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KIRCHE/897: "Klare Weisungen für die gesamte Kirche" - Papstbrief an die Katholiken in Irland (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 20.03.2010

"Klare Weisungen für die gesamte Kirche"

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch zum Papstbrief an die Katholiken in Irland


Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, erklärt zum heute im Vatikan veröffentlichten Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. an die katholische Kirche in Irland:

"Papst Benedikt XVI. wendet sich durch seinen Hirtenbrief mit eindringlichen Worten an die Katholiken in Irland. Was er ihnen sagt, hat Geltung für die ganze Kirche und ist eindeutig eine Botschaft auch an uns in Deutschland. Ohne Wenn und Aber verurteilt der Papst die schrecklichen Verbrechen, die an jungen Menschen begangen wurden, als Mitglieder der Kirche, besonders Priester und Ordensleute, sie sexuell missbrauchten. Seine schonungslose Analyse zeigt, dass sich der Heilige Vater dem Problem sexuellen Missbrauchs mit Ernst und mit großer Sorge stellt. Dabei beklagt er, dass häufig auf die 'ausreichende menschliche, moralische, intellektuelle und geistliche Ausbildung in Seminarien' viel zu wenig Wert gelegt wurde. Vorrang hat für den Papst die Perspektive der Opfer. Deshalb kritisiert er den zum Teil übermäßigen Täterschutz, den die Kirche häufig praktiziert habe. Wieder und wieder drängt er darauf, dass die Vorgaben der Justiz und des staatlichen Rechts einzuhalten seien. Vor allem aber müsse es, soweit das möglich ist, Heilung für die Opfer geben. Es sind ergreifende Worte, die Papst Benedikt XVI. findet, wenn er sich an die Opfer wendet und sie um Vergebung bittet: 'Im Namen der Kirche drücke ich offen die Schande und die Reue aus, die wir alle fühlen.'

Besonders bewegen mich die deutlichen Worte des Papstes an die Priester und Ordensleute, die sich versündigt haben. Sie haben das Vertrauen junger Menschen aufs Schlimmste verletzt und müssen sich vor Gott und den Gerichten verantworten. Auch die Kritik des Papstes an den kirchlichen Autoritäten lässt keine Fragen offen. Wenn die bittere Wahrheit offen ausgesprochen wird, wirkt dies schmerzlich, aber auch befreiend. Ich bin für diese Worte dankbar. Wir wissen, dass auch bei uns in Deutschland Fehler gemacht wurden. Wir deutschen Bischöfe haben solche Fehler bei unserer Frühjahrsvollversammlung in Freiburg deutlich erkannt und eingestanden. Wir dürfen Fehler nicht wiederholen und brauchen auch in Deutschland eine lückenlose Aufklärung und uneingeschränkte Transparenz. Daran arbeiten wir in allen Bistümern. Deshalb verstehe ich die Mahnung des Papstes an die Bischöfe in Irland zugleich auch als Mahnung an uns. Der Skandal sexuellen Missbrauchs ist kein bloß irisches Problem, er ist ein Skandal der Kirche an vielen Orten und er ist der Skandal der Kirche in Deutschland.

Der Brief des Papstes ist auch ein geistliches Dokument, das geistige und moralische Entwicklungen begreifen und aus dem Glauben deuten will. Der Papst ist geprägt von der Hoffnung, dass Gottes Liebe im Leben von Opfern und Tätern neue Anfänge möglich macht. Der Glaube motiviert vor allem dazu, die Wunden zu heilen, soweit dies menschlich möglich ist. Mit herzlichen Worten wendet sich der Papst an die junge Generation Irlands und bittet sie eindringlich, trotz aller tragischen Erfahrungen nicht an der Kirche zu verzweifeln, sondern an ihrer Erneuerung mitzuwirken. Dazu trägt auch eine große Geste des Papstes bei: Er fügt seinem Brief ein Gebet der Hoffnung auf einen neuen Anfang bei, das er der Kirche in Irland widmet. Ich bitte die Gläubigen in Deutschland, sich dieses Gebet als Gebet auch für unser Land anzueignen. Wir gehen den Weg der Aufklärung und Aufarbeitung, den Weg des aufmerksamen Hinschauens und der Prävention. Es ist ein langer Weg, der Zeit braucht und Mühe kostet, den wir in Manchem noch lernen müssen, aber wir werden keine Zeit verstreichen lassen. Der Heilige Vater ruft auch uns zu, dass wir diesen Weg der Heilung, Erneuerung und Wiedergutmachung ohne Angst und gläubigen Mutes gehen sollen."

Hinweis:
Den Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. an die Katholiken in Irland sowie das Pressestatement von Bischof Dr. Stephan Ackermann (Trier) finden Sie im Anhang und unter www.dbk.de


*


HIRTENBRIEF
DES HEILIGEN VATERS
PAPST BENEDIKT XVI.
AN DIE KATHOLIKEN IN IRLAND


1. Liebe Schwestern und Brüder, mit großer Sorge schreibe ich euch als Hirte der weltweiten Kirche. Wie Euch haben auch mich die Informationen über den Missbrauch an Kindern und Schutzbefohlenen durch Mitglieder der Kirche Irlands, besonders durch Priester und Ordensleute, sehr beunruhigt. Ich kann die Bestürzung und das Gefühl des Vertrauensbruchs nur teilen, das so viele von euch beim Erfahren dieser sündhaften und kriminellen Taten und der Art der Autoritäten der Kirche, damit umzugehen, erfahren haben.

Wie ihr wisst habe ich erst kürzlich die irischen Bischöfe zu einem Treffen hier in Rom eingeladen, dass sie über ihren Umgang mit diesen Angelegenheiten in der Vergangenheit berichten und um die Schritte aufzuzeigen, die sie unternommen haben, um auf diese schwerwiegende Situation zu reagieren. Gemeinsam mit höheren Verantwortlichen der römischen Kurie habe ich gehört, was sie, sowohl einzeln als auch als Gruppe, zu der Analyse der begangenen Fehler und der gelernten Lektionen, als auch in der Darstellung der Programme und jetzt geltenden Richtlinien zu sagen hatten. Unsere Diskussionen waren offen und konstruktiv. Ich bin zuversichtlich, dass resultierend aus diesen Gesprächen die Bischöfe nun besser in der Lage sind, die Aufgabe zu übernehmen, die vergangenen Ungerechtigkeiten wieder gut zu machen und das weitergehende Thema des Missbrauchs an Minderjährigen in einer Weise anzugehen, die den Anforderungen der Justiz und der Lehre des Evangeliums entspricht.

2. Die Schwere der Vergehen und die oftmals unangemessenen Reaktion der kirchlichen Autoritäten in eurem Land erwägend habe ich entschieden, diesen Hirtenbrief zu schreiben, um meine Nähe zu euch auszudrücken und einen Weg der Heilung, der Erneuerung und der Wiedergutmachung vorzuschlagen.

