Schattenblick →INFOPOOL →RELIGION → ISLAM

MELDUNG/013: Ägypten - Dutzende Sufi-Schreine zerstört, Aggressivität islamischer Hardliner wächst (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. April 2011

Ägypten: Dutzende Sufi-Schreine zerstört - Aggressivität islamischer Hardliner wächst

Von Cam McGrath


Kairo, 18. April (IPS) - In Ägypten gehen islamistische Fundamentalisten seit dem Sturz von Staatspräsident Hosni Mubarak im Februar verstärkt gegen die Schreine der Sufi-Muslime vor. Nach ihren Vorstellungen ist die Verehrung der heiligen Stätten Ketzerei.

In den letzten Wochen demolierten radikal-islamische Salafiten nach Angaben der Behörden Dutzende Schreine, die den Sufis heilig sind, den Angehörigen der liberal-esoterischen Richtung des Islams. Demgegenüber halten sich Anhänger des ultrakonservativen Salafismus strikt an die Worte des Korans und der heiligen Schriften des Propheten Mohameds (Sunna).

Die Schreine spielen für die Gläubigen seit Jahrhunderten eine integrale Rolle. Sufis besuchen die Artefakte, um der dort bestatteten Heiligen zu gedenken und sie um ihren Segen und ihre spirituelle Kraft zu bitten. Einige Schreine sind auch den Schiiten heilig, die in Ägypten in der Minderheit sind.

Die Salafiten betrachten die Schreine mit ihrem Personenkult als eine Form der Gotteslästerung. Sie stören sich vor allem daran, dass die Schreine auch in vielen historischen Moscheen anzutreffen sind, die damit in ihren Augen entweiht werden. "Schreine und Heilige anzubeten ist Vielgötterei und im Islam verboten", meint dazu Mohamed Hussein, das Mitglied einer ägyptischen Salafitengruppe. "Jeder, der sich damit arrangiert, ist kein wahrer Moslem."


Übergriffe in Alexandria

Die Übergriffe auf die Schreine begannen im März in der Mittelmeerstadt Alexandria, der Hochburg von Salafiten und Sufis. Die orthodoxen Islamisten nahmen dort mindestens 16 historische Moscheen ins Visier. Dazu gehörte auch die berühmte Abu Al-Abbas Al-Mursi, in der sich der Schrein eines andalusischen Scheichs aus dem 13. Jahrhundert befindet.

Im Gouvernement Qalioubia nördlich der Hauptstadt Kairo wurde ein Mann aufgegriffen, der versucht hatte, den Holzrahmen des Schreins von Sidi Izz El-Din in Brand zu setzen. Tage zuvor war eine Gruppe bärtiger junger Männer mit Brecheisen und Vorschlaghämmern auf den benachbarten Schrein von Sidi Abdel Rahman losgegangen. Die Zerstörung konnte durch das Eingreifen der lokalen Bevölkerung verhindert werden.

"Das Erscheinungsbild und die Vorgehensweise der Täter lässt auf Salafiten schließen, doch können wir konterrevolutionäre Aktivitäten nicht ausschließen, die Spannungen zwischen Sufis und Salafiten erzeugen sollen", war aus dem Umkreis der Polizei zu hören. Viele Salafiten halten sich an die islamische Kleiderordnung: Sie tragen Bärte, weite Kleider und eine Kopfbedeckung.

Unter dem repressiven Regime des ehemaligen ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak waren die ideologischen Konflikte zwischen den verschiedenen Schulen des Islam eher diffus. Nach seinem Sturz im Februar treten sie jedoch derzeit immer stärker in Erscheinung. Die 72 Millionen Muslime im Lande - in der Mehrheit Sunniten - unterscheiden sich in erster Linie durch die Auslegung der heiligen Schriften, wobei die Sufis für die liberalen und die Salafiten für die ultraorthodoxen religiösen Kräfte stehen.

