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ASIEN/010: Die Kirchen angesichts der Spannungen in West-Papua (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 04/2010

Einheimische und Einwanderer
Die Kirchen angesichts der Spannungen in West-Papua

Von Theodor Hanf / Helga Dickow


Seit 1963 gehört der Westteil von Neuguinea zu Indonesien. Die einheimischen Papuas sind durch die Zuwanderung aus anderen Teilen des Inselstaats unter Druck. Die damit verbundenen Spannungen haben auch eine religiöse Dimension: Die meisten Ureinwohner von West-Papua sind Christen, mehrheitlich protestantischer Konfession. Die Zuwanderer dagegen sind Muslime, wie der Großteil der Indonesier.


Das Schicksal der Ureinwohner Nordamerikas und Australiens entschied sich bereits im 19. Jahrhundert: Sie wurden zu Minderheiten im ursprünglich eigenen Land, verdrängt von Zuwanderern, die aus moderneren Lebenswelten kamen und überlegene Waffen besaßen. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts widersetzen sich einheimische Bevölkerungen der Elfenbeinküste und Fidjis mit Krieg oder Militärputschen freien und allgemeinen Wahlen, in denen Zuwanderer an die Macht gelangen könnten. Im seit 1963 zu Indonesien gehörenden West-Papua laufen die einheimischen Papuas Gefahr, bereits in wenigen Jahren die Mehrheit an Migranten aus Java, Sulawesi oder den Molukken zu verlieren. Sie sperren sich dagegen, sind sich aber nicht darüber einig, welcher Mittel sie sich bedienen sollen.


Die Geschichte ihrer Begegnung mit der Außenwelt war kurz und höchst wechselhaft. "Entdeckt" oder in heutiger, politisch korrekter Diktion "kontaktiert" wurden ihre Küstenregionen zunächst von muslimischen Seefahrern und Händlern aus den Molukken vor wahrscheinlich rund 200 Jahren: seither gibt es eine kleine Minderheit muslimischer Papuas. 1828 wurde der Westteil Neuguineas eine niederländische Kolonie.


1855 gingen zwei deutsche evangelische Missionare im Gebiet der heutigen Stadt Manokwari an Land. Im Geschichtsbewusstsein der Papuas hat dieses Ereignis eine nahezu mythische Bedeutung: die Missionare knieten zum Gebet nieder und erklärten: "Dieses Land ist Gottes Land." Wie im benachbarten Niederländisch Ost-Indien wies die Kolonialadministration den nachfolgenden Missionaren nach Konfessionen getrennte Gebiete zu: Protestanten den Norden, Katholiken den Süden. In weite Gebiete des gebirgigen Binnenlandes aber gelangten weder Missionare noch Vertreter der Kolonialbehörden. Manche Papua-Gruppen hatten noch bis in die vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts keine Berührung mit der Außenwelt; auch heute sind sie nur mit dem Flugzeug zu erreichen - oder zu Fuß.


1961 tagte der erste Papuakongress

Zu Fuß kamen in erster Linie Missionare. Im Laufe eines Jahrhunderts sorgten sie dafür, dass die Papuas ein christliches (mehrheitlich protestantisches) Volk wurden, das freilich viele seiner überkommenen Sitten und Lebensvorstellungen beibehielt. Die Papuas lebten als Jäger und Sammler oder praktizierten Ackerbau mittels Brandrodung. Jeder ihrer rund 250 verschiedenen Stämme mit nahezu ebenso vielen unterschiedlichen Sprachen verfügte über Land, in dem sie nach einem Zyklus von etwa 60 Jahren an den Ausgangsort zurückkehrten, an dem inzwischen neuer Wald gewachsen war. Leicht verfügbare Nahrung lieferten das Mark der Sagopalme und die reichen Fischgründe der Flüsse und Seen. Ein wenig erinnern diese romantisierenden Darstellungen traditionalen Lebens, wie man sie von gebildeten Papuas hören kann, an die Idealvorstellungen, die sich ein Karl Marx vom nachrevolutionären Leben machte - morgens Jagen, nachmittags ein wenig Ackerbau, abends Fischen.


