Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → FAKTEN

INTERNATIONAL/029: Côte d'Ivoire - Streit über Zuständigkeit von Weltstrafgericht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2011

Côte d'Ivoire: Die ganze oder halbe Wahrheit - Streit über Zuständigkeit von Weltstrafgericht

Von Fulgence Zamblé


Abidjan, 18. Juli (IPS) - In Côte d'Ivoire ist eine Kontroverse um die Frage entbrannt, ob der Internationale Strafgerichtshof (ICC) Menschenrechtsverletzungen ab 2002 oder erst ab 2010 untersuchen soll. Während sich die Ermittlungen nach Ansicht der Regierung auf die letzten sechs Monate beschränken sollten, fordert die Zivilgesellschaft die Aufklärung der Verbrechen der letzten zehn Jahre.

"Die derzeitige Krise wurde nicht erst durch die Wahlen 2010, sondern durch den misslungenen Putsch im September 2002 ausgelöst, der in eine bewaffnete Rebellion überging", sagte René Legré Hokou von der Liga für Menschenrechte in Abidjan. "Wenn wir die Ermittlungen auf das letzte halbe Jahr begrenzen, ignorieren wir all jene Opfer, die seit 2002 gewaltsam ums Leben kamen." Ohne eine Untersuchung dieser Menschenrechtsverletzungen könne eine wirkliche und dauerhafte Versöhnung nicht stattfinden.

Das Monate lange politische Patt zwischen Alassane Ouattara, der von den UN als Gewinner der Stichwahl am 28. November anerkannt worden war, und dem damaligen Präsidenten Laurent Gbagbo, der die Macht jedoch nicht abgeben wollte, hatte zahlreiche Menschenrechtsverbrechen zur Folge. Erst im Mai konnte Ouattara als neuer Staatspräsident vereidigt werden, nachdem die Truppen Gbagbos mit internationaler Hilfe zurückgedrängt werden konnten und Gbago selbst festgenommen wurde.

Patrick N'gouan von der Konvention der ivorischen Zivilgesellschaft, ein Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, ist der gleichen Meinung wie Legré Hokou. Der ICC müsse verhindern, dass nur eine Seite Recht bekomme. "Tut er das nicht, besteht die Gefahr, dass es zu einer ähnlichen Krise wie 2002 kommt."

Doch die Regierung will, dass sich die Untersuchungen auf die jüngsten Übergriffe beschränken. "Wir sollten uns auf die aktuellen Vorfälle konzentrieren", meinte der Regierungssprecher Bruno Koné. Für diejenigen Menschen, die im Zuge der gewaltsamen Auseinandersetzungen vor den Wahlen 2010 Gewalt erlebt und ihr Hab und Gut verloren hätten, gebe es die Möglichkeit, die nationalen Gerichte anzurufen.


Entweder oder

Nach Ansicht von Abraham Gadji, einem Rechtsanwalt in Abidjan werde in einem solchen Fall mit zweierlei Maß gemessen. "Das Land muss sich entscheiden, ob der ICC oder die nationalen Gerichte die zwischen 2002 und 2010 begangenen Gräueltaten aufklären soll", meinte er.

"Wir haben es mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu tun, die es aufzuklären gilt", sagte Gadji und nannte einige Beispiele. So erinnerte er an die Massaker in den Dörfern Guitrozon und Petit Duékoué 2005; die Ermordung von 150 Menschen während einer Kundgebung der Opposition im März 2004; die ungelösten Morde an dem früheren Staatspräsidenten Robert Guéï und seinem Innenminister Boga Doudou im Verlauf des gescheiterten Staatsstreichs 2002 und die Entdeckung eines Massengrabs in Yopougon nordöstlich von Abidjan im Jahr 2000.

"Die Zeit ist reif, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen. Wir stehen nicht unter ICC-Kontrolle und können durchaus unser eigenes Gericht installieren, das unsere Wünsche berücksichtigt", meinte hingegen Louis André Dacoury-Tabley, ein ehemaliger Minister, der sich an der damaligen Rebellion beteiligt hatte, am 10. Juli gegenüber einem UN-Radiosender.

Einer ICC-Untersuchung zuzustimmen, die nur den Zeitraum von November 2010 bis heute berücksichtigt, bezeichnete Kalilou Kamara vom Kollektiv der Opfer vom 19. September 2002, als den Versuch, "nur einen Teil der Wahrheit zuzulassen". (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.lidho.org/
http://www.societecivile-csci.org/index.php?option=com_content&view=article&id=46:convention-de-la-societe-civile-ivoirienne-csci&catid=25:the-project
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=56504

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Juli 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2011