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KIRCHE/914: "Christen sind gefordert" - Zollitsch zum Auftakt des Ökumenischen Kirchentags (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 12.05.2010

"Christen sind gefordert"

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zum Auftakt des Ökumenischen Kirchentags


Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, hat zum Auftakt des Zweiten Ökumenischen Kirchentags das gute Verhältnis zwischen Kirche und Staat gewürdigt. Bei einem Empfang des Evangelischen Arbeitskreises in der Union (EAK) sagte Zollitsch in München, dass der EAK ein Garant für den entschiedenen Dialog sei. "Es gilt durch Wort und Tat zu zeigen, was es heißt, in Verantwortung vor Gott und den Menschen zu leben. Christliche Politiker und Parteien, die in ihrem Namen das 'C' führen, werden die Kriterien in der evangelischen Sozialethik und Katholischen Soziallehre suchen, um dem Menschen zu dienen und den Herausforderungen der Zeit zu begegnen. Sie werden die ethischen Schätze des christlichen Glaubens heben und sie bei der Gestaltung von Politik anwenden", so Erzbischof Zollitsch.

Es sei gut, dass die Debatten über das "C" in der Politik immer wieder neu entfacht würden: "Sie sind notwendig, weil die Botschaft des Evangeliums stets unter den Zeichen der Zeit konkretisiert werden muss, um fruchtbar in Politik und Gesellschaft wirken zu können. Gewiss geschieht diese Konkretisierung nicht ohne Kontroversen. Kontroversen gehören zum politischen Alltag. Allerdings dürfen ihre Ergebnisse die christlichen Grundwerte einer Partei, die in ihrem Namen das 'C' führt, nicht verdunkeln. Darum müssen Politiker unterschiedlicher Konfessionen gemeinsam ringen", betonte Zollitsch. Christen seien weder eine Kontrastgesellschaft, eine Art christliche Sonderwelt, in der sie abgeschlossen von gesellschaftlichen Entwicklungen für sich lebten, noch dürften sie sich zu Zaungästen der Gesellschaft machen. "Vielmehr stehen wir in der Verantwortung, als Christen und Glieder der Gesellschaft in diese hineinzuwirken. Wir haben den Auftrag, den Blick über die Gegenwart hinaus zu richten und insbesondere Anwalt derjenigen zu sein, die nicht mit dem hohen Tempo der Gesellschaft Schritt halten können oder deren Anliegen nicht gehört werden. Das ist der Auftrag des Evangeliums. An ihm nehmen Christen Maß. Für die Botschaft des Evangeliums ergreifen wir die Stimme und bringen sie in den öffentlichen Dialog ein", so der Erzbischof.

Erzbischof Zollitsch merkte an, dass jemand, der einen solchen Dialog führe, sich auch immer einem Risiko aussetze, was sich nicht vermeiden lasse. "Es bedeutet aber, dass man zum Dialog befähigt sein muss und eine Einübung dazu braucht. Wer sich für den Dialog entscheidet, muss selbst ausreichend in der Lage sein, nicht nur Fragen standzuhalten und verlockende Alternativen kritisch betrachten zu können. Er muss auch aus der Kraft und Tiefe der eigenen Überzeugungen solche Antworten bieten, dass sie auch einen Andersdenkenden wenigstens intellektuell überzeugen."


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Grußwort des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, eim Empfang des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK) anlässlich des 2. Ökumenischen Kirchentages am 12. Mai 2010 in München


In den kommenden fünf Tagen wird das ohnehin attraktive Stadtbild Münchens um eine Besonderheit ergänzt: Über 100.000 Menschen haben sich zum 2. Ökumenischen Kirchentag angemeldet. Unter dem Leitwort "Damit ihr Hoffnung habt" kommen Christen verschiedener Bekenntnisse und unterschiedlichen Alters zusammen. Wir werden gemeinsam beten und in verschiedenen Foren über die sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit diskutieren - und davon, das muss ich in diesem Rahmen nicht eigens betonen - gibt es eine Menge. Kurzum: Wir haben viel vor uns!

