Religionsfrieden: Wir haben es in der Hand!
Ein Diskussionsbeitrag aus dem Gesprächskreis "Weltanschaulicher Dialog" der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Von Karl-Helmut Lechner - 3. Februar 2022
Wird es der Partei DIE LINKE gelingen, religionspolitische Grundsätze zu formulieren, die es in dieser Gesellschaft Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ermöglichen, den verfassungsmäßig zuerkannten Religionsfreiheiten und Rechten gemäß zu leben? Es ist ja nicht nur Toleranz gefragt, wenn religiöse Konflikte drohen, ein friedliches Zusammenleben zu verhindern. Vielmehr ist politisch und gesetzlich positiv zu bestimmen, dass und auf welche Weise jedes Mitglied der Gesellschaft das Recht hat, sich zu den von ihm eingegangen weltanschaulichen Bindungen zu bekennen und ihnen gemäß zu leben.
Nicht viele politische Themen sind gleichermaßen emotional aufgeladen, wie
persönlicher religiöser Glaube. Dies ist gut zu beobachten, wenn zum
Beispiel in Vorbereitung von Wahlen erklärtermaßen laizistische Positionen
für Wahlprogramme eingefordert werden. Der Gesprächskreis
"Weltanschaulicher Dialog" bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin
beobachtet dies und hält die Kontroversen darum für bedeutsam. Denn hielten
wir diese Fragen für beliebig und ließen sie ungeklärt stehen, würden sie
immer wieder an Stellen zerstörerisch aufkochen, wo heute noch niemand
damit rechnet. Dann aber werden sie nicht nur zu lästigem Streit führen,
sondern, so befürchtet der "Gesprächskreis", sie drohen zu für manche zu
willkommenen ideologischen Knüppeln zu werden, um mit ihnen eine
demokratische, rechtlich geordnete Gesellschaft auseinanderzureißen. Und in
der Tat finden sich unversehens laizistische Gedanken an der Seite rechter,
AfD-naher Argumentation. Die Zeitschrift "Emma" kann hier als Beispiel
dienen.
Ging es bis 1919 in Deutschland mit laizistischen Argumenten um den Kampf
gegen die feudale Verbindung von Thron und Altar, werden diese heute
oftmals zum Kampf gegen den Einfluss des Islam in unserer Gesellschaft
genutzt. Heute, in der BRD, wo inzwischen die AfD auf der parlamentarischen
Bühne ihre üble Rolle spielen kann, befinden wir uns inmitten eines von
rechts geführten Kulturkampfes. In diesem politischen Getümmel kommt es
sehr darauf an, wie sich die Partei DIE LINKE dazu religions-politisch
positioniert.
An der öffentlichen Präsenz von Religion scheiden sich in der Praxis
oftmals die Geister: Im kirchlichen Arbeitsrecht, in Schulfragen wie dem
Religionsunterricht, bei der Verleihung des Status einer "Körperschaft des
öffentlichen Rechts" an islamische Gemeinden, der Militärseelsorge, bei
Regeln des Zusammenlebens im Öffentlichen Raum - wie zum Beispiel beim
Tragen des Kopftuches.
Es ist spannend zu beobachten, wie zurzeit diese Diskussion
gesellschaftlich verläuft. Während sich in der juristischen,
philosophischen und theologischen Diskussion der gesellschaftliche
religiöse Friede als politisches Ziel herauskristallisiert, erstarken in
der reaktionär-konservativen Politik Strömungen, die Staat und Bekenntnis
vermischen. Ein Beispiel ist das mit CSU-Mehrheit beschlossene bayerische
Integrationsgesetz vom Dezember 2016. Die CSU will mit dem staatlichen
Gewaltmonopol ihre "Leitkultur", auch das wiederum nichts anderes als eine
Art von christlichem Glaubensbekenntnis, durchsetzen.
