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EDITORIAL/095: Ausgereizt (SB)



Wochendruckausgabe 95 der Elektronischen Zeitung Schattenblick zum 21.07.2018


Aufgeschlagene Schattenblick-Zeitung in den Händen eines Lesers - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Ausgereizt

»Sacredam«, murmelte Leclère in den Bart."

... und schwankte, gestreckt durch den Galgen, an dem er aufgeknüpft war, und stemmte seine Füße gegen die Kiste, auf der er gerade noch stand.

[...] Nachdem Bastard sich vergewissert hatte, daß niemand in der Nähe war, setzte er sich ruhig hin, hob die Oberlippe zu einem Grinsen, warf Leclère einen Blick zu und leckte sich das Maul.

»Jetzt sehe ich mein Ende vor mir«, sagte der Mann und lachte laut und bitter.

Bastard kam jetzt näher, das verstümmelte Ohr baumelte, das gesunde war wie in teuflischem Verstehen der Worte gespitzt. Er legte den Kopf gutgelaunt auf die Seite und bewegte sich mit gezierten und tänzelnden Schritten. Er rieb seinen Körper freundlich gegen die Kiste, immer wieder, so daß sie ins Schwanken kam. Leclère bemühte sich, sein Gleichgewicht zu bewahren.

»Bastard«, sagte er ruhig. »Paß auf. Ick töten dir.«

Bastard knurrte, als er das Wort hörte und rüttelte noch kräftiger an der Kiste. Dann stellte er sich auf die Hinterläufe und warf mit den Vorderpfoten sein ganzes Gewicht gegen den Oberteil der Kiste. Leclère versuchte ihm mit dem einen Fuß einen Tritt zu geben, aber das schmerzte an seinem Hals und gab ihm einen Ruck, daß er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.

»Heha! Geh! Marsch!« rief er.

Bastard zog sich etwa zwanzig Fuß weit zurück. In seinem Gebaren lag eine feindliche Gleichgültigkeit, die Leclère nicht mißverstehen konnte. Er erinnerte sich, daß der Hund oft die Eiskruste auf einem Wasserloch zerbrochen hatte, indem er hochsprang und sich mit seinem ganzen Gewicht auf das Eis fallen ließ. Und als er hieran dachte, verstand er auch, was das Tier vorhatte. Bastard drehte sich um und blieb einen Augenblick stehen. Er bleckte seine weißen Zähne zu einem bösen Grinsen, das Leclère beantwortete. Und dann sauste der Körper des Hundes mit voller Kraft durch die Luft auf die Kiste zu.

Als Slackwater Charley und Webster Shaw eine Viertelstunde später zurückkehrten, sahen sie ein unheimliches Pendel, das in der unsicheren Beleuchtung hin und her schwang. Als sie schnell näher liefen, stellten sie fest, daß es der tote Körper eines Mannes und ein lebendes Wesen waren, das sich an die Leiche festkrallte und daran stieß und zerrte, so daß beide hin- und hergeschleudert wurden.

»He! Weg da, du Höllensproß!« brüllte Webster Shaw.

Aber Bastard warf ihm nur einen Blick zu und knurrte drohend, ohne seine Kiefer zu lockern.

Slackwater Charley zog seinen Revolver, aber seine Hand zitterte, als ob ihn fror, und er kam mit der Waffe nicht zurecht.

»Nimm du sie«, sagte er und reichte sie dem andern.

Webster Shaw lachte kurz auf, zielte zwischen die glühenden Augen und drückte ab. Bastards Körper zuckte, als er getroffen wurde, dann peitschte er einen Augenblick im Todeskampf mit der Rute den Boden und erschlaffte plötzlich. Aber seine Zähne hielten ihre Beute immer noch." [1]

In der dramatischen Erzählung Bastard von Jack London, erschienen u.a. in der Sammlung Drei Sonnen am Himmel im Jahre 1934, hatte sich der treue Hund Bastard am Ende einer todesgefährlichen Feindschaft zwischen ihm und seinem Besitzer Leclère schließlich doch besonnen, gegen seinen innersten Kodex und seine hündische Ergebenheit kompromißos zu verstoßen.

Wann entschließt sich der innerlich und äußerlich weitreichend zerrissene und in seinem ewigen Anpassungsstreben taumelnde Hund "Europa" im Angesicht nicht endender Dauergefährdung und zermürbender Attacken endlich zur befreienden Tat?

Ihre Schattenblick-Redaktion


Anmerkung:

[1] aus: Jack London, Drei Sonnen am Himmel, Büchergilde Gutenberg, 1934, in Übersetzung von Erwin Magnus, Kapitel 6, Bastard.
http://gutenberg.spiegel.de/buch/drei-sonnen-am-himmel-10089/6


20. Juli 2018


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