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BERICHT/131: Pakistan - Ahmadi-Muslimen bleibt nur die Wahl zwischen Exil oder Tod (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Oktober 2014

Pakistan: Ahmadi-Muslimen bleibt nur die Wahl zwischen Exil oder Tod

von Beena Sarwar


Bild: © Cara Solomon, Juristische Fakultät der Universität Harvard

Mujeeb-ur-Rahman (rechts) als Gastredner im Oktober 2014 an der Harvard-Universität, links neben ihm Amjad Mahmood Khan
Bild: © Cara Solomon, Juristische Fakultät der Universität Harvard

Boston, 22. Oktober (IPS) - Zwei Jahre sind seit der Ermordung seines 26-jährigen Sohnes Saad Farooq vergangen, berichtet Farooq Kahloun, der Vater. Er selbst, sein jüngerer Sohn Nusrat und der Schwiegervater Saads wurden damals schwer verletzt. Nusrat, der zur Hochzeit seines älteren Bruders aus New York nach Pakistan gekommen war, starb später an den Folgen seiner Schussverletzungen.

Als Ahmadi-Führer in Karachi schwebte Kahloun in ständiger Lebensgefahr. "Ich hätte aber nie gedacht, dass sie meine Familie ins Visier nehmen würden", meint der 57-jährige Geschäftsmann. Inzwischen lebt er mit Frau und Tochter im US-amerikanischen Exil.

1974 hatte die Verfassunggebende Versammlung auf saudischen Druck hin die Ahmadi zu Nicht-Muslimen erklärt. Zehn Jahre später wurde ihnen im Rahmen einer Verfassungsänderung untersagt, sich als Muslime zu bezeichnen und an der alljährlichen Pilgerfahrt nach Mekka teilzunehmen. "Das sind schändliche Bestimmungen", meint Kahloun. "Wir haben nun mal keinen anderen Propheten und auch keinen anderen Koran. Was sollen wir also tun?"

Die Ahmadi- oder Ahmadiyya glauben an Mirza Ghulam Ahmad, der im 19. Jahrhundert lebte, als ihren lang ersehnten Messias und Reformer, von dessen Ankunft der Prophet Mohammed gesprochen hatte. Für radikale orthodoxe Muslime sind sie Ketzer.

Die Praxis, jemanden zum Nicht-Moslem zu erklären ('Takfiri'), hat dazu geführt, dass die einzigen beiden pakistanischen Nobelpreisträger ihr Land verlassen mussten: Abdus Salam war 1979 mit dem Nobelpreis für Physik geehrt worden. Malala Yousafzai ist eine der beiden diesjährigen Friedensnobelpreisträger. Die 17-jährige Schülerin hatte 2012 im Swattal einem Mordanschlag der Taliban überlebt und hält sich inzwischen in Großbritannien auf.


Straffreiheit als Mordmotivation

In Pakistan kommt es selten vor, dass Attentäter gefasst, vor Gericht gestellt und bestraft werden. Dadurch ist eine Kultur der Straffreiheit entstanden, die zu immer neuen Verbrechen ermutigt. Auch die Angreifer, die von Überlebenden nach einem Anschlag auf eine Ahmadi-Moschee in Lahore im Mai 2010 dingfest gemacht worden waren, sind bisher nicht bestraft worden. Bei dem Massaker starben 90 Ahmadi.

"Wir konnten nicht länger in Pakistan bleiben. Keiner würde freiwillig gehen, hätte er die Wahl. Doch inzwischen wollen alle nur noch weg", erklärte Kahloun unlängst in einem Telefongespräch mit IPS. "In Karachi werden jeden Tag Ahmadi, Schiiten und andere Mitglieder von Minderheiten umgebracht." Für die Takfiri-Milizionäre sind auch Schiiten Ungläubige.

Nach Angaben der unabhängigen Pakistanischen Menschenrechtskommission starben 2013 687 Menschen im Zuge von 200 Anschlägen, die einen religiösen Hintergrund hatten. Weitere 1.319 wurden verletzt. Gegenüber 2012 war dies ein Anstieg um 22 beziehungsweise 46 Prozent.

