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TOURISTIK/380: Irak - Skier statt Kugeln, Baske betreibt im kurdischen Norden erste Skischule (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. April 2013

Irak: Skier statt Kugeln - Baske betreibt im kurdischen Norden erste Skischule

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Kurden beim Skikaufen in den Bergen im Norden des Iraks
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Penjwin, Irak, 17. April (IPS) - Als der Baske Igor Urizar zum ersten Mal in das entlegene Bergdorf Penjwin, 300 Kilometer nordöstlich von Bagdad, kam, dachte er gleich an Skifahren. Er stellte sich vor, dass der Grenzort inmitten einer unberührten Berglandschaft in der irakischen Kurdenregion zu einem Wintersportparadies werden könnte. Nach vier Jahren harter Arbeit hat er sich seinen Traum erfüllt und betreibt die erste Skischule im Irak.

"Bis hierhin war es ein langer Weg, aber ich denke, die Mühe hat sich gelohnt", sagt der 37-Jährige. Im letzten Winter kamen mehr als hundert Touristen in die Gegend, in der es in den vergangenen 20 Jahren zahlreiche Konflikte gab, etwa den Golfkrieg von 1990 bis 1991 und die US-geführte Invasion 2003. Beim Skilaufen in Pulverschnee können die Besucher jedoch die Schrecken der Kriege vergessen.

Der Entschluss, in einer der geopolitisch instabilsten Regionen der Welt eine Freizeiteinrichtung zu gründen, stellte Urizar vor eine große Herausforderung. "Den ersten Versuch hatte ich 2009 in dem kurdischen Dorf Baskale im Osten der Türkei unternommen", erzählt der Skilehrer. "Die Schneebedingungen waren perfekt, aber die türkische Polizei war misstrauisch, als sich ein Westeuropäer in einem kurdischen Dorf an der Grenze zum Iran niederließ. Nach einer Woche war ich gezwungen, den Ort wieder zu verlassen."

In seiner Heimatstadt Durango, 400 Kilometer nördlich von Madrid, kontaktierte Urizar die aus Basken und Kurden bestehende Vereinigung 'Tigris', die Entwicklungsprojekte in kurdischen Gebieten unterstützt. Dort riet man ihm, es 2010 im kurdischen Teil des Irak noch einmal zu versuchen. Dort genießen Kurden seit 1991 ein hohes Maß an Autonomie.

Urizar entdeckte Penjwin, als er auf der Suche nach den besten Skigebieten in der Region war. Da er ein Paar Skier mitgenommen hatte, konnte er sich vor Ort gleich von den Vorzügen der Pisten überzeugen. Die örtlichen Behörden gaben noch im selben Jahr grünes Licht für sein Projekt.


Spanisches Erfolgsmodell

Ohne die Unterstützung von Falah Salah, einem Beamten der kurdischen Regionalregierung und Mitglied von Tigris, wäre Urizar wohl kaum ans Ziel gekommen. "Wir wollen das erfolgreiche Modell der 'weißen Woche' nach Kurdistan importieren", sagt Salah, der damit auf eine Initiative für Kinder in Spanien anspielt. In den spanischen Pyrenäen treffen sich jedes Jahr für zwei Wochen rund 5.000 Schulkinder aus der Region Navarra zum Skilaufen.

Während der letzten 30 Jahre ist dieses Programm zu einem festen Bestandteil der Wirtschaft im spanischen Roncal-Tal geworden. Viele Beobachter sind davon überzeugt, dass das Gebiet ohne den Skibetrieb nicht überleben würde. Restaurantbesitzer berichten, dass sie 70 Prozent ihres Jahresverdienstes während der Wintermonate erwirtschaften.

Nach Ansicht von Salah könnte die wirtschaftlich schwache irakische Grenzregion, deren Bevölkerung seit jeher von Viehzucht und Landwirtschaft lebte, von dem Modell der 'weißen Woche' erheblich profitieren. Wintersportler leihen sich Skiausrüstungen aus und essen Kebab in den Lokalen am Ort. Nicht wenige verbringen die Wochenenden in dem Dorf, das bisher nur ein Zwischenstopp für Flüchtlinge war, die sich zwischen dem Iran und dem Irak bewegten.

Die Einwohner der Grenzregion für Schnee und Wintersport zu begeistern, war nicht schwer. Diejenigen, die in den monatelang schneebedeckten Berggebieten aufgewachsen sind, zögerten nicht lange, auf die Skier zu steigen. Urizar spricht von "nachhaltigem Skilaufen". Die schöne Landschaft wird nicht durch Skilifte und andere Metallkonstruktionen verunziert. Das Equipment wird in einem unauffälligen Gebäude gelagert, und die Sportler werden auf einem Pfad zu den Pisten geleitet.

Dlosh Fatah, eine Sportlehrerin aus dem Nachbardistrikt Rania, gewann 2012 in Penjwin ein Paar Skier. Der Aufenthalt gefiel ihr so gut, dass sie ein Jahr später als Skilehrerin mit einer Gruppe zurückkehrte, die vorher in den Pyrenäen trainiert hatte. Ihre Technik könnte noch besser werden, meint die 25-Jährige. "Im Moment ist es aber wichtiger, unseren Kindern hier das zu vermitteln, was ich gelernt habe." Stolz zeigt Fatah ein Diplom, das sie an der Skischule im spanischen Roncal-Tal erworben hat.


Kurdische Stadt im Iran will Beispiel folgen

Chia Hassan ist ein weiterer kurdischer Skilehrer, dem Urizar wahrscheinlich im Winter 2014 das Kommando übergeben wird. "Während unseres Besuchs in den Pyrenäen haben wir gesehen, wie Skilaufen die Entwicklung einer Bergregion vorangetrieben hat, die unserem Gebiet ähnelt", sagt Hassan.

Das Ski-Resort Penjwin wurde in diesem Jahr durch mehrere Fernseh- und Zeitungsberichte bekannter. Auf beiden Seiten der Grenze wurde Interesse an der Skischule bekundet, auch seitens der kurdischen Stadt Sardasht im Iran, die 430 Kilometer westlich von Teheran liegt.

"Wir werden unsere Freunde in Sardasht auf jeden Fall besuchen", sagt Urizar. "Allerdings müssen wir uns auch anstrengen, um das Projekt in andere Täler in den irakischen Kurdengebieten zu bringen." Die Kandil-Berge, die Urizar besonders im Auge hat, sind bisher allerdings auch ein Rückzugsgebiet des bewaffneten Arms der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, der nach einem mehr als 30-jährigen Konflikt erst kürzlich einen Waffenstillstand mit der türkischen Regierung geschlossen hat. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.ipsnews.net/2013/04/where-skis-replace-bullets/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2013