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UNTERNEHMEN/2688: Die "Big Five" vergrössern die digitale Kluft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2017

Konzerne außer Kontrolle?
Über Macht und Ohnmacht des Staates

Die "Big Five" vergrössern die digitale Kluft
Risiken einer grenzenlosen, digitalisierten Weltwirtschaft für den Globalen Süden

von Sven Hilbig


Die "digitale Agenda" des deutschen Entwicklungsministeriums (BMZ) betont die zahlreichen Chancen für den Globalen Süden durch die Digitalisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Online-Petitionen sollen die Demokratie stärken, unbemannte Frachtsysteme (Drohnen) bringen notwendige Medikamente in entlegene Gebiete und Flüchtlingen kann mittels einer App auf ihren Smartphones Hilfe angeboten werden. Über die Risiken der Digitalisierung für diese Länder ist vom BMZ hingegen kaum etwas zu hören. Ein Blick in die aktuellen Debatten, wie sie zurzeit beispielsweise in der Welthandelsorganisation (WTO) sowie in afrikanischen und zahlreichen Staaten Asiens und Lateinamerikas geführt werden, zeigt, wie einseitig diese optimistische Betrachtungsweise ist. Denn die Rechnung wurde ohne den Wirt - sprich, den 5 führenden IT-Konzernen Google, Amazon, Facebook, Apple und Alibaba - gemacht.


Weniger soziale Ungleichheit innerhalb der Staaten und zwischen den verschiedenen Weltregionen fordern inzwischen selbst wirtschaftsliberale ÖkonomInnen. Sei es nur, um den sozialen Frieden zu wahren und gesellschaftliche Konflikte einzudämmen. Viele Menschen versprechen sich von der Digitalisierung mehr Teilhabe und Chancengleichheit. Auch das BMZ sieht in Internetplattformen, 3D-Druckern und anderen Zukunftstechnologien, ein wichtiges Instrument beim Aufbau neuer Geschäftsmodelle und Ökonomien für die Menschen im Globalen Süden. Inspiriert durch verschiedene Internet-gestützte Initiativen in Ruanda, Uganda, Kenia und anderen insbesondere afrikanischen Staaten entwickelte das Ministerium 2014 eine eigene "digitale Agenda". Darin spricht es (fast) ausschließlich von den zahlreichen Chancen, welche die Digitalisierung den Menschen hierzulande und in den sog. Entwicklungsländern böte. Es mehren sich jedoch die Anzeichen, dass die von den führenden US-amerikanischen, aber auch chinesischen High-Tech-Unternehmen massiv vorangetriebene Digitalisierung mehrere strukturelle Gefahren in sich birgt.


Die WTO im Dienste des Silicon Valley

Der digitale Wandel revolutioniert nicht nur unsere Lebens- und Arbeitswelt, sondern verändert von Grund auf die Art und Weise, wie wir Güter und Dienstleistungen produzieren - und wie wir mit ihnen Handel treiben. Seit Sommer 2016 hat sich die Debatte über den elektronischen Geschäftsverkehr in der WTO und anderen handelspolitischen Diskussionen intensiviert. In Vorbereitung auf die vom 10. bis 13. Dezember in Buenos Aires stattfindende 11. WTOMinisterkonferenz hat die Handelsdelegation der USA über ein Dutzend Vorschläge bei der in Genf ansässigen WTO eingebracht. Geht es nach dem Willen der USA und anderen Staaten, die diesen Vorstoß unterstützen, dann soll die WTO in Buenos Aires ein Mandat erhalten, um zukünftig ein Abkommen zum E-Commerce zu verhandeln.

Die Idee für ein neues WTO-Abkommen zum elektronischen Handel kommt nicht von ungefähr. Allen voran die "Big Five" des Silicon Valley haben ein besonderes Interesse daran, sich ihre Vormachtstellung mittels neuer, rechtlich verbindlicher Handelsregeln nicht nur abzusichern, sondern sogar auszubauen. Aber auch Hightech-Giganten aus China, wie Alibaba und Tencent, und andere in der Informations- und Kommunikationstechnologie führende Staaten, wie beispielsweise Japan und Südkorea, träumen davon, ihre digitalen Waren und Dienstleistungen ohne Beschränkungen um den Globus zirkulieren zu lassen. Dafür wollen sie völkerrechtlich garantiert bekommen, dass die Daten und Gewinne auf den Servern bzw. in den Taschen ihrer Großkonzerne landen. Auch in weiteren handelspolitischen Runden, wie dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und USA (TTIP), EU und Kanada (CETA), EU und Japan (JEFTA) oder dem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TiSA), spielt digitaler Handel eine große Rolle. Selbst ohne WTOAbkommen zum E-Commerce wird das Thema nicht vom Tisch sein. Die Vorschläge zur Sicherstellung einer grenzenlosen, digitalisierten Weltwirtschaft enthalten aus entwicklungspolitischer Perspektive besorgniserregende Elemente, die im Folgenden kurz benannt werden sollen.


Verlust von Einnahmen

Geht es nach dem Willen von Amazon und Co., dann soll das E-Commerce-Abkommen nicht nur der Vereinfachung des Handels dienen, indem bestimmte Standards eingeführt werden (wie z. B. elektronische Authentifizierung und Unterschriften). Obendrein soll es den Staaten verboten werden, Zölle auf digital gehandelte Waren und Dienstleistungen zu erheben. Den Entwicklungs- und Schwellenländern würde damit eine wichtige Einnahmequelle verloren gehen. Für sie macht die Besteuerung von Einund Ausfuhren oftmals einen hohen Anteil am Staatsbudget aus.