Wenn es aber DER LINKEN um eine Gesellschaft geht, in der unterschiedliche Kulturen mit ihren jeweiligen Religionen - sicher keineswegs konfliktfrei - in religiösem und weltanschaulichem Frieden leben können, dann trägt sie als Partei entsprechend Verantwortung. Hier öffnet sich ein weites Themenfeld, um einige hergebrachte, auch vermeintlich "linke" Auffassungen neu zu durchdenken. Ein diffuser Laizismus, der sich mehr emotional als wissenschaftlich an die Aussage August Bebels von 1874 anlehnt, Christentum und Sozialismus stünden sich gegenüber wie "Feuer und Wasser" - und deshalb brauche man sich diesem Thema als lästigem Rückstand aus der Vergangenheit nicht wirklich zu widmen - hilft da nicht weiter.
Die Begriffe Laizismus beziehungsweise Laizität verweisen auf die große blutige Geschichte der Säkularisierung in Europa. Gemeint ist damit die Zurückdrängung von Religion, vornehmlich christlicher Religion, aus dem öffentlichen in den privaten Lebensbereich. Säkularisation findet da statt, wo z.B. Wissenschaft ihre Unabhängigkeit gegenüber kirchlicher und theologischer Kontrolle erreicht oder sich bürgerliches Recht in Abgrenzung vom viele Jahrhunderte alten Kirchenrecht der beiden großen Kirchen herausbildet. Man sollte diese Begriffe heute behutsam gebrauchen. Denn in ihnen hallen alte Schlachtrufe wider und lösen sehr gemischte Gefühle aus. Wer heute noch mit Blick auf die religiösen Bewegungen und Kirchen mit Voltaire "Ecrasons l'infâme!"! ("die Abscheuliche zerschmettern!") ausruft und meint vielleicht damit, an der Spitze der grundlegenden anti-klerikalen Aufklärung zu stehen, möge sich doch einfach mal in Europa umsehen. Und sie oder er wird bemerken, noch nicht einmal auf dem Stand der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 angekommen zu sein. In Artikel 137 (7) WRV, heute inkorporiert im Grundgesetz Artikel 140, wurde bereits damals festgeschrieben: "Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen." Die unterschiedlichen Weltanschauungen des Atheismus oder Anti-Klerikalismus werden hier, neben allen anderen Religionen, verfassungsrechtlich eingereiht als eine Stimme unter vielen im gesellschaftlichen Diskurs.
Auch tragen heute die Begriffe Laizismus und Laizität selbst nicht mehr
viel zur Klärung der hier zur Debatte stehenden Probleme bei. Sie sind im
Laufe der Zeit als Waffe stumpf weil unpräzise geworden. Beeinflusst von
der Diskussion in Frankreich, gibt es im Wesentlichen zwei Strömungen: Die
eine betrachtet die Laizität als ein emanzipatorisches Prinzip, das die
Menschheit von der Religion befreien soll. Erklärtermaßen versteht sie sich
als Kampf gegen die Religion selbst. Sie ist wesentlich von den
antiklerikalen Schriften der französischen Aufklärung, zum Beispiel von
Voltaire, beeinflusst.
Die andere Richtung ist der Meinung, dass die Laizität ein liberales
Prinzip ist, das konsequent als Ziel die Trennung von Staat und Religion
und von Politik und Religion formuliert. Die Religion befreit sich von der
Kontrolle des Staats. Und gleichzeitig emanzipiert sich der Staat von dem
Einfluss der Religion, allem voran von dem Einfluss der großen christlichen
Kirchen.
Heute gilt es, religionspolitisch eine gesellschaftliche Praxis zu entwickeln und dafür die entsprechende Gesetzesform zu finden, die es Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ermöglichen, geordnet und gut miteinander zu leben.
Die Trennung von Kirche und Staat ist zum ersten Mal in der Verfassung der USA von 1787 formuliert. Den Einwanderern aus Europa ging es dabei vor allem darum, den Staat aus allen kirchlichen und religiösen Angelegenheiten ihrer Gemeinden herauszuhalten. Hatten diese SiedlerInnen doch ihre Herkunftsländer meist als unterdrückte, religiös verfolgte, protestantische Minderheiten verlassen müssen.
