutzungen und Nachverdichtungen werden dagegen nicht belastet, da Investitionen in die Bebauung der Grundstücke keine höhere Grundsteuerbelastung auslösen. Bei vermieteten Grundstücken verringert die Fokussierung der Grundsteuer auf den Bodenwert die Überwälzung auf die Mieter. Werden zusätzliche Wohnungen auf bestehenden Grundstücken errichtet, sinkt die durchschnittliche Grundsteuerbelastung je Haushalt. Dies ist wohnungs- und sozialpolitisch durchaus erwünscht, da viele Mieter geringe Einkommen haben. In der Diskussion um bezahlbaren Wohnraum und fehlende Bauflächen sind diese Punkte nicht zu unterschätzen.

Die Anreize ließen sich weiter erhöhen, wenn der kommunale Grundsteuerhebesatz nach der Bebauungsdichte differenziert werden könnte. Im Koalitionsvertrag wurde ein ähnliches Ansinnen mit der Wiedereinführung einer Baulandsteuer als Grundsteuer C angelegt. Dies würde siedlungs- und umweltpolitische Ziele noch stärker berücksichtigen. Es entstünde ein stärkerer Anreiz, Grundstücke dichter zu bebauen und damit den Flächenverbrauch zu reduzieren.

Härten der Reform mildern

Gleichzeitig könnte ein räumlich differenziertes Hebesatzrecht auch in die andere Richtung genutzt werden, um Härten der Grundsteuerreform bei sehr teuren Lagen zu mildern. Denn bei der Bodenwertsteuer sind die Belastungsverschiebungen ausgeprägter im Vergleich zum "Kostenwert-Modell". Bürgerinnen und Bürger in attraktiven Lagen und mit hohem Grundstücksanteil an den Wohnflächen werden kräftig draufzahlen. Der Klassiker ist die Beamtenwitwe in Berlin-Dahlem, Köln-Lindental oder München-Bogenhausen, die im abgewohnten 60er-Jahre Familien-Eigenheim auf einem großen Grundstück wohnt. Aber auch linksliberale Bionade-Bürger in attraktiven Innenstadtvierteln können angesichts der exzessiven Immobilienpreise auch in Geschossbauten gesalzene Grundsteuererhöhungen erwarten.

Die Superreichen in Deutschland sind dagegen kaum von der Reform betroffen, da sie häufig in Umlandgemeinden oder ländlichen Regionen leben, wo die Grundsteuerbelastungen niedrig sind. In den einschlägigen Gemeinden an oberbayrischen Seen sind nahezu alle Grundstücke ein Vermögen wert, da ändert sich nicht viel, wenn die Gemeinde die Grundsteuerreform aufkommensneutral umsetzt - und die Belastung gleich noch senkt, da sie ohnehin im Geld schwimmt. Von der mitunter anzutreffenden Illusion, mit der Grundsteuerreform könne man etwas gegen die wachsende Ungleichheit und die davoneilenden Riesenvermögen ausrichten, sollte man sich von vornherein verabschieden.

Vor allem die Bodenwertsteuer stößt auf den heftigen Widerstand von Immobilienwirtschaft und Grundbesitzern. Diese haben erheblichen Einfluss auf die Politik - nicht nur auf FDP und Union, sondern auch auf die SPD, siehe Hamburg. Die Grundsteuerreform bietet ihnen die Chance, die Wertkomponente der Grundsteuer ganz wegzubekommen, daher geht ihr Lobbying klar in Richtung des Südländer-Modells. Aber auch angesichts des geringeren Verwaltungs- und Befolgungsaufwandes hat das flächenbezogene Konzept durchaus Chancen, sich bei der Reformdiskussion durchzusetzen, zumal wenn der Zeitplan eng wird.

Rückenwind erfährt das einfache flächenbezogene Modell auch deshalb, weil die Grundsteuer einen Teil der umlagefähigen Nebenkosten darstellt. Für bestehende Mietverhältnisse könnte dies bedeuten, dass Mieterinnen und Mieter über Nacht einer deutlich höheren Wohnkostenbelastung ausgesetzt werden, wenn die heutige Bewertung des Bodens deutlich anders ausfällt als vor über fünfzig Jahren. Diese könnten sich kaum dagegen wehren, haben sie doch ihre Mietverträge mit einer bestimmten Kaltmiete geschlossen. Die Gesamtbelastung wird dann qua Gesetz nach oben verschoben.

Nur bei neu geschlossenen Verträgen könnten Mieterinnen und Mieter diese Entwicklung berücksichtigen und entsprechend auf eine geringere Kaltmiete pochen. Allerdings wechselt nur ein kleiner Teil der Haushalte seinen Wohnort, im Durchschnitt jährlich knapp zehn Prozent. In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg oder Bremen, wo der Anteil der Mieterhaushalte besonders groß ist, liegt die Umzugsquote noch niedriger. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass eine räumliche Veränderung mit erheblichen Kosten verbunden ist. Diese umfassen nicht nur den Umzug als solchen - auch die sozialen Kosten, beispielsweise das Suchen eines neuen Kindergartenplatzes oder einer neuen Schule, sind erheblich. Vermieterinnen und Vermieter müssten daher kaum befürchten, dass ihnen die Vertragspartner abspenstig werden.

Dem könnte mit einer Reform der umlagefähigen Kosten begegnet werden. Beispielsweise könnte die Mehrbelastung zu gleichen Teilen von Vermieterinnen und Mietern getragen werden. Ansonsten würde auch der positive Effekt einer bodenwertbezogenen Grundsteuer für eine effiziente Bodennutzung nur sehr allmählich in den Markt sickern - die gewollten finanziellen Lasten einer Grundsteuerreform wären nämlich nur ganz allmählich vom Vermieter mit zu tragen.


Stefan Bach ist Steuerexperte am DIW Berlin und Autor des Sachbuchs "Unsere Steuern: Wer zahlt? Wie viel? Wofür?".
Claus Michelsen ist Immobilien- und Wohnungsmarktexperte am DIW Berlin.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 3/2018, Heft 226, Seite 55-58
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2018

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