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LATEINAMERIKA/011: Brasilien - Dialog mit afro-amerikanischen Religionen, Papst setzt Zeichen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2013

Brasilien: Dialog mit afro-amerikanischen Religionen - Papst setzt Zeichen für Aussöhnung

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet

Afro-brasilianische Candomblé-Zeremonie in Rio de Janeiro
Bild: © Fabiana Frayssinet

Rio de Janeiro, 31. Juli (IPS) - Der Katholizismus und die afro-brasilianischen Religionen, die seit der Kolonialzeit über Kreuz liegen, bewegen sich offenbar aufeinander zu. Beim Weltjugendtag in Rio de Janeiro ging ein Bild von Papst Franziskus um die Welt, auf dem das Oberhaupt der katholischen Kirche einen traditionellen 'Cocar'-Kopfschmuck trug, den ihm der Indigene Ubiraí Pataxó überreicht hatte.

Im Stadttheater von Rio empfing der Pontifex außerdem Ivanir dos Santos, einen Priester der afro-brasilianischen Religion 'Candomblé'. "Das war ein sehr wichtiger Schritt", meinte dazu dos Santos.

Im Verlauf des gleichen Tages rief Franziskus zu einem interreligiösen Dialog auf und überraschte so manchen Politiker mit einer Erklärung, in der er sich für einen säkularen Staat aussprach. "Die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Religionen wird durch einen laizistischen Staat begünstigt. Dieser respektiert und wertet die Präsenz des religiösen Faktors in der Gesellschaft, ohne dass er eine Haltung zu irgendeiner Glaubensrichtung annimmt."

Nach Ansicht der Soziologin Maria Celina D'Araujo verwies der Papst damit implizit auf die Intoleranz radikaler islamischer Fundamentalisten und theokratischer islamischer Staaten wie Ägypten, in denen Christen und die Katholische Kirche verfolgt werden. Zugleich habe er sich auch an die Lateinamerikaner wenden wollen, meinte sie. Denn vor allem in Brasilien "erstarkt der evangelische Fundamentalismus unter großer Beteiligung der Politik", meinte sie.

Brasilien war das erste Auslandsziel von Papst Franziskus, der vom 22. bis 28. Juli zum Weltjugendtag kam. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts 'Datafolha' ergab, dass sich 57 Prozent der Brasilianer zum Katholizismus bekennen. 2007, beim Besuch von Papst Benedikt XVI., waren es noch 64 Prozent gewesen.

Der Anteil der Anhänger der christlichen Pfingstbewegung hat sich indes von 17 auf 19 Prozent erhöht und jener der Neupfingstler von fünf auf neun Prozent. Eine ähnliche Entwicklung ist auch in anderen Ländern Lateinamerikas zu beobachten, obwohl auch dort der Katholizismus die stärkste Religion bleibt.


Evangelische Kirchen haben großen Einfluss im Parlament

Doch auch der politische Einfluss der Pfingstler ist gestiegen. D'Araujo schätzt, dass etwa 30 Prozent der brasilianischen Parlamentsabgeordneten evangelischen Kirchen angehören. Sie werfen ihr Gewicht in die Waagschale, wenn es um reproduktive Rechte, sexuelle Minderheiten oder die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen geht.

"Wenn der Papst für einen weltlichen Staat eintritt, der Religionsfreiheit garantiert und Verfolgung verhindert, ist er sehr pragmatisch", sagt D'Araujo. "Denn die Katholische Kirche weiß, dass sie an Boden verliert. Sie wird nicht wachsen können, wenn fundamentalistische, intolerante Parteien an der Macht sind."

Ein denkwürdiges Ereignis im Vorfeld des Weltjugendtags zeigte bereits, wie sich die Katholische Kirche derzeit zum Thema Religionsfreiheit positioniert. Im 'terreiro' (Tempel) von Axé Bamgbosè in der Gemeinde Duque de Caxias versammelten sich Candomblé-Priester gemeinsam mit Jesuitenpfarrern, Seminaristen und Jugendlichen aus aller Welt.

Candomblé war einst durch westafrikanische Sklaven nach Brasilien gekommen und während der portugiesischen Kolonialzeit von den Jesuiten unterdrückt worden. Den ehemaligen Widersachern erklärten nun Vertreter der afro-brasilianischen Religion ihre Glaubensgrundsätze. Franziskus selbst hatte bis zu seiner Papstwahl ebenfalls den Jesuiten angehört.

Die Katholiken besuchten auch die Schreine der 'orixás' - der zu Gottheiten erklärten afrikanischen Vorfahren, die den Elementen der Natur gleichgesetzt werden - und erlebten eine Zeremonie afrikanischen Ursprungs mit. "Die Entdeckung anderer Religionen und Sichtweisen, einer anderen Spiritualität ist für mich neu. Noch vor 50 oder 60 Jahren hätten sie sich vermutlich noch verstecken müssen", sagte der Jesuit Sergio Montes aus Bolivien.


Afrikanische Religionen einst von Jesuiten unterdrückt

Anhänger afrikanischer Religionen wie Candomblé oder 'Umbanda' wurden in Brasilien jahrhundertelang verfolgt. Erst 1970 wurde ein Gesetz aufgehoben, das es der Polizei ermöglichte, Versammlungen von Gläubigen aufzulösen. Noch heute werden afro-brasilianische Religionsgemeinschaften unterdrückt, allerdings nicht mehr von den Jesuiten, sondern von den Neupfingstlern, die von "satanischen Kulten" sprechen. Auch die Katholiken werden von ihnen attackiert.

"Die Neupfingstler akzeptieren keine Andersdenkenden. Sie reden, als ob Gott allein mit ihnen spreche. Das ist Faschismus", kritisierte dos Santos. "Viele dieser Gruppen schaden der Demokratie in Lateinamerika und Brasilien."

Nach Ansicht von Montes ist der Zeitpunkt günstig, um Leitlinien in die Praxis umzusetzen, die auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil 1962 bis 1965 vorgeschlagen worden waren. Langsam begännen sie "Form anzunehmen", meinte er. Der interkulturelle und interreligiöse Dialog habe sich seither in Lateinamerika weiterentwickelt, vor allem bei den Episkopal-Konferenzen im kolumbianischen Medellín (1968), in Puebla in Mexiko (1979), in Santo Domingo in der Dominikanischen Republik (1992) und im brasilianischen Aparecida (2007).

Montes ist davon überzeugt, dass "Papst Franziskus eine sehr wichtige Tür geöffnet hat, nicht nur für die Katholische Kirche, sondern für alle Religionen und die gesamte Menschheit". (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.rio2013.com/
http://www.ipsnoticias.net/2013/07/a-dios-rogando-y-al-estado-laico-apelando/
http://www.ipsnews.net/2013/07/pope-opens-unprecedented-dialogue-with-afro-brazilian-religions/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2013