Anders in Frankreich. Dort ist der Anti-Klerikalismus, der sich nach der Französischen Revolution von 1789 vor allem gegen die Katholische Kirche richtete, im Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat vom 9. Dezember 1905 bestimmend. Der erste Paragraph dieses Gesetzes legt ausdrücklich fest, dass die Republik die Gewissensfreiheit wahrt und freie Religionsausübung gewährt, sofern sie nicht die öffentliche Ordnung berührt. Der zweite Paragraph aber fügt hinzu, die "Republik anerkennt, besoldet oder subventioniert keine Religionsausübung." Zudem kennt das Gesetz von 1905 für die Kirchen eine einzige Zweckbestimmung: die Ausübung des Kultes. Die diakonische und karitative Tätigkeit wurde bewusst außer acht gelassen und gehört nach dieser Sichtweise nicht zur Glaubenspraxis religiös gebundener Menschen. In Deutschland ist dagegen die Rechtslage so, dass Diakonie, als "gelebter Glaube", unmittelbar zum Verkündigungsauftrag, dem Kernbereich der Kirchen gehört. Mit der Vierten Republik 1946 findet das Prinzip der Laizität (laïcité) Eingang in die französische Verfassung (Art. 1) und gehört heute zu den unumstößlichen Grundsätzen der Republik. Durch das Prinzip der Laizität soll die Neutralität des Staates garantiert und die Gleichheit aller Glaubensformen inklusive der Agnostik sichergestellt werden. Religiöse Überzeugungen sind somit reine Privatsache und werden weder mit Steuergeldern unterstützt noch in den republikanischen Institutionen repräsentiert. Heute hat selbst die Katholische Kirche ihren Frieden mit diesem Gesetz gemacht. Die Laïcité sei mit der römisch-katholischen Religion vereinbar, erklärten die französischen Kardinäle und Erzbischöfe bereits 1945. Alle Kirchengebäude, die vor 1905 errichtet wurden, werden nach wie vor vom Staat unterhalten. Die Geistlichen bekommen für diese kulturelle Leistung ein Gehalt. Wenn Kirchen und auch Moscheen staatliche Finanzquellen für Neubauten nutzen wollen, müssen sie als "Centre Culturel" den Antrag stellen, nicht als religiöse Einrichtung. In den drei östlichen Departements Frankreichs wird die Kirche gemäß dem napoleonischen Konkordat von 1801 insgesamt vom Staat aus dem allgemeinen Steuertopf finanziert.
Atheismus, mehr noch, die Ablehnung jeglicher Art des Religiösen, war der Sozialdemokratie des 19. Jahrhunderts in Deutschland selbstverständlich: Religion sei das "Opium des Volkes" hatte Karl Marx gesagt. Und es mache ja keinen Sinn, den Menschen nur ihr Opium wegzunehmen, aber jene Zustände unverändert zu lassen, die schmerzlindernde Mittel nötig machen. Durch Aufhebung der Arbeitsteilung und des Privateigentums könnten die Zustände beseitigt werden, in denen der Mensch ein geknechtetes und ausgebeutetes Wesen ist. Dann wird dieser Fusel verdunsten, dieses billige Trostmittel Religion absterben und verschwinden, weil überflüssig geworden. Nicht nur der Marxismus hat das vertreten. Die marxistische Kritik der Religion ist eingebettet in den großen Strom der Aufklärung. Philosophen wie Auguste Comte (1798 bis 1857) und danach auch der Soziologe Èmile Durkheim (1858 bis 1917) sagten den unausweichlichen Verfall der großen Religionen voraus. Durkheim nahm sogar an, dass in Europa der Katholizismus im Verlauf eines halben Jahrhunderts verschwunden sein werde. Die religionskritischen Schriften der UdSSR und der DDR haben sich an diese Gedanken geklammert. Und gibt es nicht unter den Linken im Lande genügend Leute, die meinen, Marx damit einen Gefallen zu tun, wenn sie das nur laut genug wiederholen?