Dieses irdische Paradies wurde bedroht, als Niederländisch Indien 1949 nach einem mehrjährigen Befreiungskrieg die Kolonialherrschaft abschüttelte. Das unabhängige Indonesien erhob sofort Anspruch auf West-Neuguinea. Die Niederlande planten hingegen, dieses Territorium eigenständig in die Unabhängigkeit zu entlassen. 1961 trat der erste Papuakongress zusammen, proklamierte ein unabhängiges West-Papua und wählte die Morgensternfahne zum nationalen Symbol. Für die papuanische Nationalbewegung, die sich auf ihr Selbstbestimmungsrecht beruft, ist ihr Land seit diesem Datum ein selbständiger Staat.

Aber ihr Paradies ging bald verloren. Unter Druck der USA mussten die Niederlande 1962 abziehen und das Land einer Interimsverwaltung der Vereinten Nationen übergeben, die schon ein Jahr später von indonesischen Truppen und Administratoren abgelöst wurde. Die USA und Indonesien hatten zugesagt, eine Volksabstimmung solle endgültig über die Zukunft des Landes entscheiden.

1969 erfolgte der "Act of Free Choice", der zur Karikatur einer demokratischen Abstimmung geriet: 1026 von den indonesischen Behörden ernannte Papuas sprachen sich einstimmig für den Anschluss an Indonesien aus - unter starkem Druck, wie Beteiligte später bezeugten. Die Papuas reden daher von einem "Act of No Choice", der die neue Kolonisierung ihres Landes besiegelte - aber von den Vereinten Nationen anerkannt wurde.


Massive Zuwanderung aus anderen Teilen Indonesiens

Für Soekarno, den Gründer und ersten Präsidenten des indonesischen Staates, war dessen Einheit eines der obersten Ziele - gewiss eine "Einheit in Vielfalt", aber eine Einheit. Ob Javaner, Malaien oder Melanesier, ob Muslime, Christen, Hindus oder Angehörige anderer Religionen: Alle sollten gleichberechtigte Indonesier sein. Ein selbständiger West-Papua war ihm ebenso ein Gräuel wie eine Republik der Südmolukken oder andere separatistische Bewegungen. Alle seine Nachfolger haben an dieser nationalistischen Grundüberzeugung festgehalten.

Dies fiel ihnen umso leichter, als sie von gewichtigen materiellen Interessen gestützt wird. Die 1963 erworbene neue Provinz (umbenannt in Irian Barat, dann Irian Jaya) umfasst nicht weniger als ein Viertel des indonesischen Territoriums. Und sie ist eine der besonders üppig mit Bodenschätzen ausgestatteten. Es gibt Kupfer, Gold, Nickel, Bauxit, Erdöl und Erdgas, und nicht zuletzt riesige Wälder mit wertvollen Hölzern.


Diese Ressourcen wurden zunehmend erschlossen, von indonesischen Staatsunternehmen sowie zunehmend durch internationale Konzerne. Die Einnahmen, Verkaufserlöse oder Steuern kamen aber fast ausschließlich dem Zentralstaat zugute, für die Provinz fielen nur Brosamen ab. Die Erschließung der Bodenschätze hatte - und hat weiterhin - verheerende Folgen für die Bevölkerung. Hergebrachtes Bodenrecht wurde missachtet, Minen und Plantagen nahmen Land weg, das für die extensive Subsistenzwirtschaft nötig war. Großprojekte werden ohne jede Rücksicht auf die Umwelt durchgeführt und haben bereits zur Zerstörung ganzer Landstriche geführt.

Für den indonesischen Staat aber zahlen sie sich aus: Nicht weniger als ein Fünftel des gesamtstaatlichen Sozialprodukts entstammt diesen Projekten. Die größte Minengesellschaft, Freeport, ist sowohl der größte Umweltverschmutzer des Landes als auch der größte Steuerzahler.


Schon ein Jahr nach dem Anschluss an Indonesien begannen Auflehnung und Widerstand der Papuas, freilich eines von Beginn an hoffnungslos unterlegenen Widerstands. 1964 bildete sich die OPM (Organisasi Papua Merdeka, Papua Unabhängigkeitsorganisation). Sie bestand und besteht lediglich aus kleinen Gruppen, bewaffnet mit Speeren und Bogen, selten mit erbeuteten oder indonesischen Soldaten abgekauften Feuerwaffen. Was ihnen hilft, ist nur ihre Kenntnis des schwierigen Terrains von Wäldern und Gebirgen sowie, seit der Unabhängigkeit Papua-Neuguineas 1975, die Möglichkeit, sich über die lange Grenze zurückzuziehen. Ihre Aktionen haben bestenfalls symbolischen Wert; sie sind Nadelstiche gegen die indonesischen Sicherheitskräfte, nicht mehr.

