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KIRCHE/1006: Herst-Vollversammlung - Eröffnungsreferat und Predigt während der Vesper (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 20.09.2010

Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, während der Vesper zum Beginn der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda am 20. September 2010


Kol 1,9-11

Mit der Schubkraft der Hoffnung



Liebe Mitbrüder,

mit dem Gebet des hl. Apostels Paulus und des Bruders Timotheus für die Gläubigen von Kolossä spricht die Lesung auch uns eine Ermutigung zu, uns, die wir nun hier am Grab des heiligen Bonifatius miteinander unsere Vollversammlung beginnen: "Wir hören nicht auf, inständig für euch zu beten, dass ihr in aller Weisheit und Einsicht, die der Geist schenkt, den Willen des Herrn ganz erkennt. [..] Er gebe Euch ... viel Kraft, damit ihr in allem Geduld und Ausdauer habt."(Kol 1,9.11) Dieses Gebet der Apostel können wir ebenso wie die Fürbitte des heiligen Bonifatius wahrhaft brauchen. Wir haben seit unserer letzten Vollversammlung in Freiburg Wochen und Monate durchlebt, die unsere ganze Kraft und Ausdauer erfordert haben; eine Zeit, die uns und unsere Kirche geprägt und verändert hat.

"Nicht das Auge hat Erkenntnis, sondern der Rücken, der die Last trägt"[1], so beschreibt die schwedische Dichterin Hedvig Fornander das Lebenswissen, das uns aus eigener Erfahrung zuwächst. Eine christliche Lebensdeutung aus dem Glauben, wie sie uns schon der hl. Paulus in seinem Brief an die Römer bezeugt, weiß daher auch Zeiten der Bedrängnis einzuordnen. "Denn wir wissen" - schreibt er - "Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt uns nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist ..." (Röm 5,3-5) Unsere Hoffnung, die Hoffnung der Glaubenden, steht nach Paulus auf zwei Säulen: Durch Jesus Christus haben wir den Zugang zu der Gnade erhalten, in der wir stehen. Einen zweiten Ursprung der Hoffnung sieht er in der Bewährung, die in der Bedrängnis wächst. In der Bedrängnis erstarkt jene Hoffnung, die unseren Glauben an die beständige Gegenwart Gottes in unserem Leben und in unserer Zeit nährt und kräftigt.

Zeiten der Bedrängnis, die zu Zeiten der Hoffnung und Zuversicht werden - eine Sicht, die sich nicht auf Knopfdruck und automatisch erschließt. Offensichtlich hat der Apostel in immer neuen Herausforderungen und Widrigkeiten, in Gefängnishaft, in Todesgefahr, bei Schiffbruch, in vielfachen körperlichen Züchtigungen aber die Erfahrung gemacht, die ihn zu diesem Bekenntnis bringt. Vielleicht kann uns eine Folie aus der Technik helfen, dieser Erfahrung nachzuspüren.

Wenn wir große Distanzen in kurzer Zeit überwinden wollen und in ein Flugzeug steigen, dann denken wir sicherlich selten an die faszinierende Wirkweise des Düsentriebwerks, das den 400 Tonnen einer Boeing 747 erst erlaubt, vom Boden abzuheben. Auch wenn es wie ein komplizierter Mechanismus erscheint, ist seine grundlegende Arbeitsweise einfach. Luft wird durch einen Kompressor angesaugt und verdichtet. Trifft nun die verdichtete Luft in der Brennkammer auf das Kerosin, dann dehnt sich das brennende Treibstoff-Gas-Gemisch so enorm aus, dass es mit extrem hoher Geschwindigkeit durch die Schubdüse ausgestoßen wird.

Nehmen wir nun als Bild für die Bedrängnis, die durch den Kompressor in die Enge getriebene Luft, dann kann sie nur dann nützlich sein, wenn die Luft durch die Verbrennung des Treibstoffs ständig expandieren kann. Nur so wird sie mit enormer Wucht durch die Schubdüse ausgestoßen. Die Fruchtbarkeit der Bedrängnis besteht - im Bild gesprochen - in der Schubkraft, die sie auslöst.

