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OFFENER BRIEF/008: Finanzministerium sollte keine Entschädigungen für Rüstungsexportstopp zahlen (ECCHR)


ECCHR - European Center for Constitutional and Human Rights Pressemitteilung vom 28. Mai 2019

Offener Brief an Finanzminister Scholz

Lürssen Werft: Finanzministerium sollte keine Entschädigungen für Rüstungsexportstopp zahlen


Wie kürzlich bekannt wurde, hat die Firma Lürssen Werft GmbH & Co. KG gegen die Bundesregierung Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Sie macht den Ersatz für finanzielle Nachteile bei der Bundesregierung geltend, die durch den Ausfuhrstopp von Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien (das sogenannte Rüstungsmoratorium) entstanden sind.

In einem Offenen Brief an Bundesminister Olaf Scholz weist das ECCHR darauf hin, dass nach geltendem nationalen wie internationalen Recht eine Entschädigung durch die Bundesregierung entweder gar nicht oder nur sehr restriktiv erfolgen sollte.

Das ECCHR hebt in dem Schreiben hervor, dass die Ausfuhr der von der Lürssen Werft produzierten Patrouillenschiffe an das Königreich Saudi-Arabien möglicherweise einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. So gibt es Hinweise, dass diese Patrouillenschiffe direkt oder indirekt in der von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführten Koalition durchgeführten de facto Marineblockade vor der Küste im Jemen eingesetzt werden.

Es sollte daher sorgfältig geprüft werden, ob und inwieweit das Finanzministerium den Bundeshaushalt nutzen will, um materielle Verluste zu ersetzen, die sich aus der bis dato vorübergehenden Aussetzung eines Waffenexportes ergeben, der möglicherweise selbst gegen das Völkerrecht verstößt.

Das ECCHR bittet das Ministerium, diese und weitere Faktoren bei den bevorstehenden Verhandlungen mit der Lürssen Werft zu berücksichtigen und keine Entschädigung zu zahlen.

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Offener Brief

Bundesminister Olaf Scholz
Bundesministerium der Finanzen
Wilhelmstraße 97
11016 Berlin

In Kopie:
BMWi
Kanzleramt

Berlin, 28/05/2019

Sehr geehrter Herr Bundesminister Olaf Scholz,

wie kürzlich durch die parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Heidrun Bluhm (DIE LINKE) und entsprechende Presseberichte bekannt wurde, hat die Firma Lürssen Werft GmbH & Co. KG (im Folgenden: Lürssen Werft) gegen die Bundesregierung Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Sie macht den Ersatz für finanzielle Nachteile bei der Bundesregierung geltend, die durch den Ausfuhrstopp von Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien (das sogenannte Rüstungsmoratorium) entstanden sind.

In diesem Schreiben möchten wir Sie darauf hinweisen, dass nach geltendem nationalen wie internationalen Recht eine Entschädigung durch die Bundesregierung entweder gar nicht oder nur sehr restriktiv erfolgen sollte.

Der § 9 des Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffG) sieht grundsätzlich die Möglichkeit der finanziellen Entschädigung für Inhaber einer entzogenen Genehmigung vor. Die Lürssen Werft kann aber keine Schutzrechte nach Artikel 14 GG geltend machen, da der Widerruf einer Genehmigung nach § 9 KrWaffG nicht als Enteignung in diesem Sinne gilt. Anders als die Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts (§ 49 Abs. 1 VwVfG), soll § 9 KrWaffG nicht die legitimen Erwartungen eines Bürgers an den Bestand von behördlichen Handlungen (oder Unterlassungen) schützen. Das Kriegswaffenkontrollregime ist so aufgebaut, dass der Handel mit Waffen grundsätzlich verboten ist, und nur ausnahmsweise durch eine entsprechende Genehmigung legalisiert wird. Damit gilt hier der Vertrauensschutzgedanke nach einhelliger Auffassung nicht. Da §7 KrWaffG ausdrücklich vorsieht, dass eine Genehmigung jederzeit widerrufen werden kann, folgt daraus, dass die Erteilung einer Genehmigung keine berechtigten Erwartungen an den Bestand bei den Begünstigten wecken kann. Vielmehr muss der Begünstigte einer Genehmigung nach dem KrWaffG immer die Risiken antizipieren, die mit seiner Abhängigkeit von den jeweiligen politischen Konstellationen verbunden sind. Es war weder die Absicht des Gesetzgebers, den Bund als Garanten für die mit internationalem Waffenhandel verbundenen Risiken einzusetzen, noch sollte Ihr Ministerium dies im vorliegenden Fall in Betracht ziehen.