Mit diesem Empfang, direkt nach der offiziellen Eröffnung des Ökumenischen Kirchentages, bieten Sie, der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU, ein erstes Forum für den Dialog zwischen Glaube und Politik. Dafür bin ich dankbar. Dieser Dialog ist auch ein Ausdruck des historisch gewachsenen Verhältnisses zwischen Kirche und Staat, in dem sich Unabhängigkeit voneinander mit Elementen des Zusammenwirkens verbinden.

Dialog, verehrte Damen und Herren, ist heute notwendiger denn je. In einer globalisierten und pluralen Welt gibt es keine Alternative zum offenen und von gegenseitigem Respekt geprägten Meinungsaustausch. Der EAK ist ein Garant für den entschiedenen Dialog. Seine Mitglieder setzen sich dafür ein, dass aus Freiheit nicht Beliebigkeit, aus Toleranz nicht Indifferenz und Gleichgültigkeit wird. Diese Aufgabe ist eine der wichtigsten Herausforderungen der Zukunft. Die Reihe der Themen und Referenten über die vergangenen fast sechs Jahrzehnte (gegründet 1952) sind ein lebendiger und beeindruckender Spiegel dieses Dialogs, der die Verantwortung vor Gott und den Menschen stärken will: Es waren Themen wie der demografische Wandel, die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, die internationale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, die Frage nach dem Schutz des arbeitsfreien Sonntags, die Zukunft von Ehe und Familie, die grenzenlos anmutenden Möglichkeiten der Biotechnologie oder die Verantwortung für die Schöpfung. Gemeinsam ist diesen nationalen und globalen Herausforderungen, dass sie alle nach einer gemeinwohlorientierten und generationengerechten Lösung rufen. Wie aber sollen wir die Aufgaben lösen? Anhand welcher Kriterien sollen wir entscheiden, wann ein Lösungskonzept, wann institutionelle Rahmenbedingungen ethisch vertretbar sind?

Bei der 38. Bundestagung des Evangelischen Arbeitskreises im Jahr 2001 in Fulda ging es um das Thema: "Das 'C'. Anspruch und Herausforderung im 21. Jahrhundert." Den Impulsvortrag hielt Frau Dr. Angela Merkel. Ihre Ausführungen könnten heute, knapp ein Jahrzehnt später, aktueller kaum sein, wenn sie hervorhebt, ich zitiere wörtlich: "Wenn ich mich in die Lage eines normalen Bürgers versetze, dann erwarte ich von der Politik mehr, als dass sie nur die letzte Umfrage, die gestern gemacht wurde, nachvollzieht. [...] Wenn Politik nichts weiter wäre als eine Ambulanzstation, die mal hier eine Binde und dort ein Pflästerchen austeilt, um das Schlimme, das sowieso passiert, ein bisschen zu mildern, dann deckt sich das nicht mit dem Anspruch, aus dem heraus wir Politik machen. [...] Ich erwarte, dass Politik, ausgehend von einem bestimmten Bild der Gesellschaft, den Anspruch erhebt, Entscheidungen so zu treffen, dass sich daraus für die Zukunft gute Chancen für die Menschen entwickeln. Dazu gehört auch, heute schon Dinge zu entscheiden, deren Wirkung ich vielleicht erst in zwei, drei, fünf oder sieben Jahren erkennen kann." Soweit das Zitat.