Die Gesellschaft der BRD, in der wir uns bewegen, ist offen und verkappt
erfüllt von religiösen Elementen, Organisationen und Strukturen. Zwar kann
ein Staat sich von Religionsgemeinschaften, wie zum Beispiel den Kirchen,
politisch und juristisch trennen. So steht es im Grundgesetz Art. 137 (1):
"Es besteht keine Staatskirche." Allerdings, eine Trennung der Gesellschaft
von Religion und Weltanschauung ist nicht möglich. Beide wollen nicht
verschwinden. Verbieten geht nicht. Beide sind in dieser Gesellschaft
vorhanden als Ausdruck der Lebensform und Denkweise von Menschengruppen und
Individuen. Ja: Religion ist "Privatsache" - dem Staat gegenüber, der da
nicht herumzuschnüffeln hat.
Aber Religion ist grundsätzlich nicht nur "Privatsache". Alle Handlungen,
die staatlichen und die privaten, haben Außenwirkung, sind funktional
öffentlich und politisch. Dies gilt fürs Rauchen, fürs Essen und Trinken
ebenso wie für religiöses Gebaren. Auch die Frommen im Lande singen und
beten nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern sind präsent in örtlichen
Gemeinden und tun sich überregional zusammen. Und sie mischen sich ein in
den öffentlichen Diskurs. Das ist ihr gutes verfassungsmäßiges Recht.
Auftrumpfend sprechen manche heute von der "Wiederkehr der Religionen" und behaupten, die Säkularisierung sei nur ein "moderner Mythos" gewesen. Aber auch sie irren: Die alte religiös überwölbte Welt wird nicht wiederkehren. Die Wandlung der religiösen Zusammensetzung unserer Gesellschaft macht sich an nahezu allen Stellen des täglichen Lebens bemerkbar. Die Bundesrepublik Deutschland steht, wie andere Staaten Europas auch, vor der Frage, wie sie mit dieser sich seit einigen Jahrzehnten entwickelnden "religiösen Diversifizierung" umgehen soll. Wenn es aber um eine Gesellschaft geht, in der unterschiedliche Kulturen mit ihren jeweiligen Religionen - keineswegs konfliktfrei - in religiösem und weltanschaulichem Frieden leben können, dann haben alle Beteiligten es in der Hand, einige alt-hergebrachte Auffassungen neu zu durchdenken.
Die mehr und mehr ausdifferenzierte Gesellschaft kennt nicht mehr die eine einzig akzeptierte selbstverständliche Wahrheit. Die Entstehung des modernen Staates wird insofern auch als ein Prozess der Neutralisierung religiöser Wahrheitsansprüche bezeichnet. Der moderne Staat hatte sich in seinem Selbstverständnis von den absoluten religiösen Wahrheiten zu emanzipieren, um den Frieden zwischen gegenläufigen religiösen Parteien gewährleisten zu können: Er ist religiös neutral. Der weltanschaulich-religiöse Pluralismus entzieht der traditionellen Fixierung des Staats-Kirchenrechtes auf die beiden großen Kirchen in der religionspolitischen Diskussion und Praxis allmählich den Boden - zugunsten einer breiteren Perspektive auf Religionen und Weltanschauungen. Damit eröffnen sich neuartige Konstellationen von gesellschaftlichen Konflikten, für die neue Regeln für ein friedliches Zusammenleben formuliert werden müssen.