Dass es die OPM gibt, hat letzteren aber immer wieder als Rechtfertigung für große militärische Operationen gedient. Deren erste begann 1965 und dauerte zwei Jahre. Ihr folgten zwölf weitere. Für die Tausende von Toten und zahllosen weiteren Menschenrechtsverletzungen wurde niemand zur Verantwortung gezogen. Selbst friedliche Proteste stießen auf unverhältnismäßige Härte: Hunderte von Papuas wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt, allein wegen des Hissens der Morgensternfahne. Was sich in diesen Jahren abspielte, nannte ein Kirchenführer die "Jagd auf die Papuas". Nach der Rückkehr Indonesiens zur Demokratie 1998 nahm sie an Intensität ab, wurde aber keineswegs beendet.


Die Atmosphäre der Furcht unter den Papuas hat allerdings ihren Ursprung nicht nur in der jahrelangen gewaltsamen Repression. Der Hauptgrund für ihre tiefe Angst vor der Zukunft ist vielmehr die Zuwanderung aus anderen Teilen Indonesiens. Seit dem Anschluss hat sich eine einschneidende demographische Veränderung vollzogen. 1963 bildeten die Papuas rund 97 Prozent der Bevölkerung. Heute stellen sie noch etwa die Hälfte, in vielen Städten sind sie bereits zur Minderheit geworden.

Die ersten Wellen von Zuwanderern kamen im Rahmen von staatlich geförderten Transmigrationsprogrammen, die das übervölkerte Java entlasten sollten und deren Zielgebiete vergleichsweise dünn besiedelte Gebiete wie Sumatra, Kalimantan und eben auch das damalige Irian Jaya waren. Die Transmigranten, meist arme Leute, konnten sich in ihrer Herkunftsregion kaum Chancen ausrechnen. Aber in den Zielgebieten erhielten sie vom indonesischen Staat Starthilfen und vor allem Land, und dieses Land wurde den Einheimischen weggenommen.


In den letzten zwei Jahrzehnten stellten nicht Teilnehmer solcher Programme die Mehrheit der Zuwanderer, sondern so genannte "spontane Transmigranten": Indonesier, die auf eigene Faust versuchen, in Papua ihr Glück zu machen. Sie zeichnen sich durch immensen Fleiß, Initiative und Lerneifer aus, wie das bei vielen Migrantengruppen der Fall ist. Unter ihnen finden sich besonders häufig Buginesen (aus Südsulawesi), aber auch Florinesen.

Ihr Bildungsstand ist in der Regel höher als der der Papuas. Vor allem aber sind sie letzteren durch größere Vertrautheit mit modernen Formen des Wirtschaftens überlegen. Sie verstehen es, die Chancen zu nutzen, die es in einer reichen Gegend gibt. Als Handwerker, Techniker und Kaufleute erarbeiten sie bescheidenen Wohlstand. Bevorzugt werden sie bei der Besetzung von Stellen in der staatlichen Verwaltung. Ausschlaggebend für ihren Erfolg ist aber vor allem ihre Geschäftstüchtigkeit: Papuas fischen, aber Migranten verkaufen Fische und betreiben Restaurants. Migranten dominieren selbst im Handel mit folkloristischen Produkten der Papuas. Kurz: Die einheimische Bevölkerung gerät zunehmend in die Lage einer Unterschicht. Da die Attraktivität der Provinz für weitere Zuwanderer nicht abnimmt, ist es wahrscheinlich, dass sie in naher Zukunft in der Mehrheit sein werden.

Als Indonesien vor gut einem Jahrzehnt zur Demokratie zurückkehrte, begann eine kurze Zeit der Hoffnung für die Papuas. Diese Hoffnung wurde genährt von den Ereignissen in Ost-Timor. In dieser früheren portugiesischen Kolonie hatte der Widerstand gegen die Annexion durch Indonesien im Jahre 1968 nie aufgehört. Bacharuddin Jusuf Habibie, der im Mai 1998 Suharto als Präsident abgelöst hatte, wollte den Kämpfen ein Ende setzen, indem er die Bevölkerung Ost-Timors in einem Referendum über Verbleib bei Indonesien oder Unabhängigkeit entscheiden ließ - sie optierte für die Unabhängigkeit. Die große Mehrheit der neuen politischen Klasse Indonesiens, über alle Parteigrenzen hin nationalistisch eingestellt, betrachtet seitdem den Verlust Ost-Timors als eine Warnung davor, irgendeinem anderen Teil des Staates das Selbstbestimmungsrecht zu gewähren.