Wie viele in Eurem Land betont haben: es ist wahr, dass das Problem des Missbrauchs von Kindern weder ein rein irisches noch ein rein kirchliches ist. Trotzdem ist Eure Aufgabe nun, das Problem des Missbrauchs aufzuarbeiten, das in der irischen katholischen Gemeinschaft entstanden ist, und dies mit Mut und Bestimmtheit zu tun. Niemand erwartet, dass diese schmerzhafte Situation sich schnell lösen lässt. Wirklicher Fortschritt ist gemacht worden, aber es bleibt noch viel zu tun. Durchhaltevermögen und Gebet sind nötig, mit großem Vertrauen in die heilende Kraft der Gnade Gottes.

Gleichzeitig muss ich aber auch meine Überzeugung mitteilen, dass die Kirche in Irland, um von dieser tiefen Wunde zu genesen, die schwere Sünde gegen schutzlose Kinder vor Gott und vor anderen offen zugeben muss. Solch eine Anerkennung, begleitet durch ernste Reue für die Verletzung dieser Opfer und ihrer Familien, muss zu einer gemeinsamen Anstrengung führen, um den Schutz von Kindern vor ähnlichen Verbrechen in der Zukunft sicher zu stellen.

Da Ihr nun die Herausforderungen des Augenblicks auf euch nehmt bitte ich euch, "blickt auf den Felsen, aus dem ihr herausgehauen seid" (Jesaja 51:1). Bedenkt den großherzigen und oft heroischen Beitrag, den vergangene Generationen irischer Männer und Frauen für die Kirche und die ganze Menschheit geleistet haben. Lasst Euch das Ansporn sein für eine ehrliche Selbstbetrachtung und ein engagiertes Programm kirchlicher und persönlicher Erneuerung. Ich bete dafür, dass die Kirche in Irland, durch den Beistand der vielen Heiligen und gereinigt durch Reue, die augenblickliche Krise überwindet und erneut ein Zeuge für die Wahrheit und die Güte des allmächtigen Gottes wird, die sich zeigt in seinem Sohn Jesus Christus.

3. In der Geschichte waren die Katholiken Irlands immer eine starke Kraft für das Gute, in der Heimat und außerhalb. Keltische Mönche wie der heilige Kolumban haben das Evangelium in Westeuropa verbreitet und das Fundament für die mittelalterliche Klosterkultur gelegt. Die Ideale von Heiligkeit, Nächstenliebe und transzendenter Weisheit, geboren aus dem christlichen Glauben, fanden ihren Ausdruck in den Kirchen und Klöstern, in den Schulen, Bibliotheken und Hospitälern, die alle daran mitwirkten, die geistige Identität Europas zu festigen. Diese irischen Missionare haben ihre Stärke aus dem festen Glauben, der starken Leitung und der aufrechtem Verhalten der Kirche in ihrem Mutterland gewonnen.

Beginnend mit dem 16. Jahrhundert haben die Katholiken in Irland eine lange Zeit der Verfolgung erdulden müssen, während derer sie sich mühten, die Flamme des Glaubens unter gefährlichen und schwierigen Umständen lebendig zu halten. Der Heilige Oliver Plunkett, der Märtyrerbischof von Armagh, ist das berühmteste Beispiel einer ganzen Schar von mutigen Söhnen und Töchtern Irlands, die bereit waren, ihr Leben aus Treue zum Evangelium hinzugeben. Nach der katholischen Emanzipation war die Kirche frei, neu zu wachsen. Familien und zahllose Einzelne, die den Glauben in Zeiten der Prüfung erhalten haben, wurden zum Auslöser für das große Wiederaufleben des irischen Katholizismus im 19. Jahrhundert. Die Kirche bot Bildung, besonders für die Armen, und leistete dadurch ihren Beitrag zur Gesellschaft Irlands. Zu den Früchten des Wachsens der neuen katholischen Schulen gehörte eine Zunahme in Berufungen: Generationen von Missionaren, Schwestern und Brüdern, haben ihr Heimatland verlassen um auf allen Kontinenten zu dienen, besonders in der englischsprachigen Welt. Bemerkenswert waren nicht nur ihre große Zahl, sondern auch die Stärke ihres Glaubens und die Standhaftigkeit ihres pastoralen Engagements. Viele Bistümer, besonders in Afrika, Amerika und Australien, haben von der Präsenz irischer Geistlicher und Ordensleute profitiert, die das Evangelium verkündeten und Pfarreien, Schulen, Universitäten und Krankenhäuser gründeten, die sowohl den Katholiken als auch der gesamten Gesellschaft dienten, mit besonderem Augenmerk auf die Bedürfnisse der Armen.

In fast jeder Familie in Irland gibt es jemanden - einen Sohn oder eine Tochter, einen Onkel oder eine Tante - der sein Leben der Kirche gegeben hat. Irische Familien würdigen und schätzen zu Recht die Ihren, die ihr Leben Christus geweiht haben, die das Geschenk des Glaubens mit anderen Teilen und aus diesem Glauben Taten folgen lassen, in liebendem Dienst an Gott und dem Nächsten.

4. In den vergangenen Dekaden hatte die Kirche in Eurem Land jedoch neue und schwere Herausforderungen für den Glauben durch die rasche Transformation und Säkularisierung der irischen Gesellschaft zu bestehen. Der schnelllebige soziale Wandel hat oft genug das traditionelle Festhalten der Menschen an den katholischen Lehren und Werten beeinträchtigt. Viel zu oft wurden die sakramentalen und andächtigen Gebräuche vernachlässigt, die den Glauben erhalten und ihm erlauben, zu wachsen, wie etwa die regelmäßige Beichte, das tägliche Gebet und jährliche Einkehrtage. Bedeutsam war während dieser Zeit ebenfalls die Tendenz vieler Priester und Ordensleute, Weisen des Denkens und der Einschätzung säkularer Realitäten ohne ausreichenden Bezug zum Evangelium zu übernehmen. Das Programm der Erneuerung, dass das Zweite Vatikanische Konzil vorgelegt hat, wurde häufig falsch gelesen; im Licht des tiefen sozialen Wandels war es schwer, die richtigen Weisen der Umsetzung zu finden. Es gab im Besonderen die wohlmeinende aber fehlgeleitete Tendenz, Strafen für kanonisch irreguläre Umstände zu vermeiden. In diesem Gesamtkontext müssen wir das verstörende Problem des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu verstehen versuchen, das nicht wenig zur Schwächung des Glaubens und dem Verlust des Respekts vor der Kirche und ihre Lehren beigetragen hat.

