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STANDPUNKT/086: Unter Papst Franziskus sollen 1200 Missbrauchsfälle vertuscht worden sein (Gerhard Feldbauer)


Unter Papst Franziskus sollen 1200 Missbrauchsfälle vertuscht worden sein

Neues Buch des Enthüllungsjournalisten Emiliano Fittipaldi nennt Beteiligung hoher Geistlicher

von Gerhard Feldbauer, 18. Januar 2017


Der Vatikan wird beschuldigt, in den letzten drei Jahren, das heißt seit Beginn der Amtszeit Franziskus', weltweit in den verschiedenen Diözesen 1200 Fälle von Kindesmissbrauch vertuscht zu haben. Verwickelt seien auch hohe Geistliche aus dem Umfeld des Papstes. Das berichtet der italienische Enthüllungsjournalist Emiliano Fittipaldi in seinem neuen Buch "Lussuria" (Unzucht), das am Donnerstag im Verlag Feltrinelli erscheint und von dem Mailänder Wochenmagazin Espresso vorgestellt wurde. Feltrinelli nennt das Buch eine "neue, explosive Reportage über die Heuchelei und die Sünden in der katholischen Kirche", die die "erschütternde Realität der Sexskandale um Priester, Bischöfe und Kardinäle auf der ganzen Welt" enthülle.

Zwischen 2013 und 2015 seien der von dem deutschen Kurienkardinal Gerhard Müller geleiteten Glaubenskongregation aus verschiedenen Weltdiözesen 1200 Fälle von Kindesmissbrauch durch Geistliche angezeigt worden. In den vergangenen 20 Jahren seien 200 pädophile Priester bekannt geworden. Pädophile würden auch gedeckt, um die Kirche vor Entschädigungsforderungen zu schützen. Für Priester und Bischöfe bestehe "keine Pflicht, pädophile Kollegen der Justiz anzuzeigen". Fittipaldi führt an, dass Franziskus den australischen Kardinal George Pell zu seinem Finanzchef ernannt habe, gegen den in Australien Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern liefen. Den Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga aus Honduras habe er in seinen Kardinalsrat zur Beratung einer Kurienreform berufen, obwohl dieser offen gesagt habe, er werde keinen seiner Priester anzeigen, auch wenn ihm Pädophilie vorgeworfen werde.

Nun ist Franziskus hier wie auf anderen Gebieten, so dem der Korruption in der Vatikanbank IOR, dieser Augia-Stall nicht zuletzt von seinen Vorgängern, dem polnischen Papst Johannes Paul II und dem Deutschen Benedikt XVI. alias Josef Ratzinger hinterlassen worden. Hatte der Pole Karol Wojtyla Missbrauch völlig ignoriert, wurde der Ratzinger-Papst beschuldigt, solchen Verbrechen sogar regelrecht Vorschub geleistet zu haben. So wenn er in höchsten Tönen die Ausführungen des Gründers des klerialfaschistischen "Opus Dei" Josemaría Escrivá de Balaguer lobte, der Gläubige als "Eimer für Abfälle", als "schmutziger, herabgefallener Staub" oder als "Haufen Unrat" in einer "Schweineherde" beschimpfte. Solche Aussagen hätten dazu beigetragen, so Kritiker, dass vor allem Jugendlichen eingeimpft werden konnte, den Priestern in allen Verlangen bedingungslos zu gehorchen.

Franziskus, der am 13. März 2013 sein Amt antrat, nannte erstmals sexuellen Missbrauch eine "schreckliche Straftat" und kündigte strenge Untersuchungen an. Für die Beschuldigten, egal ob Priester oder Kardinal, sollte es "keine Privilegien" mehr geben. Immerhin wurden danach gegen vier Bischöfe wegen Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen Ermittlungen aufgenommen. Im September 2014 ließ Franziskus den polnischen Erzbischof Josef Wesolowski wegen schweren Mißbrauchs von Jugendlichen verhaften und unter Hausarrest stellen. Einem Prozess entging der Beschuldigte, weil er im Juni 2015 verstarb.

Fittipaldi hatte 2015 in einem Buch "Avarizia" (Geiz) Korruptions-Skandale in der Kurie enthüllt und war deswegen im sogenannten Vatileaks II-Prozess vor einem Gericht des Vatikans angeklagt, aber 2016 freigesprochen worden. Die Fäden in dem Prozess zog das klerikale Machtzentrum im Vatikan, "Opus Dei", das das Vorgehen Franziskus' aufhalten und Enthüllungen wie die von Fittipaldi verhindern will. Auch diesmal wird nicht ausgeschlossen, dass das vordergründig gegen Franziskus gerichtete neue Buch des Journalisten ihm beim Vorgehen gegen diese ungeheuerlichen Verbrechen in Wirklichkeit eine Hilfestellung sein könnte.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2017

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