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EDITORIAL/053: Schmach der 68er (SB)



Wochendruckausgabe 53 der Elektronischen Zeitung Schattenblick zum 05.08.2017


Aufgeschlagene Schattenblick-Zeitung in den Händen eines Lesers - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Schmach der 68er

Wie viele Straßen auf dieser Welt sind Straßen von Hunger und Leid?
Wie viele Meere auf dieser Welt sind Meere der Traurigkeit?

Da ist gewiß vieles anders geworden seit jener vielversprechenden Wirtschafts- und Fortschrittsaufbauzeit vor gut 50 Jahren. Der Zorn und die Empörung, die heftig gestörte Wohlstandsträume durch die zunehmende Kenntnisnahme räuberischer Kriegs-, Unterdrückungs- und Ausbeutungswillkür bei jener heranwachsenden Generation hierzulande ansprechen konnten, die, als Erben und Nutznießer der ungeheuren Nachkriegsproduktivität in ihrer naiven Himmelbettkultur voller großartiger Zukunftserwartungen und sorglosestem Dauerkonsens aufgewachsen, erzogen und geprägt, vermutlich genau deshalb offen dafür waren, scheinen für immer verloren gegangen zu sein. Sie brachten seinerzeit die aufregenden und vielversprechenden Explosionen und sozialseismischen Erschütterungen großer und in wesentlichen Fragen gleich ausgerichteter, dem Protest und dem Widerstand verpflichteter Bewegungen, Aktionen und Veränderungen mit sich, welche zunehmend den Eindruck zu erwecken schienen, die ungerechten Verhältnisse in der Welt gegen sich kehren und wenden zu können.

In der Gegenwart als gescheiterte, reintegrierte und korrumpierte 68er definiert, verankert und versickert im Alltag rentengestützter Perspektiven bestenfalls mitleidserregend, hat diese Generation offenbar ihren damaligen Aufbruchsoptimismus und ihr wütendes, unbestechliches Engagement am Ende doch aufgebraucht und dem bloßen Lebenserhalt geopfert. Die Menschen dieser Zeit ducken sich offenbar vor dem Wissen um die Last indessen allzu aufgeklärter Konkurrenz- und Überlebensanforderungen einer entzauberten Wirklichkeit, die sich bestenfalls noch in kurz-, mittel- und langfristige Perspektiven zerlegen läßt.

Die der naiven und gutmütigen Hoffnung zuzusprechende Bereitschaft, die Gesellschaft zu überraschen und mit ihrer Empörung anzustecken, scheint im Grau alltäglicher Vor- und Nachbereitungszwänge der bloßen Existenzgestaltung besonders in den privilegierten Metropolen untergegangen zu sein.

Die Gewißheit jedoch ist unerschütterlich, die, gedeckt durch lange, geschichtliche Erfahrung, im wesentlichen eigentlich immer wieder aufdeckt und zum Tragen bringt, daß der Schein doch trügt.

Redaktion Schattenblick


4. August 2017


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