Nur durch sorgfältige Prüfung der vielen Faktoren die zum Entstehen der augenblicklichen Krise geführt haben kann eine klare Diagnose ihrer Gründe unternommen und können wirkungsvolle Abhilfemaßnahmen gefunden werden. Sicherlich können wir zu den entscheidenden Faktoren hinzuzählen: unangemessene Verfahren zur Feststellung der Eignung von Kandidaten für das Priesteramt und das Ordensleben; nicht ausreichende menschliche, moralische, intellektuelle und geistliche Ausbildung in Seminarien und Noviziaten; eine Tendenz in der Gesellschaft, den Klerus und andere Autoritäten zu favorisieren; und eine fehlgeleitete Sorge für den Ruf der Kirche und die Vermeidung von Skandalen, die zum Versagen in der Anwendung bestehender kanonischer Strafen und im Schutz der Würde jeder Person geführt hat. Es muss dringend gehandelt werden um diese Faktoren anzugehen, die so tragische Konsequenzen in den Leben von Opfern und ihrer Familien hatten und die das Licht des Evangeliums in einer solchen Weise verdunkelt haben, wie es noch nicht einmal Jahrhunderten der Verfolgung gelungen ist.

5. Bereits mehrfach seit meiner Wahl auf den Stuhl Petri habe ich Opfer sexuellen Missbrauchs getroffen und ich bin bereit, das auch in Zukunft zu tun. Ich habe mit ihnen zusammen gesessen, habe ihre Geschichten gehört, ihr Leiden wahrgenommen und ich habe mit ihnen und für sie gebetet. Schon früher in meinem Pontifikat habe ich in meiner Sorge diese Frage anzusprechen, die Bischöfe Irlands aufgefordert, "die Wahrheit dessen, was in der Vergangenheit geschehen ist, festzustellen, jede notwendige Maßnahme zu ergreifen, damit das nie wieder geschehen kann, sicherzustellen, dass die Vorgaben der Justiz voll eingehalten werden und, am wichtigsten, den Opfern und allen von diesen ungeheuerlichen Verbrechen Betroffenen Heilung zu bringen" (Ansprache an die Bischöfe von Irland während des Ad Limina Besuchs, 28. Oktober 2006).

Mit diesem Brief möchte ich euch alle, das Volk Gottes in Irland, ermahnen, die Wunden am Körper Christi zu betrachten. Betrachtet aber auch die manchmal schmerzhaften Heilmittel, die wir brauchen, um diese Wunden zu binden und zu heilen, und ebenfalls die Notwendigkeit der Einheit, der Nächstenliebe und der gegenseitigen Unterstützung in einem langwierigen Prozess der Wiederherstellung und kirchlicher Erneuerung. Ich wende mich nun an euch mit Worten, die von Herzen kommen und ich möchte zu euch einzeln und zu euch allen gemeinsam als Brüder und Schwestern im Herrn sprechen.

6. An die Opfer des Missbrauchs und ihre Familien

Ihr habt viel gelitten und ich bedaure das aufrecht. Ich weiß, dass nichts das Erlittene ungeschehen machen kann. Euer Vertrauen wurde verraten und eure Würde wurde verletzt. Viele von Euch mussten erfahren, dass, als Ihr den Mut gefunden habt, über das zu spreche, was euch zugestoßen ist, Euch niemand zugehört hat. Diejenigen von euch, denen das in Wohnheimen und Internaten geschehen ist, müssen gefühlt haben, dass es kein Entkommen gibt aus Eurem Leid. Es ist verständlich, dass es schwer für Euch ist, der Kirche zu vergeben oder sich mit ihr zu versöhnen. Im Namen der Kirche drücke ich offen die Schande und die Reue aus, die wir alle fühlen. Gleichzeitig bitte ich Euch, die Hoffnung nicht aufzugeben. In der Gemeinschaft der Kirche begegnen wir Christus, der selbst ein Opfer von Ungerechtigkeit und Sünde war. Wie ihr trägt er immer noch die Wunden seines eigenen ungerechten Leidens. Er versteht die Tiefe eures Leides und die fortdauernden Auswirkungen auf Euer Leben und Eure eigenen Beziehungen, eingeschlossen Eure Beziehung zur Kirche. Ich weiß, dass es einigen von euch schwer fällt durch die Türen der Kirche zu gehen nach allem, was passiert ist. Aber Christi eigene Wunden, verwandelt durch sein erlösendes Leiden, sind der Weg, durch den die Macht des Bösen gebrochen wird und wir zu Leben und Hoffnung wiedergeboren sind. Ich glaube zutiefst, dass diese heilende Kraft der aufopfernden Liebe Befreiung und die Verheißung eines Neuanfangs bringt - sogar in den dunkelsten und hoffnungslosesten Situationen.

Ich spreche zu Euch als Hirte, der sich um das Wohl aller Kinder Gottes sorgt und bitte Euch, zu bedenken, was ich gesagt habe. Ich bete, dass durch die Annäherung an Christus und durch die Teilnahme am Leben seiner Kirche - einer Kirche gereinigt durch Buße und erneuert in Nächstenliebe - Ihr die unermessliche Liebe Christi für jeden von Euch wiederentdecken könnt. Ich bin zuversichtlich, dass Ihr auf diese Weise Versöhnung, tiefe innere Heilung und Frieden finden könnt.

7. An die Priester und Ordensleute, die Kinder missbraucht haben

Ihr habt das Vertrauen, das von unschuldigen jungen Menschen und ihren Familien in Euch gesetzt wurde, verraten und Ihr müsst Euch vor dem allmächtigen Gott und vor den zuständigen Gerichten dafür verantworten. Ihr habt die Achtung der Menschen Irlands verspielt und Schande und Unehre auf Eure Mitbrüder gebracht. Die Priester unter Euch haben die Heiligkeit des Weihesakraments verletzt, in dem Christus sich selbst in uns und unseren Handlungen gegenwärtig macht. Gemeinsam mit dem immensen Leid, das Ihr den Opfern angetan habt, wurde die Kirche und die öffentlichen Wahrnehmung des Priestertums und des Ordensleben beschädigt.

Ich mahne Euch, Euer Gewissen zu erforschen, Verantwortung für die begangenen Sünden zu übernehmen und demütig Euer Bedauern auszudrücken. Ehrliche Reue öffnet die Tür zu Gottes Vergebung und die Gnade ehrlicher Besserung. Durch Gebet und Buße für die, denen Ihr Unrecht getan habt, sollt ihr persönlich für Euer Handeln Sühne leisten. Christi erlösendes Opfer hat die Kraft, sogar die größte Sünde zu vergeben und Gutes sogar aus dem schlimmsten Übel wachsen zu lassen. Gleichzeitig ruft uns Gottes Gerechtigkeit dazu auf, Rechenschaft über unsere Taten abzulegen und nichts zu verheimlichen. Erkennt Eure Schuld öffentlich an, unterwerft Euch der Rechtsprechung, aber verzweifelt nicht an der Gnade Gottes.