Hin und Her um eine Sonderautonomie

Habibies Nachfolger Abdurrahman Wahid (genannt Gus Dur) zeigte durchaus Verständnis für die Anliegen der Papuas, war sich aber der auf Erhaltung der nationalen Einheit bestehenden Mehrheitsmeinung des 1999 aus freien Wahlen hervorgegangenen Parlamentes bewusst. Was die Papuas verlangten, ging ihm zu weit. Im Mai und Juni 2000 war der zweite Papuakongress zusammengetreten: Die 1961 beim ersten Kongress proklamierte Unabhängigkeit müsse nach den Jahren indonesischer Besatzung wiederhergestellt werden, der "Act of Free Choice" sei widerrechtlich zustande gekommen und ungültig. West-Papua lebte einige Monate in Euphorie: Eine Massendemonstration für die Unabhängigkeit folgte der anderen, allerorts wurde - nunmehr ungestraft - die Morgensternfahne gehisst und heftig darüber diskutiert, ob die Zuwanderer bleiben dürften oder nicht. Viele von diesen wanderten aus Furcht vor den Papuas wieder ab.


In den Kirchen wurde gebetet, die Unabhängigkeit möge schnell kommen - dass sie kommen werde, hielten die Papuas bereits für selbstverständlich. Gus Dur empfing eine Delegation des aus dem Kongress hervorgegangenen Papua-Präsidiums. Statt Unabhängigkeit schlug er eine weitgehende Autonomie vor mit eigenständiger Verfügung über die Ressourcen des Landes. Begleitet war dieses Angebot von symbolischen Gesten: Irian Jaya wurde in Papua umbenannt, die Morgensternfahne erhielt ihren Platz - neben der indonesischen.

Den Papua-Führern gingen diese Vorschläge nicht weit genug und vielen indonesischen Parlamentariern bereits zu weit. 2001 wurde dennoch ein Gesetz verabschiedet, mit dem Papua das Statut einer Sonderautonomie erhielt. Es bestätigte das Recht der Papuas auf Wahrung ihrer kulturellen Identität, den Landesnamen, die eigene Fahne und Hymne und auf eine Wahrheitskommission zur Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen. Papua wurden alle Kompetenzen zur Selbstregierung eingeräumt; ausgenommen blieben nur Verteidigung und Währungspolitik. 80 Prozent der Erträge von Holz- und Fischindustrie, 70 Prozent der Erdöl- und Erdgaseinkommen sollen zur Verfügung der Autonomieregierung stehen. Ein "Papua-Volksrat" soll die Interessen der einheimischen Bevölkerung repräsentieren.


Kurz: Die Autonomie nach diesem Gesetz war sicherlich weniger als volle Unabhängigkeit, gleichwohl substanziell. Sie fand weite Zustimmung bei den Papuas und auch internationale Anerkennung, sollte sich jedoch bald als toter Buchstabe erweisen. Das indonesische Parlament wählte im Juli 2001 Gus Dur ab. Im November wurde Theys Hiyo Eluay, der Vorsitzende des Papua-Präsidiums und einer der letzten Zeugen für den Zwangscharakter des "Free Choice", von Angehörigen einer Sondereinheit der Armee ermordet. Er hatte das Autonomiegesetz abgelehnt, sich aber für einen strikt friedlichen Kampf für die Unabhängigkeit eingesetzt.

Dieser Mord stand am Beginn einer Wende in der Politik der Zentralregierung gegenüber Papua. Gus Durs Nachfolgerin Megawati Sukarnoputri bestätigte zwar das Autonomiegesetz, befolgte es jedoch nicht. Als Tochter des Staatsgründers Indonesiens ist sie eine überzeugte Nationalistin. Sie zeigte Verständnis für die Befürchtungen nicht zuletzt vieler Militärs, Autonomie könne sich als eine Vorstufe zur völligen Trennung erweisen. Das Militär hatte bereits in der Amtszeit Gus Durs Verstärkungen nach Papua entsandt mit der Begründung, die großen Projekte und insbesondere Freeport bedürften bewaffneten Schutzes.