Nachdem eine muslimische Lehramtsanwärterin dagegen geklagt hatte, dass sie bei ihrer beruflichen Tätigkeit kein Kopftuch tragen dürfe, legte das Bundesverfassungsgericht in seiner "Kopftuchentscheidung" im Jahre 2003 fest: Das Grundrecht der Glaubensfreiheit "erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten. Dazu gehört auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze, sondern auch solche religiösen Überzeugungen, die ein Verhalten als das zur Bewältigung einer Lebenslage richtige bestimmen." (BVerfGE 108, 282)
Dem Staat ist dabei der Auftrag zur Neutralität durch das Grundgesetz vorgegeben. "Neutralität" meint dabei immer die Anerkennung der widerstreitenden religiösen Interessen als grundsätzlich gleichwertig. Der Verfassungsauftrag der Neutralität gegenüber den Religionen und Weltanschauungen und der praktisch und erfolgreich geordnete religiöse Frieden in der Gesellschaft bestehen aber nicht einfach beziehungslos nebeneinander. Sie entfalten Wirkung aufeinander. Denn diese "Neutralität" ist selbst ein in Geschichte und Gesellschaft eingebetteter Begriff, deren friedensstiftende Praxis wiederum Einfluss auf die Auslegung der staatlichen Neutralitätspflicht in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hat. Auch das Grundgesetz enthält nicht, gleichsam wie eine "Heilige Schrift", absolut und endgültig alle Antworten auf zentrale politische Fragen. Das käme der Sakralisierung der Verfassung gleich, die so zu einer Art Bibel der Zivilreligion avancierte. Zum Beispiel hängt die konkrete Ausgestaltung staatlicher Neutralität davon ab, welche religiöse und kulturelle Tradition an dem Ort, für den die gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen sind, vorherrscht. In der Praxis kann die notwendige Weite der staatlichen Neutralitätspflicht in e iner multikulturell geprägten Schule, etwa in Berlin oder in Bremen, völlig anders beurteilt werden, als etwa in einer Schule, deren Umgebung und religiöse Tradition "unversehrt" katholisch geprägt ist; beispielsweise in einer kleinen Stadt in Bayern. Man stelle sich umgekehrt den Tumult vor, wenn der Berliner Landesgesetzgeber planen würde, so wie es in Bayern immer noch Vorschrift ist, an Berliner Schulen ein Kruzifix in allen Klassenzimmern aufzuhängen.
Die täglich zu erlebende Realität in den Schulen macht eine abstrakte
staatliche Distanz beim Thema Religion nicht möglich. Der Träger einer
Schule kann in der Praxis sich nicht, scheinbar konsequent, darauf
zurückziehen, für seine Schule sei die geltende Neutralitätspflicht im
Sinne einer "distanzierenden" möglicherweise "religionsfernen" Neutralität
auszulegen. Und zeitgleich belehrt ihn ein Blick auf seinen Schulhof, wie
Protestanten, Katholiken, russisch-orthodoxe Christen, serbisch-orthodoxe
Christen, syrisch-orthodoxe Christen, Sunniten, Schiiten, Aleviten, Juden,
Buddhisten und Hinduisten aufeinandertreffen, einander akzeptieren oder
auch heftig über religiöse Themen streiten. Diese jungen Menschen lassen
ihren Glauben wie auch ihre religiösen Konflikte nicht morgens in ihren
vier Wänden daheim. Religion, die Vielzahl ihrer Erscheinungsformen und
auch entsprechende Konflikte, gehören genau so zur Schule, wie die
Menschen, die sie besuchen. Ein "Kopftuchverbot" würde einseitig Partei
ergreifen und wäre damit eine unzulässige staatliche Vorgabe und
Einmischung. Die Schule als "religionsfreien" Raum gibt es nur ohne seine
religiösen Schüler. Hier kommt zur Geltung, was die Juristen die Beachtung
"distanzierender Neutralität" nennen. Ein grundlegender Begriff des
Religionsverfassungsrechts. Die Pflicht zur ethisch-religiösen Neutralität
hat die Verpflichtung des Staates zum Inhalt, den religiösen Frieden in der
Gesellschaft zu gewährleisten. Er muss gesetzgeberisch und zugleich
befriedend handeln.
Wir als gesellschaftliche Akteure haben es in der Hand, ob wir die
religiöse oder anti-klerikale Keule gegeneinander schwingen wollen, oder
realitätsnah, konkret und vor Ort uns um Ausgleich bemühen! Religiösen
Frieden in der Gesellschaft zu gewährleisten, das ist eine wesentliche
Voraussetzung zum Erhalt des säkularen Rechtsstaates.
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Quelle:
© 2022 by Karl-Helmut Lechner
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 12. Februar 2022
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