8. An die Eltern

Ihr seid zutiefst entsetzt über die furchtbaren Dinge, die an den Orten stattgefunden haben, die eigentlich die sichersten und sorgenfreiesten Orte hätte sein sollen. Es ist heute nicht einfach, ein Zuhause zu bilden und Kinder zu erziehen. Sie verdienen es, sicher aufzuwachsen, geliebt und geschätzt mit einem starken Gefühl ihrer Identität und ihres Wertes. Sie haben das Recht, mit authentischen moralischen Werten erzogen zu werden, zutiefst in der Menschenwürde verankert. Sie haben das Recht, inspiriert zu werden durch die Wahrheit unseres katholischen Glaubens und Weisen des Verhaltens und Handelns zu erlernen, die zu einem gesunden Selbstwert und zu dauerhaftem Glück führen. Diese noble aber auch anspruchsvolle Aufgabe ist zuallererst Euch anvertraut, den Eltern. Ich bitte Euch dringend, Eure Rolle bei der Gewährleistung der besten möglichen Fürsorge für die Kinder sowohl zu Hause als auch in der Gesellschaft zu spielen, während die Kirche ihre Rolle wahrnimmt und weiter die Maßnahmen der letzten Jahre umsetzt um junge Menschen in Pfarreien und Schulen zu schützen. Während Ihr Eure lebenswichtige Verantwortung wahrnehmt möchte ich Euch versichern, dass ich Euch nahe bin und die Unterstützung meiner Gebete anbiete.

9. An die Kinder und die Jugend Irlands

Euch möchte ich ganz besonders ermutigen. Eure Erfahrung der Kirche ist sehr unterschiedlich von der Eurer Eltern und Großeltern. Die Welt hat sich sehr geändert seit sie in Eurem Alter waren. Trotzdem sind alle Menschen aller Generationen dazu berufen, denselben Weg durchs Leben zu gehen, gleich unter welchen Umständen. Wir sind alle skandalisiert von den Sünden und dem Versagen von einigen Mitgliedern der Kirche, besonders durch die derer, die eigens dazu ausgesucht waren, jungen Menschen zu dienen und sie anzuleiten. Aber es ist die Kirche, in der Ihr Christus findet, der derselbe ist, gestern, heute und morgen (Hebräerbrief 13:8). Er liebt Euch und er hat sich am Kreuz für Euch hingegeben. Sucht eine persönliche Beziehung zu ihm in der Gemeinschaft der Kirche, denn er wird nie Euer Vertrauen missbrauchen! Er allein kann Eure tiefsten Sehnsüchte erfüllen und Eurem Leben den vollen Sinn geben dadurch, dass er es zum Dienst am Nächsten lenkt. Haltet Eure Augen auf Jesus und seine Güte gerichtet und schützt die Flamme des Glaubens in Eurem Herzen. Gemeinsam mit den übrigen Gläubigen in Irland sehe ich in Euch treue Jünger unseres Herrn; bringt den nötigen Enthusiasmus und Idealismus zum Neuaufbau und der Erneuerung Eurer geliebten Kirche.

10. An die Priester und Ordensleute in Irland

Wir alle leiden als Folge der Sünden unserer Mitbrüder, die das heilige Vertrauen missbraucht haben oder versagt haben, gerecht und verantwortungsvoll mit den Missbrauchsvorwürfen umzugehen. In der Wut und der Empörung die das alles nicht nur unter den Gläubigen sondern auch unter Euch und in den Ordensgemeinschaften hervorgerufen hat, fühlen sich viele von Euch mutlos oder sogar verlassen. Mir ist ebenfalls bewusst, dass in den Augen vieler Ihr durch die Nähe zu den Tätern einen Makel tragt und als irgendwie verantwortlich für die Verbrechen anderer gesehen werdet. In dieser schmerzlichen Zeit möchte ich Eure Hingabe an das Priestertum und das Apostolat würdigen und Euch einladen, Euren Glauben in Christus zu festigen, Eure Liebe zu seiner Kirche und Euer Vertrauen in die Verheißung des Evangeliums auf Erlösung, Vergebung und innere Erneuerung. Auf diese Weise werdet ihr aufzeigen, dass da, wo die Sünde mächtig wurde, die Gnade übergroß wurde (Römerbrief 5:20).

Ich weiß, dass viele von Euch von der Art und Weise, wie diese Dinge von Euren Oberen behandelt wurden, enttäuscht, verwirrt und verärgert sind. Trotzdem ist es wesentlich, dass Ihr eng mit den Autoritäten kooperiert und helft, dass die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise wirklich dem Evangelium gemäß, gerecht und effektiv sind. Vor allem aber bitte ich Euch, immer mehr Männer und Frauen des Gebets zu werden, die mutig dem Weg der Bekehrung, Reinigung und Versöhnung gehen. Auf diese Weise wird die Kirche in Irland neues Leben und neue Dynamik aus Eurem Zeugnis für Gottes erlösende Kraft, die in Eurem Leben sichtbar wird, schöpfen.

11. An meine Mitbrüder im Bischofsamt

Es kann nicht geleugnet werden, dass einige von Euch und von Euren Vorgängern bei der Anwendung der seit langem bestehenden Vorschriften des Kirchenrechts zu sexuellem Missbrauch von Kindern versagt haben. Schwere Fehler sind bei der Behandlung von Vorwürfen gemacht worden. Ich erkenne an, dass es schwer war, die Komplexität und das Ausmaß des Problems zu erkennen, gesicherte Informationen zu erlangen und die richtigen Entscheidungen bei widersprüchlichen Expertenmeinungen zu treffen. Trotzdem muss zugegeben werden, dass schwerwiegende Fehlurteile getroffen wurden und Fehler in der Leitung vorkamen. Dies alles hat Eure Glaubwürdigkeit und Effektivität untergraben. Ich erkenne Eure Bemühungen an, vergangene Fehler wieder gut zu machen und zu garantieren, dass sie nicht wieder passieren. Abgesehen von der vollständigen Umsetzung der Normen des Kirchenrechts im Umgang mit Fällen von Kindesmissbrauch: kooperiert weiter mit den staatlichen Behörden in ihrem Bereich. Für die Ordensoberen gilt dasselbe. Sie haben ebenfalls an Diskussionen hier in Rom teilgenommen, um einen eindeutigen und klaren Weg zum Umgang in dieser Angelegenheit zu entwickeln. Es ist zwingend erforderlich, dass die Normen der Kirche in Irland zum Schutz von Kindern kontinuierlich überprüft und aktualisiert werden und dass sie vollständig und unabhängig in Übereinstimmung mit dem Kirchenrecht angewandt werden.