Megawati verzögerte die Berufung des Papua-Volksrats, und sie leitete eine neue Politik des divide et impera ein: Aus dem bisher einen Papua sollten nach ihrem Willen drei Provinzen werden. Nach heftigen Protesten des Provinzparlaments, der Kirchenführer, der Papua-Stammes- und Klanhäuptlinge und nicht zuletzt der Studenten beschränkte sie sich auf eine Zweiteilung. Auch diese ist jedoch zweifellos ein grober Verstoß gegen das Autonomiegesetz: Sie hätte nicht ohne Zustimmung des Provinzparlaments erfolgen dürfen.


Die religiöse Dimension der Spannungen

Auf Megawati folgte im Oktober 2004 der frühere General und langjährige Minister Susilo Bambang Yudhoyono als erster direkt vom Volk gewählter Präsident. Auch er ist ein überzeugter Verfechter der staatlichen Einheit Indonesiens, erwies sich jedoch in seiner Papua- Politik als ungemein geschickt. Er erlaubte die Gründung des Papua- Volksrats, änderte aber nichts an der Aufteilung in zwei Provinzen. Die Politik des divide et impera wird auf eine andere Weise fortgesetzt: Die administrativen Einheiten unterhalb der Provinzebene, Distrikte und Gemeinden, werden Schritt um Schritt geteilt und damit vermehrt.

Dies hat zwei Auswirkungen: Zum einen werden Wahl- und Verwaltungsämter vermehrt und damit eine wachsende Anzahl von Papuas eingebunden - die Einnahmen der Provinz machen es leicht, die Kosten für Gehälter aufzubringen; zum anderen wird die Anzahl von Polizisten und Soldaten entsprechend gesteigert - in Indonesien wird jeder Verwaltungseinheit ein Quotum bewaffneten Personals zugeteilt. Neben dem Zuckerbrot Beamtengehälter wird also die Peitsche bewaffneter Einheiten zumindest vorgezeigt, aber auch benutzt. Jegliche Manifestation, ob von Bauern oder Studenten, wird regelmäßig mit harter Hand unterdrückt. Kontrollen, Hausdurchsuchungen und Festnahmen von Verdächtigen - meist unter der Anschuldigung der Zusammenarbeit mit der OPM - sind an der Tagesordnung. Wie früher werden Menschen, welche die Morgensternfahne zeigen, hart bestraft.


Die Euphorie der Unabhängigkeitsbewegung von 2000 ist vergangen, es herrscht wieder Furcht. Die Papuas haben sich in ihre Kirchengemeinden zurückgezogen, in denen sie sich unter sich fühlen und auf deren Unterstützung sie zählen können. Mehr als von ihren machtlosen Politikern erwarten sie von evangelischen Pastoren und katholischen Bischöfen eine Vertretung ihrer Interessen. Die evangelischen Kirchen, vor allem die größte und calvinistisch geprägte unter ihnen, sind Papua-Kirchen par excellence: Ihr Klerus ist ebenso einheimisch wie ihre Gläubigen.

Die katholische Kirche hat eine komplexere Zusammensetzung. Außer Papuas, die natürlich die Mehrheit bilden, finden sich Zuwanderer aus Flores und auch aus Java. Die Anzahl der Papua-Priester ist begrenzt; sie werden unterstützt von Geistlichen, die von den vollen Seminaren aus Flores kommen, aber auch noch von ausländischen Missionaren. Die Homogenität der Protestanten führt zu einer stärkeren Politiknähe, während die Katholiken mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Interessen eher zu politischer Abstinenz neigen. Beide Kirchen setzen sich jedoch mit gleicher Energie für Bildung, Entwicklung und vor allem für Menschenrechte ein, und sie arbeiten vor allem auf letzterem Gebiet eng zusammen.


