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GRUNDGESETZ/091: Als die APO gegen die Notstandsgesetze kämpfte (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 21 vom 22. Mai 2009
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Als die APO gegen die Notstandsgesetze kämpfte
Vor mehr als 40 Jahren wurden Sonderrechte im Krisenfall beschlossen

Von Günther Wilke


Vor mehr als 40 Jahren, am 14. und 15. Mai 1968, verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen eines großen Teils der SPD-Fraktion Notstandsgesetze für den Spannungs- und Kriegsfall. Acht Jahre lang hatte eine immer stärker werdende außerparlamentarische Opposition mit vielfältigen Aktionen gegen diese Gesetze gekämpft, die von ihr als Ermächtigungsgesetze bezeichnet wurden, durch die man "in einem verhängnisvollen Augenblick durch einen einzigen Akt die Diktatur errichten, das Grundgesetz abschaffen, einen nicht reversiblen Zustand der politischen Unfreiheit herbeiführen kann", wie es sogar der keineswegs linke Philosoph Karl Jaspers formulierte.

Entworfen wurden die Notstandsgesetze im Jahre 1960 von der CDU/CSU/FDP-Regierung unter Ludwig Erhard (CDU) und dem reaktionären Innenminister Höcherl (CSU). Ein Sturm der Empörung ging über das Land. Es gab Massendemonstrationen, Kundgebungen, Arbeitsniederlegungen in Betrieben, Vorlesungsstreiks an den Universitäten und Hochschulen. Die Ostermarschbewegung gegen Atomwaffen enthüllte den Zusammenhang zwischen Kriegsplänen und der geplanten Aushebelung des Grundgesetzes. Erster Höhepunkt der Protestbewegung war im Jahre 1962 die Verabschiedung der Gesetze im Kabinett. Es dauerte sechs Jahre, bis der Bundestag unter einer Regierung der Großen Koalition die Notstandsgesetze verabschiedete. Die SPD-Führung rechtfertigte die Zustimmung ihrer Fraktionsmehrheit mit dem Hinweis, sie habe diesen Schubladengesetzen die "Giftzähne" gezogen, sie seien "liberalisiert" worden. Tatsächlich verzichtete die Regierung auf das Streikverbot. Es blieben aber für den Spannungsfall das Außerkraftsetzen der Grundrechte auf freie Meinung und Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Freizügigkeit, der Vereinsfreiheit, des Rechtes auf freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, des Rechtes auf Haftprüfung binnen einer gesetzlich festgelegten Frist und die Möglichkeit des Zwanges zu einer bestimmten Arbeit.

Um die Notstandsgesetze in Kraft zu setzen, bedarf es nur, den Spannungsfall zu erklären. Dann tritt ein Notparlament von 30 Abgeordneten in Funktion. Dieses kann die gesamte Bevölkerung zu Dienstleistungen verpflichten, zum Beispiel Zivildienst oder Selbstschutzdienst in Betrieben und im Wohngebiet zu leisten. Es kann jedem Staatsbürger Anweisungen über seinen Aufenthaltsort erteilen, kann sogar das persönliche Eigentum der Staatsbürger in Anspruch nehmen. Der Staatsrechtler Prof. Helmut Ridder stellte fest: "Es droht die kollektive Verfügbarkeit des Staates über den Einzelnen. Die Macht, die hier den Regierenden gegeben wird, ist ungeheuerlich. Das ist eine Umkehrung der Verfassung." Schubladengesetze nannte die außerparlamentarische Opposition diese Sonderrechte. Sie können jederzeit hervorgeholt werden, wenn es den Herrschenden in Politik und Wirtschaft geboten erscheint den Krisen- oder Spannungsfall zu erklären.

Gegen diese Gesetze gab es von Flensburg bis zum Bodensee Massenaktionen in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Auf dem Römerberg in Frankfurt versammelten sich zum Beispiel 24 000 Menschen am 30. Oktober 1966 zu einer Protestkundgebung, auf der u. a. Prof. Helmut Ridder sprach. Im selben Jahr gründeten sich betriebliche Ausschüsse gegen die Notstandsgesetze wie bei Opel in Rüsselsheim. Die Opelaner riefen dazu auf, der Koalition der Notstandsbefürworter eine "Koalition der Arbeitnehmer" entgegenzusetzen. An den Universitäten und Hochschulen wollten die Protestaktionen kein Ende nehmen. Selbst in der Provinz waren die Studierenden rebellisch. An der Pädagogischen Hochschule in Flensburg wurde zur Massendemonstration aufgerufen. In dem Flugblatt von SDS und AUSS hieß es: "Notstandsgesetze sind Ermächtigungsgesetze, Notstandsgesetze sind Gesetze zur Unterdrückung der Werktätigen, Notstandsgesetze sind Gesetze, um der Regierung alle Macht und dem Volke den unbedingten Gehorsam zu verordnen, Notstandsgesetze verbieten jegliche Opposition."

Die Ostermarschbewegung wies auf den Zusammenhang mit NATO-Plänen hin, die 1964 von der französischen Zeitung "Revue Militaire Generale" enthüllt wurden. Danach sollte entlang der Grenze zur DDR ein Atomminengürtel gelegt werden. Im Falle eines Rückzugs der NATO-Streitkräfte könnten die Minen mit "Landschaftsverändernder Wirkung" gezündet werden. Diese teuflischen Pläne lösten Aktionen von Gewerkschaften und Kali-Kumpeln im Grenzgebiet aus. Die Friedensbewegung zog den Bogen zur Politik der Nichtanerkennung der DDR und deren weltpolitischer Ausweitung durch die Hallstein-Doktrin. Sie entlarvte, dass allein die westdeutsche Regierung territoriale Ansprüche stelle.

Die Regierenden unternahmen alles, um die Opposition gegen die Notstandsgesetze mit antikommunistischer Verleumdung einzudämmen. Sie diffamierten Friedens- und Demokratiebewegung, aus dem Osten gesteuert zu sein. Studenten in Hamburg (und vermutlich nicht nur dort) antworteten 1967 dem Innenminister der Großen Koalition, Benda, mit dem Skandieren der Losung "Benda wir kommen - alle aus dem Osten. Ulbricht zahlt die Kosten."

Trotz der Massenbewegung passierten die als "Ergänzungsgesetze" zur Verfassung bezeichneten Gesetze den Bundestag. Sie können jederzeit aus den Schubladen hervor geholt werden - nicht nur im Kriegs- oder Spannungsfall, sondern auch bei innenpolitischen Krisen zur Bewältigung eines "Inneren Notstands".

Die Herrschenden in Politik und Wirtschaft scheinen sich auch heute noch nicht sicher zu sein, ob die Schubladengesetze für den "Krisenfall" ausreichen. Es dürfte kein Zufall sein, dass zeitgleich mit einer weltweiten schweren Finanzkrise der Einsatz der Bundeswehr im Innern auf die Tagesordnung gesetzt und so genannte BKA-Gesetze verabschiedet werden. Vor 40 Jahren wurde der Einsatz des Bundesgrenzschutzes verfügt "zur Abwehr von Gefahren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird". Heute soll es die Bundeswehr sein, die im Innern eingesetzt wird, wenn sich die Polizei nicht mehr in der Lage sieht, mit ihren Mitteln für "Ruhe und Ordnung" zu sorgen. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass Schäuble & Co schon in Heiligendamm und in Gorleben davon geträumt haben mögen, die Bundeswehr aus den Kasernen zu holen.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 41. Jahrgang, Nr. 21,
22. Mai 2009, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2009