Ausschließlich entschiedene Handlungsweisen, umgesetzt in voller Aufrichtigkeit und Transparenz, wird den Respekt und den guten Willen des irischen Volks der Kirche gegenüber, der wir unser Leben geweiht habt, wiedergewinnen. Das muss zuallererst aus Eurer Selbsterforschung, aus innerer Reinigung und geistlicher Erneuerung kommen. Die Menschen Irlands erwarten zu Recht, dass Ihr Menschen Gottes seid, dass Ihr gottgefällig und einfach lebt und täglich die persönliche Bekehrung erstrebt. Für sie - in den Worten des heiligen Augustinus - seid Ihr Bischof; aber gemeinsam mit ihnen seid Ihr berufen, Christus nachzufolgen (Sermon 340, 1). Ich ermahne Euch deswegen, Euren Sinn für die Rechenschaftspflicht vor Gott zu erneuern, in der Solidarität mit Eurem Volk zu wachsen und die pastorale Sorge für alle Mitglieder Eurer Herde zu vertiefen. Besonders fordere ich Euch auf, achtsam zu sein für die geistlichen und moralischen Bedürfnisse jedes einzelnen Eurer Priester. Gebt ihnen durch Euer eigenes Leben ein Beispiel, seit ihnen nahe, hört auf ihre Anliegen, bietet Ermutigung in dieser schwierigen Zeit und nährt die Flamme ihrer Liebe zu Christus und ihr Engagement für den Dienst an ihren Brüdern und Schwestern.

Die Gläubigen sollen ebenfalls ermutigt werden, ihre eigene Rolle im Leben der Kirche zu spielen. Sorgt dafür, dass sie so ausgebildet sind, dass sie eine verständliche und überzeugende Darstellung des Evangeliums in mitten der modernen Gesellschaft geben können (1. Petrusbrief 3:15) und vollständiger mit dem Leben und dem Auftrag der Kirche kooperieren. Dies wird umgekehrt Euch helfen, wieder glaubwürdige Obere und Zeugen der erlösenden Wahrheit Christi zu werden.

12. An alle Gläubigen Irlands

Die Erfahrung der Kirche eines jungen Menschen sollte immer aus einer persönlichen und Leben spendenden Begegnung mit Jesus Christus in einer liebenden, nährenden Gemeinschaft Frucht bringen. In dieser Umgebung sollten junge Menschen ermutigt werden, ihre menschliche und geistliche Gestalt voll zu entwickeln, das hohe Ideal der Heiligkeit, der Nächstenliebe und der Wahrheit anzustreben, und von den Reichtümern der kulturellen und religiösen Tradition inspiriert zu sein. In unserer zunehmend säkularisierten Gesellschaft, in der selbst wir Christen es oft schwer finden, über die transzendente Dimension unserer Existenz zu sprechen, müssen wir neue Wege finden, jungen Menschen die Schönheit und den Reichtum der Freundschaft mit Christus in der Gemeinschaft der Kirche nahe zu bringen. Für die Bewältigung der gegenwärtigen Krise sind Maßnahmen, die gerecht mit individuellem Unrecht umgehen, unerlässlich, aber allein für sich sind sie nicht ausreichend: wir brauchen eine neue Vision, um zukünftige Generationen zu inspirieren, das Geschenk unseres gemeinsamen Glaubens zu schätzen. Indem Ihr den Weg des Evangeliums geht, durch das Halten der Gebote und dadurch, dass Ihr Euer Leben immer mehr in Übereinstimmung mit dem Leben Jesu Christi bringen, werdet Ihr sicher die tiefe Erneuerung erfahren, die wir in dieser Zeit so dringend brauchen. Ich lade Euch ein, auf diesem Weg beständig zu sein.

13. Liebe Brüder und Schwestern in Christus, ich wollte Euch diese Worte der Ermutigung und Unterstützung aus meiner Fürsorge für Euch alle in dieser schmerzvollen Zeit, in der die Zerbrechlichkeit des menschlichen Wesens so deutlich offenbar geworden ist, schreiben. Ich hoffe, dass Ihr sie als Zeichen meiner geistlichen Nähe und meiner Zuversicht in Eure Fähigkeit empfangt, den Herausforderungen der Stunde dadurch zu begegnen, dass Ihr erneuerte Inspiration und Stärke aus Irlands nobler Tradition der Treue zum Evangelium empfangt, Ausdauer im Glauben und Beharrlichkeit im Erstreben von Heiligkeit. In Solidarität mit Euch allen bete ich, dass mit Gottes Gnade die Wunden, die so viele Einzelne und Familien verletzt haben, heilen und dass die Kirche in Irland eine Zeit der Wiedergeburt und der geistlichen Erneuerung erfahre.

14. Ich möchte Euch nun auch einige konkrete Initiativen zum Umgang mit der Situation vorschlagen. Am Ende meines Treffens mit den irischen Bischöfen habe ich darum gebeten, dass diese Fastenzeit reserviert wird für das Gebet um das Ausgießen der Barmherzigkeit Gottes und der Geistesgaben der Heiligkeit und Stärke über der Kirche in Eurem Land. Ich lade Euch alle ein, die Freitagsbuße für die Dauer eines Jahres bis Ostern 2011 dieser Intention zu widmen. Ich bitte Euch, Euer Fasten, Euer Gebet, Eure Schriftlesung und Eure Werke der Nächstenliebe dem zu widmen, damit Ihr so die Gnade der Heilung und der Erneuerung für die Kirche in Irland erlangt. Ich ermutige Euch, aufs Neue das Sakrament der Versöhnung für Euch zu entdecken und häufiger die verwandelnde Kraft seiner Gnade zu nutzen.

Besondere Aufmerksamkeit sollte ebenfalls der eucharistischen Anbetung zuteil werden; in jedem Bistum soll es Kirchen oder Kapellen geben, die speziell diesem Zweck gewidmet sind. Ich fordere Pfarreien, Seminarien, Ordenshäuser und Klöster dazu auf, Zeiten eucharistischer Anbetung zu organisieren, so dass sich alle beteiligen können. Durch intensives Gebet vor dem anwesenden Herrn könnt Ihr Wiedergutmachung leisten für die Sünde des Missbrauchs, die so viel Schaden angerichtet hat. Gleichzeitig könnt Ihr so die Gnade neuer Stärke erflehen und einen tieferen Sinn des Auftrags aller Bischöfe, Priester, Ordensleute und Gläubigen.

Ich bin zuversichtlich, dass dieses Unterfangen zu einer Neugeburt der Kirche in Irland führen in der Fülle von Gottes Wahrheit führen wird, denn es ist die Wahrheit, die uns frei macht (Johannesevangelium 8:32).

Darüber hinaus, nachdem ich darüber beraten und gebetet habe, habe ich vor, eine Apostolische Visitation einiger Bistümer Irlands abzuhalten, ebenso von Seminarien und Ordensgemeinschaften. Absprachen für diese Visitation, die der Ortskirche auf ihrem Weg der Erneuerung helfen soll, werden in Absprache mit den zuständigen Büros der römischen Kurie und der irischen Bischofskonferenz getroffen. Die Einzelheiten werden zu gegebener Zeit bekannt gegeben.