"Die Zahl der Ahmadi und von anderen Glaubensgruppen, die im Ausland Asyl beantragen, nimmt stetig zu", weiß Qasim Rashid, der in Pakistan geboren wurde und jetzt im US-amerikanischen Virginia als Ahmadi-Anwalt und Autor tätig ist. Er hat im letzten Jahr sein Buch 'The Wrong Kind of Muslim' ('Die falsche Art von Moslem') vorgestellt, das die Verfolgung der Ahmadi in Pakistan dokumentiert. "Das zeigt, wie wichtig es ist, weltweit für Religions- und Glaubensfreiheit einzutreten. Das Versagen, diese Rechte hochzuhalten, spielt Gruppen wie den Taliban und dem IS in die Hände."

Einer der prominentesten Ahmadi ist der Richter am Obersten Gerichtshofs Pakistans, Mujeeb-ur-Rahman. Der 83-Jährige wird auch in Anspielung an den ersten afroamerikanischen Richter am Obersten US-Gerichtshof 'Pakistans Thurgood Marshall' genannt. Er lebt in Rawalpindi in der Nähe der pakistanischen Hauptstadt und denkt nicht daran, sich aus seinem Land vertreiben zu lassen, wie er kürzlich vor der Vereinigung der Ahmadi-muslimischen Anwälte (AMLA) in Silver Spring im US-amerikanischen Maryland erklärte.

AMLA hat für Rahman eine Vortragsreihe an verschiedenen Universitäten organisiert. Den Anfang machte die Juristische Fakultät der Harvard-Universität. Am 17. Oktober sprach Rahman dann an der Universität von Princeton. Danach wird er einen Vortrag an der 'Columbia University' (23. Oktober), der 'New York University Law School' (27. Oktober), der Universität von Kalifornien (30. Oktober) und der 'Stanford University' (4. November) halten.

Seine Rede in Harvard begann er mit dem muslimischen Gruß 'As-Salam-Alaikum' ('Friede sei mit dir'), eine gleichermaßen von Christen und Muslimen in Pakistan reflexartig verwendete Begrüßungsformel. Doch in Pakistan hätte ihm der Gruß eine dreijährige Gefängnisstrafe eingebracht, informierte er seine Zuhörer.


Auch in anderen Ländern nimmt Feindseligkeit zu

Pakistan ist zwar das bisher einzige Land, das den Ahmadi verbietet, sich selbst als Muslime zu bezeichnen. Doch nimmt die Verfolgung der Minderheit auch in anderen Ländern zu. "In Pakistan sind die Gesetze sicherlich besonders aggressiv. Allerdings ist in andern Staaten ebenfalls eine zunehmende Feindseligkeit zu beobachten", erklärt der Jurist Qasim Rashid. In Pakistan seien es in erster Linie die Mullahs, die den Hass gegen die Ahmadi schürten.

Bangladesch hat inzwischen Bücher der Ahmadi zu Religionsfragen verboten. Auch in Malaysia gerät die Religionsgemeinschaft zunehmend in die Schusslinie, während man in Indonesien mit der Schließung von Ahmadi-Moscheen begonnen hat.

Die 21-jährige Khalida Jamilah lebte in Westjava in Indonesien, wo weltweit die meisten Muslime zu Hause sind. Wie sie berichtet, konnten die Ahmadi bis 2005 frei ihren Glauben als Muslime praktizieren. Dann attackierten muslimische Hardliner eine Ahmadi-Versammlung in Westjava, an der ihre Familie teilgenommen hatte. 2008 hätten ihre Eltern in den USA Asyl beantragt. Heute lebt die Familie in Los Angeles, wo ihr Vater einen Job als Taxifahrer hat.

"In den USA können wir unseren Glauben frei ausleben", meint Jamilah, die an der Universität von Kalifornien in Berkeley Journalismus studiert. "In den USA gibt es die Trennung zwischen Kirche und Staat. Ich hoffe, dass das auch mal in Indonesien der Fall sein wird." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/pakistans-ahmadis-faced-with-death-or-exile/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2014