Die Lürssen Werft hat keinen Anspruch auf umfänglichen Ersatz der Schäden, welche aus dem Rüstungsmoratorium entstanden sind. Vielmehr sieht § 9 KrWaffG ausschließlich eine angemessene Erstattung bestimmter nachgewiesener Sachkosten, wie z.B. etwaiger Kosten im Zusammenhang mit der Anschaffung von Maschinen und Personalkosten vor, nicht aber entgangenen Gewinn oder anfallende Vertragsstrafen oder andere Schäden, die der Lürssen Werft aufgrund nicht erfüllter vertraglicher Verpflichtungen entstehen. Für die Bemessung des ersatzfähigen Schadens nach § 9 KrWaffG sind die Auswirkungen des Vertrages zwischen der Lürssen Werft und dem Königreich Saudi-Arabien also irrelevant.

Weiterhin verfügt Ihr Ministerium bei der Entscheidung über eine Zahlung von Schadensersatz an die Lürssen Werft über einen Ermessensspielraum. Bei der Ausübung dieses Ermessens sollte in diesem konkreten Fall Folgendes von Ihnen und Ihrem Ministerium berücksichtigt werden:

Erstens ist hervorzuheben, dass die Ausfuhr der von der Lürssen Werft produzierten Patrouillenschiffe an das Königreich Saudi-Arabien möglicherweise einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. So gibt es Hinweise, dass diese Patrouillenschiffe direkt oder indirekt in der von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführten Koalition durchgeführten de facto Marineblockade vor der Küste im Jemen eingesetzt werden.

Zwischen dem 6. November und dem 22. November 2017 verhängte die Koalition eine vollständige Blockade, die alle Boden-, Luft- und Seehäfen des Jemen schließt. Unter saudischer Führung wurden Schiffe, die dringend benötigte Nahrungsmittelvorräte und medizinische Hilfe transportierten, daran gehindert, die Häfen des Jemen zu erreichen. Damit wurde die humanitäre Krise im Jemen erheblich verschärfen und das Leben von Millionen Menschen gefährdet. Die Schließung der Seewege im November 2017 stellt eine übermäßige und unverhältnismäßige Maßnahme gegen die jemenitische Zivilbevölkerung dar und könnte als eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts gewertet werden. Die Patrouillenboote im zu verhandelnden Fall sollen unter saudischer Flagge in von Saudi Arabien kontrollierten Gewässern fahren. Damit besteht die Gefahr, dass sie öglicherweise direkt oder indirekt für die Aufrechterhaltung der de facto Blockade der jemenitischen Küste eingesetzt werden. Selbst wenn es für die Exporte der Lürssen Patrouillenboote eine Endverbleibserklärung geben sollte, hat doch das Strafverfahren gegen ehemalige Manager und Angestellte des Rüstungskonzerns Heckler & Koch GmbH von der Landgericht Stuttgart deutlich gemacht, dass solche Erklärungen völlig ungeeignet sind, einen menschen- und völkerrechtswidrigen Einsatz der exportierten Waffen zu verhindern.

Es sollte daher sorgfältig geprüft werden, ob und inwieweit Ihr Ministerium den Bundeshaushalt nutzen will, um materielle Verluste zu ersetzen, die sich aus der bis dato vorübergehenden Aussetzung eines Waffenexportes ergeben, der möglicherweise selbst gegen Völkerrecht verstößt. Laut Gesetzbegründung ist es ausdrücklich vorzugswürdig, alternative Lösungen in Betracht zu ziehen, etwa die Nutzung der Schiffe für zivile Zwecke. Sollte dies nicht möglich sein, empfehlen wir Ihrem Ministerium, von einer Rückerstattung abzusehen, bis sichergestellt ist, dass kein anderer Abnehmer gefunden werden konnte, der die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht achtet und zweifelsfrei feststeht, dass die Schiffe nicht zur internen Repression oder zur Begehung schwerer Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts eingesetzt werden.

Zweitens obliegt Unternehmen wie der Lürssen Werft eine eigene menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nach den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen. Damit hätte die Lürssen Werft regelmäßige menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen durchführen und so erkennen müssen, dass ihre Vertragsbeziehung nach Saudi-Arabien menschenrechtlich problematisch ist. Sie hätten Vorkehrungen treffen müssen, um Menschenrechtsverletzungen wirksam zu begegnen. Als Ulitma Ratio sehen die Leitprinzipien einen Vertragsabbruch vor. Dahingehende Bemühungen oder nicht vorgenommene Bemühungen müssen bei der Ermessensausübung zwingend berücksichtigt werden.

Wir bitten Ihr Ministerium, diese Faktoren bei Ihren bevorstehenden Verhandlungen mit der Lürssen Werft zu berücksichtigen und keine Entschädigung zu zahlen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Miriam Saage-Maaß
Stellvertretende Legal Director, ECCHR


Den vollständigen Brief an Bundesminister Olaf Scholz finden Sie unter:
www.ecchr.eu/fileadmin/Offene_Briefe/Brief_ECCHR_Olaf_Scholz_20190528.pdf

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Quelle:
European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR)
Zossener Str. 55-58, Aufgang D, 10961 Berlin
Telefon: + 49 (0)30 - 40 04 85 90, Fax: + 49 (0)30 - 40 04 85 92
E-Mail: info@ecchr.eu,
Internet: www.ecchr.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2019

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