Renn, wenn du kannst

Die Gleichbehandlung von wirtschaftlich ungleichen AkteurInnen ist seit Jahrzehnten ein strukturelles Problem des Welthandels. Die Fälle, in denen industriell hergestellte und subventionierte landwirtschaftliche Produkte aus der EU lokale ProduzentInnen im Globalen Süden verdrängen, füllen ganze Bände. Beim elektronischen Handel sind die Gewichte zwischen David und Goliath noch einmal um Längen ungleicher verteilt. Grund: die digitale Kluft! Während die Börsenwerte der 5 größten, US-amerikanischen IT-Unternehmen sogar die 30 führenden deutschen Industrieunternehmen weit hinter sich gelassen haben, verfügen 3 von 4 Menschen in der Subsahara noch nicht einmal über einen Internetanschluss. Vielen von ihnen fehlt es sogar an einem Zugang zu Strom. In Anbetracht dieser extrem ungleichen Ausgangslage wäre es geradezu fahrlässig, die Start-ups aus Nairobi oder Kigali mit Amazon und Google in ein Rennen zu schicken. Ohnehin melden zurzeit viele kleine und mittelständische Unternehmen in Afrika bereits nach einem Jahr Insolvenz an. Beim Öffentlichen Forum der WTO im September 2017 in Genf sagte ein zivilgesellschaftlicher Vertreter aus Uganda: "Zu einem Zeitpunkt, wo die afrikanische Internetbranche noch das Krabbeln lernt, fordern Hightech-Giganten die WTO auf, alle Akteure in einen Laufwettkampf zu schicken."


Freie Fahrt für Daten!

Damit die Idee eines globalen, digitalen Binnenmarktes Wirklichkeit werden kann, fordern die IT-Konzerne, dass es Staaten zukünftig nicht mehr erlaubt ist, Gesetze zu erlassen, die der Speicherung und Verarbeitung von Daten in ihren Ländern dient. Ein solches Verbot würde weit in die Souveränität von Staaten eingreifen, ihren politischen Handelsspielraum stark einschränken und sie um einer ihrer wertvollsten Ressourcen berauben: ihrer Daten.

Nicht zuletzt afrikanischen Ländern ist es ein besonderes Anliegen, Vorschriften zu entwerfen und durchzusetzen, die es ihnen ermöglichen, langfristig von der Digitalisierung zu profitieren. Demnach soll die Öffnung ihrer Märkte für ausländische Unternehmen an konkrete Forderungen gekoppelt werden. Es geht insbesondere darum, die Unternehmen zu einem Technologietransfer in die Länder des Globalen Südens zu verpflichten. Seit Jahrzehnten gehört diese Forderung zu einem der Kernanliegen der internationalen Zusammenarbeit. Die gegenwärtigen Debatten der WTO und Co. machen jedoch deutlich, dass Google, Facebook und ihresgleichen kein Interesse haben, ihre Technologien mit anderen zu teilen. Sie wollen vielmehr die Daten anderer auf ihren eigenen Servern sichern. Gemeinschaftliche Teilhabe sieht anders aus!


Schlussfolgerungen

Der bereits von einer Handvoll Technologieunternehmen kontrollierte, grenzübergreifende Datenfluss könnte so weiter monopolisiert werden. Geht es nach den IT-Giganten soll das Handelsrecht dabei Pate stehen. Die Hoffnungen der Menschen im Globalen Süden, die sogenannten Zukunftstechnologien könnten ihnen eine ökonomische und möglicherweise auch ökologische und soziale Entwicklung ermöglichen, würden damit bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt und auf unbegrenzte Zeit (!) zu Grabe getragen werden.

Anstatt die bestehenden Asymmetrien zwischen Industriestaaten und sog. Entwicklungsländern durch ein Handelsabkommen zu verschärfen, bedarf es einer Politik, welche die Chancengleichheit der Staaten (im digitalen Wettbewerb) erhöht. Eine gerechte Gestaltung der digitalen Weltwirtschaft ist an 2 Kernvoraussetzungen geknüpft. Zum einen muss die internationale Staatengemeinschaft dafür Sorge tragen, die riesige digitale Kluft zu schließen. Gegenwärtig haben 4 Milliarden fast ausschließlich im Globalen Süden lebende Menschen, keinen Internetzugang. Den Industriestaaten kann und muss abverlangt werden, die sog. Entwicklungsländer beim Aufbau einer digitalen Infrastruktur zu unterstützen.

Zum anderen muss den Ländern des Südens der Aufbau eigener, auf die nationalen Bedürfnisse zugeschnittener, digitaler Wirtschaftszweige ermöglicht werden. Hierzu bedarf es einer Modifizierung des geltenden Handelsrechts. Der politische Gestaltungsspielraum der Entwicklungsund Schwellenländer muss dahingehend erweitert werden, dass sie ihre im Aufbau befindenden digitalen Unternehmen mehr als bisher aktiv fördern und vor ausländischen Konkurrenten schützen dürfen. Anderenfalls wird sich die bestehende Schere zwischen Arm und Reich durch die Digitalisierung weiter verschärfen.


Der Autor ist Referent für Welthandel und Umweltpolitik bei Brot für die Welt.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2017, Seite 12-13
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2018

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