"Wir Muslime, ob wir nun Sufis oder Salafiten sind, unterscheiden uns nur in der Interpretation und Anwendung der heiligen Schriften", sagt Sheikh Mohamed El-Shahawi, Vorsitzender des Internatonalen Sufi-Rates. "Sufis stehen eher für einen entspannten Ansatz, während die Salafiten eine extremere Haltung einnahmen."

El-Shahawi zufolge sind 14 Millionen Ägypter ausgewiesene Mitglieder der landesweit 74 Sufiorden. Hinzu kommen Millionen Menschen mit "Sufismus-Tendenzen", die die muslimischen Heiligen verehren und die Schreine aufsuchen. Die Zahl der Salafiten wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt. Der Sturz Mubaraks hat sie offenbar ermutigt, ihre religiösen Überzeugungen mit Aktionismus zu verknüpfen.

Berichte über die Aktivitäten der Salafiten beinhalten einen Brandanschlag auf das Haus einer Frau "mit schlechtem Ruf" und ein Handgemenge mit Alkoholverkäufern. Salafiten sollen ferner einen christlichen Hauseigentümer angegriffen und ihm ein Ohr abgeschnitten haben, weil er angeblich ein Bordell betreibt.


Militanz durch Salafismus befürchtet

Nach Ansicht von Sufi-Gelehrten gibt die rigide und puritanische Ideologie des Salafismus einer gewaltbereiten Militanz Auftrieb. Sie sehen eine Verbindung zu den Attacken, die von anderen islamistischen Hardlinern begangen wurden, wie etwa der Zerstörung der beiden großen Buddhastatuen im afghanischen Bamiyan durch die Taliban und die Anschlagsserie auf die Sufi-Schreine in Pakistan.

Wie Ibrahim Abdel Hafez, Sufismus-Experte am 'Higher Institute of Folk Arts', erklärte, gibt es seit vielen Jahrhunderten Spannungen zwischen Sufis und Salafiten, die jedoch in den letzten 25 Jahren an Schärfe zugenommen haben. Seiner Meinung nach ist die Gefahr angesichts der Vielzahl der Schreine in den ländlichen Gebieten groß, dass es landesweit zu schweren religiösen Auseinandersetzungen kommen könnte. "In fast jedem Dorf gibt es mindestens einen Schrein mit den Gebeinen eines lokalen Heiligen."

Bemührungen, um die Differenzen der beiden Glaubensgruppen beizulegen, sind bisher gescheitert. Auf einer Konferenz in diesem Monat verweigerten Sufiführer ihre Unterschrift unter ein Versöhnungsabkommen, nachdem sich die Salafitenvertreter geweigert hatten, die Zerstörung der Schreine als anti-islamisch anzuerkennen.

Bei einem früheren Treffen wiesen die Salafitenführer eine Verwicklung in die Zerstörung der sufistischen Schreine entschieden von sich. Stattdessen beschuldigten sie die Medien, einen Sensationsjournalismus zu betreiben, um in der Bevölkerung Angst vor einem salafitischen Extremismus zu schüren.

Sheikh Yasser Burhami, ein prominenter Salafit aus Alexandria, betonte, dass seine Gruppe niemals Hand an die Schreine legen, sondern die Menschen dazu erziehen würde, auf die Anbetung der Schreine zu verzichten. Auch gehe man den Behördenweg, um eine Entfernung der Schreine aus den Moscheen zu erwirken.


Misstrauen

Doch den Beteuerungen wollen viele Sufis keinen Glauben schenken. "Wir haben viel zu oft beobachtet, wie die Salafiten zu Gewalt greifen, wenn sie mit ihren Gebeten nicht weiterkommen", meint Mohamed Ahmed, dem die Verantwortung für den Sayyida-Ruqqaya-Schrein in Kairo Cairo zukommt.

Der Oberste Rat der Sufiorden hat inzwischen angekündigt, Freiwillige zu rekrutieren, die die Schreine bewachen. die beschädigten Schreine sollen restauriert werden. Ein Sufi-Führer warnte vor einem Bürgerkrieg, sollte die Zerstörung der heiligen Stätten weitergehen. (Ende/IPS/kb/2011)


Link:
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=55270

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. April 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2011