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GRUNDGESETZ/056: Anwaltverein gegen Ausweitung der verdeckten Überwachung (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 19. September 2007

Pressekonferenz anlässlich der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen

DAV gegen Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung und weiterer verdeckter Ermittlungsmöglichkeiten


Berlin (DAV). Anlässlich der heute stattfindenden Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsverfahren lehnt der Deutsche Anwaltverein (DAV) die vorgesehenen Maßnahmen weitgehend ab. Der DAV begrüßt zwar, dass der Versuch einer Harmonisierung der prozessualen Absicherung von Berufsgeheimnisträgern unternommen wurde. Dieses Ziel verfehlt der Regierungsentwurf jedoch.

Die vorgesehenen Regelungen der Telekommunikationsmaßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger, die Durchsicht von dislokalen Datenträgern und die Vorratsdatenspeicherung greifen in Bürger- und Freiheitsrechte in unerträglichem Maße ein.

Im Einzelnen:

- Schutz der Berufsgeheimnisträger

In dem Gesetzentwurf ist zwar ein gewisser Schutz von Berufsgeheimnisträgern, wie Journalisten, Rechtsanwälten, Ärzten usw., vor Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung vorgesehen.

Allerdings ist eine widersprüchliche und wenig einsichtige Differenzierung geplant: So soll es einen uneingeschränkten Schutz für Strafverteidiger, Geistliche und Abgeordnete geben, während gegen andere Berufsgeheimnisträger Überwachungsmaßnahmen unter gewissen Voraussetzungen zulässig sein sollen. Der DAV fordert eine Gleichbehandlung aller Berufsgeheimnisträger mit weitestgehendem Schutz vor Überwachungsmaßnahmen. "Die Kommunikation zwischen einem Rechtsanwalt und dem Mandanten darf nicht heimlich überwacht werden. Die Beziehung zwischen dem Recht suchenden Bürger und seinem Rechtsanwalt bedarf eines besonderen Vertrauensschutzes. Unterschiede zwischen Strafverteidigern und sonstigen Rechtsanwälten sind abzulehnen", so Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, Mitglied des Strafrecht- und Informationsrechtsausschusses sowie des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht des DAV.

Die im Entwurf vorgesehene Differenzierung zwischen verschiedenen Berufsgruppen führe unweigerlich zu Wertungswidersprüchen zwischen einzelnen Regelungen zum Vertraulichkeitsschutz, wie etwa Zeugnisverweigerungsrechte oder strafbewehrte Schweigepflichten.

- Ausweitung des Straftatenkataloges

Der DAV fordert eine Reduzierung des Katalogs der Straftaten, zu deren Aufklärung Überwachungsmaßnahmen angeordnet werden dürfen. Es ist eine strenge Prüfung der Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit vorzunehmen, welche Straftaten dieser Maßnahmen bedürfen und wann sie angewendet werden dürfen.

- Qualifikation des Ermittlungsrichters

Die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters für die Anordnung verdeckter Ermittlungen muss zu einem Nadelöhr werden und darf nicht - durch die Verwendung von Textbausteinen - zu einem Scheunentor verkommen. So sind an die berufliche Qualifikation des Ermittlungsrichters besondere Anforderungen zu stellen: Es sollten nur Richter diese Tätigkeit ausüben, die über strafrichterliche Berufserfahrung verfügen.

Untersuchungen haben ergeben, dass ermittlungsrichterliche Beschlüsse, mit denen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen angeordnet wurden, in vielen Fällen nur oberflächlich oder überhaupt nicht begründet werden. Daher muss es eine Ausweitung der Begründungspflicht geben.

- Durchsicht von dislokalen Datenträgern

Die vorgesehene Möglichkeit der verdeckten Durchsicht von Datenträgern, die nicht am Ort des Betroffenen sind, führt letztlich zu Staatshacking und geht unnötigerweise über die EU-Vorgaben hinaus. Es sind die gleichen Anforderungen an die Durchsicht von dislokalen Datenträgern zu stellen, als wenn diese beschlagnahmt werden würden. Bei einer offenen Beschlagnahme hat der Betroffene immer die Möglichkeit, mit Rechtsmitteln dagegen vorzugehen. Gegen verdeckte Maßnahmen besteht diese Möglichkeit jedoch nicht. Die Ermittlungsbehörden dürfen sich nicht krimineller Techniken bedienen.

- Vorratsdatenspeicherung

Eine Speicherung von Daten auf Vorrat ist abzulehnen. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach erklärt, dass personenbezogene Daten nur angegeben werden müssen, wenn diese geeignet und erforderlich sind, einen bestimmten Zweck - wie etwa die Aufklärung einer bereits begangenen Straftat - zu erfüllen. Überdies verstößt die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie gegen europäisches Recht. "Der Gesetzgeber ist gut beraten, zunächst den Ausgang eines bereits anhängigen Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof abzuwarten", so Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl, Vorsitzende des Ausschusses Gefahrenabwehrrecht sowie Mitglied des Strafrechtsausschusses des DAV. Er solle nicht eine offenkundig rechtswidrige Richtlinie in deutsches Recht voreilig umsetzen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass im Vorfeld der Strafverfolgung aus Vorsorge im Hinblick auf eventuell in der Zukunft zu erwartende Straftaten in die Bürgerrechte durch die Speicherung dieser Daten eingegriffen werden soll. "Damit sei der Weg frei, jeden Bürger des Verdachts einer Straftat auszusetzen", so Sandkuhl weiter.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 34/07 vom 19. September 2007
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
Tel. 030/72 61 52-1 29, Fax 030/72 61 52-1 93
Internet: www.anwaltverein.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2007