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INTERNATIONAL/043: Südsudan - Schwedischer Erdölkonzern im Visier der Justiz, Aktivisten klagen an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2011

Südsudan: Schwedischer Erdölkonzern im Visier der Justiz - Aktivisten klagen an

von Jared Ferrie

James Ninrew in seinem Büro in Südsudans Hauptstadt Juba - Bild: © Jared Ferrie/IPS

James Ninrew in seinem Büro in Südsudans Hauptstadt Juba
Bild: © Jared Ferrie/IPS

Juba, 30. November (IPS) - Diesen Tag im Januar 2000 wird der Geistliche James Ninrew aus Koch im Südsudan zeitlebens nicht vergessen. "Zuerst warfen sie aus Hubschraubern Bomben auf unsere Gemeinde. Als die Häuser brannten, landeten die Soldaten und schossen auf die fliehenden Menschen", berichtete er.

Die Militäraktion gehörte zur Strategie der verbrannten Erde, mit der die sudanesische Regierung in Khartum die reichen Erdölfelder im Süden, die sie während des Bürgerkriegs nicht vollständig kontrollierte, entvölkerte, um sie internationalen Erdölkonzernen zur Erschließung zu überlassen.

Jetzt erreicht der lange Schatten dieser systematischen Menschenrechtsverletzungen durch sudanesische Militärs und Milizen auch ein vom schwedischen Erdölkonzern 'Lundin Petroleum' geführtes Konsortium. Aufgrund eines von der 'European Coalition on Oil in Sudan' (ECOS) im vergangenen Jahr veröffentlichten Berichts hat Schwedens Generalstaatsanwalt Magnus Elving jetzt offiziell die Ermittlungen gegen Erdölkonzerne aufgenommen, gegen die das zivile Netzwerk schwere Anschuldigungen erhoben hat.

"Der Anfang der Erdölförderung in der Region war auch der Beginn eines brutalen Krieges. Mit der Massenvertreibung wollte man die Exploration sichern", heißt es in dem ECOS-Report 'Unpaid Debt'. Dabei wurden nach Angaben der Organisation tausende Menschen umgebracht und fast 200.000 aus ihren Dörfern vertrieben. Von zahllosen Fällen von Brandschatzung, Plünderung, Vergewaltigung und Folter ist ebenfalls die Rede.

Die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) hatte sich schon 2003 in einer Studie über den Sudan ('Willfully Blind to Devastation in Block 5A') mit den Menschenrechtsverletzungen im gleichen Gebiet der sudanesischen Ölfelder befasst.

Nach Angaben der Tageszeitung 'Dagens Nyheter' hat die Staatsanwaltschaft in Stockholm damit begonnen, 40 Personen zu den Aktivitäten von 'Lundin Petroleum' im Sudan zwischen 1997 und 2003 zu befragen. In diesem Zusammenhang interessiert sich die Öffentlichkeit auch für Schwedens Außenminister Carl Bildt. Bis zur Übernahme seines Regierungsamtes saß er als Aktionär von 2000 bis 2006 im Aufsichtsrat des Lundin-Konzerns.


Firma weist Vorwürfe zurück

Lundin hat die von ECOS erhobenen Anschuldigungen schon mehrfach zurückgewiesen. Nach der Veröffentlichung des Berichts versicherte der Vorstandsvorsitzende Jan Lundin in einem Schreiben an die Aktionäre: "Dieser Bericht enthält keine neuen Beweismittel. Er gibt im Wesentlichen Vermutungen, Unterstellungen und falsche Behauptungen wider, die auf einseitigen und irreführenden Informationen beruhen."

Schon 2003 hatte Lundin ein Dokument in Auftrag gegeben, das alle Behauptungen über eine Verwicklung des Konzerns in Menschenrechtsverletzungen widerlegen sollte. Man habe vor Beginn der Erdölförderung sowohl Gemeindeälteste als auch Vertreter lokaler Behörden und der Zentralregierung konsultiert, heißt es darin. Überdies sei der Konzern überzeugt gewesen, die Erdölindustrie werde auch den Gemeinden vor Ort Nutzen bringen. Zudem habe der Konzern in einem Zeitraum von drei Jahren 1,7 Millionen US-Dollar in Entwicklungsprojekte investiert.

Angesichts des Schadens, den der Konzern in der Region angerichtete habe, sei dies eine lächerliche Summe, kritisierte Kathelijne Schenkel von ECOS in einem Interview. "Lundin hat 2003 seine Beteiligung an dem Erdölfeld für 142,5 Millionen verkauft und dabei einen Nettogewinn von 100 Millionen Dollar kassiert." Zudem habe sich Lundin in der Region mit "wichtigen militärischen und politischen Verbündteten der Regierung in Khartum beraten", berichtete die Aktivistin.

Man habe angenommen, die reichen Erdölvorkommen in der Region könnten dem seit zwei Jahrzehnten von einem Bürgerkrieg zerrissenen Sudan Frieden bringen, wird in der von Lundin erstellten Dokumentation erklärt. "In der Zeit, als das Unternehmen im Sudan operierte, glaubte man, das Erdöl könne die wirtschaftliche Entwicklung regional und landesweit ankurbeln und den Befriedungsprozess voranbringen", schrieb die im Dienst des Konzerns stehende Managerin Christine Batruch.

Dem gegenüber stellte der sudanesische Aktivist Ninrew fest, in der Region, in der auch Lundin nach Öl bohrte, habe jedermann gewusst, wie brutal und systematisch die Regierung den Förderprojekten den Weg ebnete. "Zunächst wurde das Areal wahllos bombardiert und dann die fliehenden Menschen von Hubschraubern aus beschossen. Anschließend rückten Bodentruppen an, die sich vergewisserten, dass sich hier niemand mehr aufhielt."

Vor der Ankunft der Explorateure mit ihrem Maschinenpark und ihren Geometern hätten die Soldaten rund um das Fördergelände Kontrollposten etabliert. "Sobald der Konzern seine konzessionierte Erdölförderung auf ein weiteres Areal ausdehnte, wiederholte sich diese Militäroperation", erklärte Ninrew.


Hoffen auf einen Prozess

Der Geistliche hofft nun, dass die jetzt in Schweden eingeleiteten Ermittlungen zu einem Strafprozess führen, auch wenn die Chancen auf Entschädigungszahlungen gering sind. Die schwedische Regierung sollte Lundin jedoch dazu bewegen, in den betroffenen Gemeinden Schulen, Krankenhäuser und Straßen zu bauen.

"Eine Verurteilung könnte immerhin zur Folge haben, dass Unternehmen, die in Zukunft nach Afrika kommen, ihre Lektion gelernt haben und ihre Projekte nur im Einvernehmen mit der einheimischen Bevölkerung durchziehen", meinte er zuversichtlich. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2011