Hier, meine ich, sind wir Christen besonders gefordert: Es gilt durch Wort und Tat zu zeigen, was es heißt, in Verantwortung vor Gott und den Menschen zu leben. Christliche Politiker und Parteien, die in ihrem Namen das "C" führen werden die Kriterien in der evangelischen Sozialethik und Katholischen Soziallehre suchen, um dem Menschen zu dienen und den Herausforderungen der Zeit zu begegnen. Sie werden die ethischen Schätze des christlichen Glaubens heben und sie bei der Gestaltung von Politik anwenden. Es ist gut, dass die Debatten über das "C" in der Politik immer wieder neu entfacht werden. Sie sind notwendig, weil die Botschaft des Evangeliums stets unter den Zeichen der Zeit konkretisiert werden muss, um fruchtbar in Politik und Gesellschaft wirken zu können. Gewiss geschieht diese Konkretisierung nicht ohne Kontroversen. Kontroversen gehören zum politisches Alltag. Allerdings dürfen ihre Ergebnisse die christlichen Grundwerte einer Partei, die in ihrem Namen das "C" führt, nicht verdunkeln. Darum müssen Politiker unterschiedlicher Konfessionen gemeinsam ringen!

Denn Christen sind weder eine Kontrastgesellschaft, eine Art christliche Sonderwelt, in der sie abgeschlossen von gesellschaftlichen Entwicklungen für sich leben, noch dürfen wir uns zu Zaungästen der Gesellschaft machen. Vielmehr stehen wir in der Verantwortung, als Christen und Glieder der Gesellschaft in diese hineinzuwirken. Wir haben den Auftrag, den Blick über die Gegenwart hinaus zu richten und insbesondere Anwalt derjenigen zu sein, die nicht mit dem hohen Tempo der Gesellschaft Schritt halten können oder deren Anliegen nicht gehört werden. Das ist der Auftrag des Evangeliums. An ihm nehmen Christen Maß. Für die Botschaft des Evangeliums ergreifen wir die Stimme und bringen sie in den öffentlichen Dialog ein.

Es leuchtet ein: Wer einen solchen Dialog führt, setzt sich immer auch Risiken aus. Dies lässt sich gar nicht vermeiden. Es bedeutet aber, dass man zum Dialog befähigt sein muss und eine Einübung dazu braucht. Wer sich für den Dialog entscheidet, muss selbst ausreichend in der Lage sein, nicht nur Fragen standzuhalten und verlockende Alternativen kritisch betrachten zu können. Er muss auch aus der Kraft und Tiefe der eigenen Überzeugungen solche Antworten bieten, dass sie auch einen Andersdenkenden wenigstens intellektuell überzeugen.

Und noch eines scheint mir heute wichtig zu sein: Dialog lebt nicht weniger vom Hören, vom Zuhören, vom aufeinander Hören und aufmerksamen Wahrnehmen des anderen und dessen Meinung. Nicht ohne Grund hat der große Freiburger Theologe und Philosoph Bernhard Welte, das schöne und tiefsinnige Wort geprägt: "Es ist eine Gnade, auf einen Menschen zu treffen, der die Kunst des guten Zuhörens wirklich vermag. Ja man kommt allmählich darauf, dass gutes Zuhörenkönnen eine größere Kunst ist als gutes Redenkönnen." Im Zeitalter verbreiteter Talkshow-Mentalität und weit verbreiteter Worthülsen, in Zeiten, in denen nicht immer die besseren Argumente, sondern die lauteren Worte und aufwändigeren Inszenierungen zählen, braucht es Gelegenheiten des Hörens, des gehört und angehört Werdens, braucht es Orte, an denen es sich gehört, andere ausreden und aussprechen zu lassen.

In diesem Sinn freue mich auf die bevorstehenden Begegnungen. Ich wünsche uns allen inspirierende Gespräche, die Bereitschaft zu einem fairen Dialog sowie den Mut, nicht in erster Linie die aktuelle Mehrheitsfähigkeit, sondern die sachlich und ethisch begründete Stärke der Argumente zu suchen. Je mehr uns dies gelingt, desto mehr wird das Leitwort dieses Kirchentags mit Leben gefüllt: "Damit ihr Hoffnung habt".


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 083 und 083a vom 12. Mai 2010
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2010