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INTERNATIONAL/065: Südafrika - Kontoverse über Gesetz zugunsten traditioneller Gerichte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Mai 2012

Südafrika: Kontoverse über Gesetz zugunsten traditioneller Gerichte - Rechte von zwölf Millionen Landfrauen gefährdet

von Sabine Clappaert



Brüssel, 31. Mai (IPS) - In Südafrika diskutiert das Parlament ein Gesetz, das durch die Anerkennung traditioneller Gerichte und Urteile mehr Bürgern zu ihrem Recht verhelfen soll. Das sogenannte 'Traditional Courts Bill' ist jedoch umstritten, weil es die zwölf Millionen Frauen in den ländlichen Gebieten fundamentaler Rechte beraubt.

Schon als das Gesetz 2008 zum ersten Mal eingereicht wurde, löste es Empörung aus. Inzwischen drohen zivilgesellschaftliche Organisationen damit, es als verfassungswidrig verbieten zu lassen. Es soll traditionelle Führer befähigen, in zivilrechtlichen Fällen ein rechtskräftiges Urteil zu sprechen.

Jennifer Williams vom Frauenrechtszentrum in Kapstadt bemängelt, dass das Traditional Courts Bill die Entscheidungsmacht in die Hände einzelner Personen - in der Regel Männer - legt. Die traditionellen Chiefs wären Richter, Jury und Vollstrecker in einer Person. Zudem würde Angeklagten das Recht auf eine professionelle Verteidigung genommen. Die traditionellen Führer unterstünden zudem keiner Kontrolle und wären auch nicht rechenschaftspflichtig.


"Anschlag auf Frauenrechte"

Siyasanga Mazinyo von der Ländlichen Volksbewegung im südafrikanischen Grahamstown bezeichnete das Gesetz gegenüber der lokalen Zeitung 'New Age' vom 2. Mai als "Anschlag auf die Frauenrechte". "In der Vergangenheit wurden traditionelle Gerichtsverfahren in der Nähe von Kraals (Viehgehegen) abgehalten. Nach alter Tradition ist es jedoch nicht üblich, dass sich dort Frauen aufhalten."

Williams zufolge gibt es seine Reihe ähnlich einschränkender Sitten und Gebräuche. So sei es menstruierenden Frauen und Witwen während der Trauerzeit nicht gestattet, einer Anhörung beizuwohnen. In solchen Fällen könnte sich eine unter Anklage stehende Frau von einem Mann vertreten lassen. "Sie hätte aber keinen Einfluss auf den Prozess zu ihren Gunsten und würde, was den Richterspruch angeht, vor vollendete Tatsachen gestellt."

Williams zufolge ist das geplante Gesetz eindeutig im patriarchalischen System angesiedelt. "Auch wenn vorgegeben wird, eine Sprache der Gleichheit zu sprechen - Männer und Frauen sollen das Recht erhalten, sich vom jeweils anderen Geschlecht in den Gerichten vertreten zu lassen -, so dominieren traditionelle Bräuche. Genau hier liegt das Problem. Traditionelles Recht verhindert, dass Frauen vor Gericht erscheinen und Männer vertreten."

Es gehöre zu den größten Herausforderungen Südafrikas, traditionelles Recht mit der regulären Rechtsprechung in Einklang zu bringen, meint die Aktivistin. Das Traditional Courts Bill jedoch leiste dazu keinen Beitrag. "Es wirft uns zurück, indem es Männern erlaubt, die traditionellen Gesetze so auszulegen, dass sie nicht einheitlich, klar und sicher sind", so Williams. "Frauen, Kinder (und Männer) werden dazu genötigt, sich dieser Jurisdiktion, ob sie wollen oder nicht, zu unterwerfen. Das wird zu einer Zweiklassengesellschaft führen."

Die Südafrikanische Kommission für Geschlechtergerechtigkeit (CGE), eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Einhaltung und Förderung der Geschlechtergerechtigkeit in Südafrika, hat das Gesetz als fehlerhaft zurückgewiesen. "Zahlreiche der enthaltenen Bestimmungen sind verfassungswidrig, und wir haben unsere Einwände in Fragen vorgebracht, die die Repräsentanz und Partizipation von Frauen und die Auswirkungen der traditionellen Gerichte auf ihre Verfassungsrechte auf Gleichheit betreffen", sagt die CGE-Vorsitzende Janice Hicks.

Dass die Entscheidungen der traditionellen Gerichte Frauen benachteiligen können, verdeutlich der Fall einer jungen Xhosa, die sich Hilfe suchend an das Frauenrechtszentrum gewandt hatte. Sie war als 14-Jährige mit einem älteren Mann verheiratet worden, der jedoch mit seiner Freundin zusammenlebte und in Johannesburg arbeitete.

Die junge Ehefrau fand sich im ländlichen Haushalt ihrer Schwiegereltern wieder. Unglücklich darüber, nicht mit ihren Mann zusammenleben oder die Schule besuchen zu können, verließ sie die Familie, um zu ihren 500 Kilometer entfernt lebenden Eltern zurückzukehren.

Verärgert über ihr Verschwinden zog der Mann vor ein Lokalgericht und verlangte die Rückkehr seiner Frau sowie die Rückzahlung des von ihm entrichteten Brautgeldes ('Lobola') und die Erstattung der Gerichtskosten. Sein Klage wurde abgewiesen und er selbst zur Zahlung der Anwaltskosten aufgefordert.


Unterschiedliche Urteile

Wäre in diesem Fall nach dem Traditional Courts Bill verfahren worden, hätte sich die Lage der jungen Frau ganz anders dargestellt. "Zunächst einmal wird nach Xhosa-Sitte eine Frau, die sich von ihrem Mann trennt und zu ihrem Vater zurückkehrt, von dem Mann zurückgeholt", erläutert Williams. "Vater und Mann handeln dann die Bedingungen aus, die der Frau eine Rückkehr in Würde ermöglichen."

Nach traditionellem Recht sind Kinderehen erlaubt. Nach dem Zivilrecht sind sie hingegen ungültig und können dem Mann wegen Sex mit einer Minderjährigen eine Haftstrafe einbringen. Auch hätte ein Chief sicherlich die Rückzahlung des Brautgeldes verlangt.

Derzeit stellt sich die Frage, wie sich Gewohnheits- und Verfassungsrechte im neuen Südafrika in Einklang bringen lassen - eine Frage, auf die die politischen Entscheidungsträger bis Ende des Jahres eine Antwort finden müssen. Dann soll das umstrittene Gesetz in Kraft treten.

Die CGE ist kürzlich mit der Frauenministerin Lulu Xingwana zusammengekommen, um über das kontrovers diskutierte Gesetz zu sprechen. "Sie ist der Meinung, dass es keinen Platz in einem demokratischen Südafrika haben sollte, und hat öffentlich seine Rücknahme gefordert", berichtet Hicks. Für den Fall, dass es dennoch in geltendes Recht überführt wird, will das Frauenrechtszentrum vor Gericht gehen, um es für verfassungswidrig erklären zu lassen. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://salawreform.justice.gov.za/
http://www.cge.org.za/
http://www.lrg.uct.ac.za/usr/lrg/docs/TCB/2012/tcb_summary_analysis.pdf
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107944

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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2012