In den letzten Jahren haben die Spannungen zwischen Einheimischen und Zuwanderern zunehmend eine religiöse Dimension erhalten. Die Papuas sehen sich als ein christliches Volk. Die große Mehrheit der Zuwanderer hingegen besteht aus Muslimen. Das religiöse Wiedererwachen des indonesischen Islam hat auch in Papua Auswirkungen, aber mehr noch der wachsende Wohlstand der muslimischen Zuwanderer. Sie bauen größere Gemeindezentren und vor allem Moscheen. Ihr Selbstbewusstsein nimmt zu. Gegenüber dem papuanischen Geschichtsbewusstsein - dieses Land ist Gottes Land, und gemeint ist damit ein christliches Land - heben nunmehr muslimische Intellektuelle hervor, der Islam sei weit früher in dieses Land gekommen als die christlichen Missionare.

Die Papuas fürchten, heute auch als Christen zu einer Minderheit zu werden. Wie nicht selten, zeigt sich die Konkurrenz von Religionen nicht zuletzt an Bauten. Im ganzen Inselreich gibt es in jeder Kaserne eine Moschee, und in den meisten staatlichen Behörden einen Gebetsraum, natürlich einen muslimischen. An beides haben sich die christlichen Papuas gewöhnt. Nicht gewöhnt haben sie sich an die Perspektive einer Veränderung der bisher von Kirchtürmen geprägten Stadtlandschaften.


Die Kirchen als Vermittler

Papua hat inzwischen seinen Minarettstreit. Ausgerechnet in Manokwari, der Stadt, die stolz ist auf die Ankunft der ersten Missionare, sammelten Zuwanderer ohne Mühe eine stattliche Summe für den Bau einer großen Moschee, deren Minarette alle Kirchtürme überragen sollten. Der Gemeinderat verweigerte die Baugenehmigung. Schließlich einigte man sich darauf, die Moschee in einer Nachbargemeinde zu errichten.

Als heikler erwies sich die Kontroverse über die Ausrufung einer "christlichen Stadt". In verschiedenen Teilen Indonesiens sind "muslimische Städte" proklamiert worden, die sich durch das Verbot von Glückspiel, Prostitution und Musik sowie durch das Gebot des Schleiertragens auszeichnen. Das papuanische Manokwari erklärte sich zur "christlichen Stadt", die Glückspiel, Prostitution, Musik und Schleiertragen verbieten wollte. Nach Intervention führender Geistlicher wurde dieser Plan schließlich fallengelassen, allerdings nicht die Proklamation zur "Gospel City". Diese eher erheiternden Konfliktkulissen sollten freilich nicht den Blick darauf verstellen, dass sowohl islamische wie christliche Fundamentalismen den Grundkonflikt zwischen Einheimischen und Zuwanderern, zwischen Unabhängigkeitsforderungen und Erzwingung von Integration beträchtlich verschärfen könnten.


Weitere Zuwanderer kommen, und die Papuas verzweifeln zunehmend. 2009 mehrten sich kleinere Angriffe der OPM, und ebenso die Repressionen von Polizei und Militär. Ein neuer Faktor ist die zunehmende Militanz der Papua-Studentenbewegung. Sie hat sich ideologisch der OPM genähert. Inzwischen lehnt sie die Autonomie radikal ab, weil sie eine Scheinautonomie sei. Anzustreben sei daher nur die volle Unabhängigkeit. Um diese zu erreichen, müsse die Weltöffentlichkeit für die Sache Papuas mobilisiert werden.

Was die radikalisierten Studenten übersehen, ist, dass sie kaum auf internationale Unterstützung zählen können: Während die Annexion Ost- Timors keine internationale Anerkennung gefunden hatte, ist für die Zugehörigkeit Papuas zu Indonesien das Gegenteil der Fall, ob der "choice" nun frei war oder nicht. Keiner größeren Macht ist an einer Destabilisierung Indonesiens gelegen.

Aber die schmale Elite der Papuas ist dabei, sich zwischen Anhängern der Autonomie und solchen der Unabhängigkeit zu zerstreiten. Sie läuft Gefahr, die Chancen für echte Autonomie und damit für eine friedliche Regelung des Konflikts zwischen Einheimischen und Zuwanderern zu verspielen. Den Kirchen fällt die schwierige Rolle des Vermittlers zu.


Prof. Dr. Theodor Hanf (* 1936) lehrte Politikwissenschaft an der Universität Freiburg und an der American University of Beirut.

Dr. Helga Dickow (* 1959) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arnold-Bergstraesser-Institut für kulturwissenschaftliche Forschung in Freiburg.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 4, April 2010, S. 211-215
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2010