Ich schlage ebenfalls eine gemeinsame Mission in ganz Irland für alle Bischöfe, Priester und Ordensleute vor. Es ist meine Hoffnung, dass durch das Nutzen der Expertise erfahrener Prediger und Exerzitienbegleiter von Irland und andernorts und durch das erneute Studium der Dokumente des Konzils, der liturgischen Riten von Weihe und Profess und der neueren päpstlichen Lehren, Ihr zu einem tieferen Verständnis für Eure jeweilige Berufung kommt, um so die Wurzeln Eures Glaubens in Jesus Christus wieder zu entdecken und aus dem Quell des lebendigen Wassers zu trinken, den er Euch durch seine Kirche bietet.

In diesem Jahr des Priesters empfehle ich Euch ganz besonders den heiligen Jean-Marie Vianney, der ein reiches Verständnis des Mysteriums des Priestertums hatte. Er schrieb: "der Priester hält den Schlüssel zu den Schätzen des Himmels: er ist es, der die Tür öffnet: er ist der Statthalter des guten Herrn; der Verwalter seiner Güter." Der Pfarrer von Ars verstand sehr gut, wie gesegnet eine Gemeinschaft ist, wenn ihr von einem guten und heiligen Priester gedient wird: "ein guter Hirte, ein Hüter nach Gottes Herzen, ist der größte Schatz, den Gott einer Gemeinde schenken kann und eines der wertvollsten Geschenke göttlicher Gnade." Durch die Fürsprache des heiligen Jean-Marie Vianney möge das Priestertum in Irland neu belebt werden und möge die ganze Kirche in Irland wachsen in Wertschätzung für das große Geschenk des priesterlichen Dienstes.

An dieser Stelle möchte ich denen im voraus danken, die an der Aufgabe der Organisation der Apostolischen Visitation und der Mission beteiligt sind, und genauso den vielen Männern und Frauen in ganz Irland, die schon heute für den Schutz von Kindern im kirchlichen Umfeld arbeiten. Seit der Zeit, als wir begonnen haben, die Schwere und das Ausmaß des Problems zu verstehen, hat die Kirche eine ungemein große Anstrengung in vielen Teilen der Welt geleistet, um sich dem zu stellen und um Abhilfe zu schaffen. Auch wenn keine Anstrengung aufgespart werden sollte, die Verfahren zu verbessern und zu aktualisieren, bin ich doch ermutigt durch die Tatsache, dass die augenblicklichen Verfahren zur Absicherung, die die Kirche eingeführt hat, in einigen Teilen der Welt als vorbildlich für andere Institutionen angesehen werden.

Ich möchte diesen Brief mit einem besonderen Gebet für die Kirche in Irland beenden, das ich Euch mit der besonderen Sorge des Vaters für seine Kinder und der Zuneigung eines Mitchristen sende, der skandalisiert und verletzt ist durch das, was in unserer geliebten Kirche geschehen ist. Wenn Ihr es in Euren Familien, Pfarreien und Gemeinschaften betet, möge die selige Jungfrau Maria jeden von Euch schützen und leiten zu einer engeren Verbindung mit ihrem Sohn, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Mit großer Zuneigung und unentwegter Zuversicht in Gottes Zusage sende ich Euch herzlich meinen apostolischen Segen als eine Zusage von Stärke und Frieden im Herrn.

Aus dem Vatikan, 19. März 2010, am Hochfest des heiligen Josef

BENEDIKTUS PP. XVI.

(Übersetzung Hirtenbrief und Gebet: Radio Vatikan)


GEBET FÜR DIE KIRCHE IN IRLAND

Gott unser Vater,
erneuere uns im Glauben, der unser Leben und unsere Rettung ist,
in der Hoffnung, die uns Vergebung und innere Erneuerung verheißt,
in der Nächstenliebe, die uns reinigt und unsere Herzen öffnet,
dass wir dich lieben und in dir jeden unserer Brüder und Schwestern.

Herr Jesus Christus,
möge die Kirche in Irland ihre uralte Hingabe
an die Bildung für junge Menschen zu Wahrheit und Güte,
Heiligkeit und freizügigem Dienst an der Gesellschaft erneuern.

Heiliger Geist, Tröster, Anwalt und Lenker,
erwecke einen neuen Frühling der Heiligkeit und apostolischen Eifers
für die Kirche in Irland

Mögen unser Leid und unsere Tränen,
unsere ernsten Anstrengungen, vergangene Untaten wieder gut zu machen,
und unsere feste Absicht der Besserung
eine reiche Ernte der Gnade tragen
für die Vertiefung des Glaubens
in unseren Familien, Pfarreien, Schulen und Gemeinschaften,
für den geistlichen Fortschritt der irischen Gesellschaft,
und das Wachsen in Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Freude und Frieden,
in der gesamten Menschheitsfamilie.

Dir, dreieiniger Gott,
vertrauend auf den liebenden Schutz Mariens,
Königin Irlands, unserer Mutter,
und des heiligen Patrick, der heiligen Brigid und aller Heiligen,
vertrauen wir dir uns, unsere Kinder,
und die Nöte der Kirche in Irland an.

Amen


*


Sprechzettel von Bischof Dr. Stephan Ackermann, Trier

Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz


Pressestatement zum Hirtenbrief des Hl. Vaters, Papst Benedikt XVI. an die Katholiken Irlands vom 19. März 2010

Der Hirtenbrief liegt mir bisher lediglich in einer unautorisierten deutschen Arbeitsübersetzung durch Radio Vatikan vor. Insgesamt kann es zu diesem Zeitpunkt nur um eine Vorstellung und erste Kommentierung gehen.

Der Brief gliedert sich in 14 Abschnitte und endet mit einem Gebet für die Kirche in Irland. Ich würde den Brief in seinem Stil als einfühlsam, klar und spirituell zugleich charakterisieren.

Inhalt:
In den ersten beiden Abschnitten schildert der Papst die in Irland durch den sexuellen Missbrauch an Kindern und Schutzbefohlenen entstandene Situation. Gleich im dritten Satz wird der Papst sehr deutlich, wenn er sagt: »Ich kann die Bestürzung und das Gefühl des Vertrauensbruchs nur teilen, das so viele von euch beim Erfahren dieser sündhaften und kriminellen Taten und der Art der Autoritäten der Kirche, damit umzugehen, erfahren haben.« Wenige Sätze später macht er unmissverständlich klar, dass er davon ausgeht, dass - nicht zuletzt durch die Gespräche, die er mit den irischen Bischöfen in der letzten Zeit geführt hat - nun eine Weise des Umgangs mit dem Thema gefunden wird, »die den Anforderungen der Justiz und der Lehre des Evangeliums entspricht« (Nr. 1).