Wenn wir das Bild weiter geistlich zu deuten versuchen, dann brauchen wir in der Bedrängnis einen geschützten Raum, der nicht nur den angestauten Druck aushält, sondern auch eine Verbindung herstellt zum eigentlichen Kraftstoff. Paulus spricht hier vom Heiligen Geist, der uns mit der Liebe Gottes verbindet. Die Brennkammer der Bedrängnis ist gleichzeitig Ort des Mysterium Paschale, in das wir hineingenommen werden. Hier stehen wir - mit Hans Urs von Balthasar gesprochen - im Dienst an der bereits geschehenen Versöhnung, "der ... nicht nur ... (ohnmächtiges) Flehen ist, sondern ein Einsatz der totalen Existenz bis zum »Hingegossenwerden als Opfer«"[2]. Wir stehen dazwischen. Wir wissen um den Ostersieg Jesu Christi und um seine Erhöhung, wie wir es auch gerade im Canticum der Vesper gebetet haben. Die überreiche Gnade, die Gott, der Vater, uns in seinem geliebten Sohn geschenkt hat. Die Erlösung durch sein Blut und die Vergebung der Sünden. Und dennoch sind wir "noch in der Welt" (Joh 17,11) und unser "Leben ist mit Christus verborgen in Gott" (Kol 3,3). Balthasar beschreibt dies als "Vorweg-schon-Sein dessen, was man nicht anders als in glaubender »Hoffnung« ergreifen kann und deshalb »in Geduld erharren« muss" (Röm 8,24f). Wie die verdichtete Luft in der Brennkammer nur durch die beständige Treibstoffzuleitung sich so ausdehnen kann, dass sie zur Schubkraft für 400 Tonnen wird, so können auch wir in Zeiten der Bedrängnis nur neue Zuversicht schöpfen, wenn wir in Geduld und Ausdauer den Geist Gottes, der sich unserer Schwachheit annimmt, erwarten und uns von ihm erfüllen und leiten lassen.

In dieser Herzkammer der vertrauten Beziehung mit dem Herrn kann das Vertrauen, das die Gemeinschaft mit ihm schenkt, die Klagen der Bedrängnis öffnen und in Fragen verwandeln. Und die Fragen in neue Einsichten. Und die Einsicht in die Schubkraft des neuen Aufbruchs.

Wir brauchen - gerade auch in der Bedrängnis - diesen Raum, in dem wir neu hören können, was der Geist Gottes uns sagen und wozu er uns bewegen will. Welcher Auftrag Gottes verborgen innewohnt. Dazu ist Geduld nötig; auch geduldiges Zuhören auf die "Kompressoren", die Druck aufbauen. In der Bedrängnis entsteht Hoffnung, wenn es uns gelingt, in Ausdauer auszuharren und dabei alle Besorgnis fahren zu lassen und uns neu auszurichten auf das große Ziel: das Wachsen des Reiches Gottes. Die Schubkraft der Hoffnung ist das Geschenk, das Gott uns gerade in der Bedrängnis bereithält. Ihre Kraft kommt aus der Erkenntnis, dass Gott handelt - in der Geschichte der Zeit und im Hier und Jetzt. Diesen Kairos dürfen wir nicht verstreichen lassen. Gott, der Herr, ist es, der uns den Horizont öffnet und uns seine Wege erkennen lässt. Dazu haben wir uns versammelt. Erbitten wir vom Herrn die Schubkraft der Geduld, der Ausdauer und der Hoffnung für uns und unsere Kirche. Amen.


[1] zit. aus Gerhard Lohfink, Beten schenkt Heimat, S. 246.

[2] Hans Urs von Balthasar, Theologie der drei Tage, Johannes Verlag Einsiedeln, Freiburg 1990, S. 255.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 143 vom 20. September 2010
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2010