Im nächsten Abschnitt benennt der Papst mit den kriminellen Vergehen der Täter noch einmal offen die »oftmals unangemessene Reaktion der kirchlichen Autoritäten« (Nr. 2), kritisiert also klar die Bischöfe und Ordensoberen in ihrem Vorgehen und sieht die Absicht seines Briefes darin, »einen Weg der Heilung, der Erneuerung und der Wiedergutmachung vorzuschlagen.« Wenn auch, wie der Papst sagt, »das Problem des Missbrauchs von Kindern weder ein rein irisches noch ein rein kirchliches ist«, so weist der Papst doch darauf hin, dass es zur Aufarbeitung gehört, die begangene Sünde gegen schutzlose Kinder vor Gott und vor anderen offen zuzugeben, sie anzunehmen, sie zu bereuen und für die Zukunft einen Schutz vor solchen Verbrechen sicher zu stellen.

Im Fortgang des Textes wirft der Papst einen Blick zurück in die Geschichte der irischen Kirche: Er erinnert an die vielen Missionare, die die irische Kirche hervorgebracht hat, angefangen von den keltischen Mönchen, die von Irland her auf das europäische Festland kamen, um dort die Botschaft des christlichen Glaubens zu verbreiten und dabei das Fundament der mittelalterlichen Klosterkultur gelegt haben. Der Papst erinnert an die Erziehungs- und Bildungsleistung, die in den Klöstern stattgefunden hat. Sodann wirft der Papst einen Blick auf die Zeit der Verfolgung der irischen Katholiken, die im 16. Jahrhundert begann. Nach der neu errungenen Freiheit erlebte der irische Katholizismus im 19. Jahrhundert eine neue Blüte, von der auch die große Zahl der geistlichen Berufungen zeugt, von denen viele ihre Heimat verließen, um auf allen Kontinenten tätig zu werden, vor allem in der englischsprachigen Welt.

Was die jüngste Vergangenheit der zurückliegenden Jahrzehnte angeht, nimmt der Papst die schweren Herausforderungen für den Glauben in den Blick, die durch »die rasche Transformation und Säkularisierung der irischen Gesellschaft« zu bestehen waren (Nr. 4). In diesem Zusammenhang beklagt er u. a., dass viele Priester und Ordensleute, sich stärker von Säkularisierungstendenzen haben prägen lassen als von den Prinzipien des Evangeliums. Er beklagt ein falsches Verständnis des Erneuerungsprogramms des II. Vatikanischen Konzils, das mitbedingt war durch die tiefgreifenden Wandlungen der irischen Gesellschaft. In besonderer Weise nennt der Papst kritisch »die wohlmeinende aber fehlgeleitete Tendenz, Strafen für kanonisch irreguläre Umstände zu vermeiden« (Nr. 4). Offensichtlich hat es also klare Verstöße gegen die eindeutigen Normen des Kirchenrechts gegeben, gerade auch im Bereich des sexuellen Missbrauchs.

In seiner skizzenhaften Analyse, die zur Krise der irischen Kirche geführt hat, nennt der Papst konkret auch: 1. »unangemessene Verfahren zur Feststellung der Eignung von Kandidaten für das Priesteramt und das Ordensleben«, 2. eine »nicht ausreichende menschliche, moralische, intellektuelle und geistliche Ausbildung in Seminarien und Noviziaten«, 3. »eine Tendenz in der Gesellschaft, den Klerus und andere Autoritäten zu favorisieren«, d. h. m. E. sie in übertriebener Weise hochzuschätzen und zu schützen; und 4. »eine fehlgeleitete Sorge für den Ruf der Kirche und die Vermeidung von Skandalen.« Diese Faktoren haben dazu geführt, dass vorgesehene kirchenrechtliche Strafen nicht angewendet wurden und die Würde der Person, das heißt der Missbrauchsopfer, nicht ausreichend geschützt wurde.

Nach dieser Kurzanalyse erinnert der Papst in der Nr. 5 daran, dass er bereits mehrfach mit Opfern sexuellen Missbrauchs zusammengetroffen ist (am Rande der USA-Reise und des Weltjugendtags in Australien 2008) und er bereit ist, dies auch in Zukunft zu tun. Er stellt sich damit persönlich den Leidensgeschichten der Opfer und verspricht ihnen seine Nähe im Gebet.

In den nächsten sieben Abschnitten wendet er sich dann an einzelne von der Missbrauchsproblematik betroffene Gruppen:

- An die Opfer der Missbrauchs (Nr. 6)
Sie werden als erste genannt. Für sie findet der Papst, nach meinem Urteil, sehr einfühlsame Worte: »Ihr habt viel gelitten und ich bedaure das aufrichtig. Ich weiß, dass nichts das Erlittene ungeschehen machen kann. Euer Vertrauen wurde verraten und eure Würde wurde verletzt. Viele von Euch mussten erfahren, dass, als Ihr den Mut gefunden habt, über das zu sprechen, was euch zugestoßen ist, Euch niemand zugehört hat. Diejenigen von euch, denen das in Wohnheimen und Internaten geschehen ist, müssen gefühlt haben, dass es kein Entkommen gibt aus Eurem Leid. Es ist verständlich, dass es schwer für Euch ist, der Kirche zu vergeben oder sich mit ihr zu versöhnen. Im Namen der Kirche drücke ich offen die Schande und die Reue aus, die wir alle fühlen. Gleichzeitig bitte ich Euch, die Hoffnung nicht aufzugeben.« (Nr. 6). Sehr eindrücklich ist, dass Papst Benedikt die Opfer ganz in der Nähe Jesu selbst sieht, sie gewissermaßen mit ihm identifiziert und daran erinnert, dass auch Jesus Opfer ungerechten Leidens geworden ist, ausgelöst durch den Verrat aus den eigenen Reihen. Zugleich erneuert der Papst die tiefe christliche Hoffnung, »Christi eigene Wunden, verwandelt durch sein erlösendes Leiden, [...] der Weg [sind], durch den die Macht des Bösen gebrochen wird.«

- An die Täter (Nr. 7)
Die zweite Gruppe, die angesprochen wird, sind die Täter. Der Abschnitt ist kürzer als der vorangehende, lässt aber an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der Papst spricht vom »Verrat« des Vertrauens, das junge Menschen und Familien in sie gesetzt haben, er ruft die Verantwortung vor dem allmächtigen Gott und den irdischen Gerichten ins Bewusstsein. Wörtlich schreibt der Papst: »Ihr habt die Achtung der Menschen Irlands verspielt und Schande und Unehre auf Eure Mitbrüder gebracht. Die Priester unter Euch haben die Heiligkeit des Weihesakraments verletzt ... Gemeinsam mit dem immensen Leid, das Ihr den Opfern angetan habt, wurde die Kirche und die öffentlichen Wahrnehmung des Priestertums und des Ordensleben beschädigt. Ich mahne Euch, Euer Gewissen zu erforschen, Verantwortung für die begangenen Sünden zu übernehmen und demütig Euer Bedauern auszudrücken ... Erkennt Eure Schuld öffentlich an, unterwerft Euch der Rechtsprechung, aber verzweifelt nicht an der Gnade Gottes.« In diesen Worten wird deutlich, dass der Papst die Täter in keiner Weise entlastet. Sie tragen die Verantwortung.

- An die Eltern missbrauchter Kinder (Nr. 8)
Dann kommen die Eltern in den Blick, und auch hier schlägt der Papst eine sehr einfühlsame Sprache an, wenn er den Eltern schreibt: »Ihr seid zutiefst entsetzt über die furchtbaren Dinge, die an den Orten stattgefunden haben, die eigentlich die sichersten und sorgenfreiesten Orte hätte sein sollen. Es ist heute nicht einfach, ein Zuhause zu bilden und Kinder zu erziehen. Sie verdienen es, sicher aufzuwachsen, geliebt und geschätzt mit einem starken Gefühl ihrer Identität und ihres Wertes.« Er bittet die Eltern mitzuhelfen, dass die Kinder ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln können und bittet auch um Mitsorge bei der Prävention.

- An die irischen Kinder und Jugendlichen von heute (Nr. 9)
Die irischen Kindern und Jugendlichen weist Benedikt XVI. darauf hin, dass sich Kirche und Welt seit der Zeit ihrer Eltern und Großeltern sehr verändert haben. Er bittet die Kinder und Jugendlichen, sich durch die Skandale nicht vom Aufbau einer Beziehung zu Jesus Christus abbringen zu lassen. Zugleich bittet der Papst die jungen Menschen darum, mitzuhelfen an der Erneuerung der Kirche in Irland.

- Die Priester und Ordensleute (Nr. 10)
In der Ansprache an diese Gruppe spürt man die Zerreißproben, in die die Priester und Ordensleute in Irland durch die aktuelle Situation gestellt sind: Die Wut, die Empörung und die Enttäuschung derjenigen, die in der Öffentlichkeit unter den Verbrechen der Täter zu leiden haben, wird nicht verschwiegen. Der Papst bittet dennoch herzlich um die für eine Erneuerung und Versöhnung notwendige Kooperation mit den Kirchenoberen.

- An die Bischöfe (Nr. 11)
Hier wird die Sprache wieder sehr klar und unmissverständlich: Es ist von »Versagen« früherer und heutiger Bischöfe die Rede, der mangelnden Anwendung des Kirchenrechts. Der Papst spricht von »Fehlurteilen« und »Leitungsfehlern«, die zu einem gravierenden Glaubwürdigkeitsverlust geführt haben. Der Papst erwartet nun Entschiedenheit, volle Aufrichtigkeit und Transparenz. Er ermahnt die Bischöfe zu mehr Solidarität mit dem Volk Gottes und zu größerer pastoraler Sorge. Er fordert die Bischöfe und Ordensoberen auch dazu auf, achtsamer zu sein auf die geistlichen und moralischen Bedürfnisse der Priester, das heißt, in stärkerer Weise ein offenes Ohr auch für ihre Nöte zu haben. Schließlich wendet sich der Papst gegen eine Klerikalisierung der Kirche, indem er dazu ermutigt, den Laien stärker die ihnen eigene Rolle im Leben der Kirche zukommen zu lassen.

- An alle Gläubigen in Irland (Nr. 12)<<br /> Alle Gläubigen in Irland werden darauf hingewiesen, dass es zum einen geeignete Maßnahmen zur Aufarbeitung der Krise braucht, darüber hinaus aber für die Kirche im Land eine Vision vonnöten ist, um nach vorne zu schauen und zukünftige Generationen aus dem Glauben heraus zu inspirieren.

Der Brief schließt in der Nr. 14 damit, dass der Papst einige Initiativen vorschlägt bzw. ankündigt:

1. Benedikt XVI. schlägt vor, nicht nur in der noch verbleibenden Fastenzeit, sondern bis Ostern 2011 den Freitag, der traditionellerweise in der katholischen Kirche den Charakter eines Buß- und Fasttags trägt, im Anliegen der Erneuerung der Kirche Irlands zu begehen und dabei um »das Ausgießen der Barmherzigkeit Gottes und der Geistesgaben der Heiligkeit und Stärke« zu beten. Es geht dem Papst also um einen geistlichen Weg der Erneuerung, zu dem auch das Bußsakrament und die Eucharistische Anbetung gehören.

2. Darüberhinaus kündigt der Papst eine Apostolische Visitation einiger Bistümer, Seminare und Ordensgemeinschaften an, wobei er keine namentliche Nennung vornimmt.

3. Schließlich schlägt er eine sog. Mission in ganz Irland für alle Bischöfe, Priester und Ordensleute vor. Daraus wird deutlich, dass der Papst die tiefere Ursache der schrecklichen Verfehlungen in Irland in einer Krise des Glaubens und des gesamten kirchlichen Lebens begründet sieht, die durch die Missbrauchsskandale in schrechklicher Weise offenbar geworden ist.



Kommentierende Hinweise:
1. Die Missbrauchsfälle in der Kirche in Deutschland werden nicht eigens genannt, was aber nicht verwunderlich ist bei einem Brief, der ausdrücklich an die irischen Katholiken gerichtet ist und die kirchliche Situation dort, gerade auch mit ihrer spezifischen Geschichte in den Blick nimmt.

2. Dennoch gelten die grundsätzlichen Aussagen des Briefes auch für uns in Deutschland, ja weltweit. Dazu gehören

die eindeutige Verurteilung sexuellen Missbrauchs als Verbrechen (hier war die Lehre der Kirche immer eindeutig);
die Aufforderung, Vergehen und Fehler offen einzugestehen;
die offene Kritik an jeder falschen Sorge um den Ruf der Kirche und die Vermeidung von Skandalen (Nr. 4);
der primäre Blick auf die Opfer in Aufarbeitung und Prävention;
keine Entlastung der Verantwortung der Täter bei unzweideutiger und scharfer an Kritik mangelnder Verantwortung kirchlicher Autoritäten (Bischöfe, Obere);
die Einschärfung der genauen Einhaltung der kirchenrechtlichen Normen;
der klare, mehrfach wiederholte Appell, mit den staatlichen Behörden zu »kooperieren« und die Vorgaben der Justiz voll einzuhalten 1 ;
die Mahnung zu einer soliden Priesterausbildung;
die Kritik an einem klerikalistisch verengten Kirchenverständnis (Nrn. 4 und 11).

3. Paradigmatisch ist selbstverständlich auch die Einbettung der gesamten Missbrauchsthematik in den Horizont des Glaubens. Der Brief des Papstes macht aber zweifelsfrei klar, dass die Perspektive des Glaubens die juristische, menschliche, individual- und sozialpsychologische Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in keiner Weise ersetzen oder verbrämen soll. Vielmehr geht es um eine Perspektive, die die genannten Instrumente und Methoden übersteigt und auch da noch auf Versöhnung, auf Heilung und Neuanfang hofft, wo unsere menschlichen Mittel an ihr Ende kommen. Um diese gläubige Perspektive kann der Papst freilich letztlich nur werben.

20.03.2010


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 049, 049a und 049b vom 20. März 2010
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2010