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INTERNATIONAL/038: Ruanda - Machterhalt durch Unterdrückung, Flüchtlinge gegen Repatriierung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. November 2011

Ruanda: Machterhalt durch Unterdrückung - Flüchtlinge gegen Repatriierung

ein Gastbeitrag von Robyn Leslie *


Johannesburg, 11. November (IPS) - Eigentlich müssten sie voreinander auf der Hut sein. Der historische Konflikt zwischen ihren ethnischen Gemeinschaften hat zum größten Völkermord in der Geschichte Afrikas geführt. Doch Claude Kayitare sitzt mit seinem Laptop in einem angesagten Restaurant im südafrikanischen Johannesburg und chattet entspannt mit Theogene Nshimyimana.

Beide Männer - Kayitare ist ein ethnischer Tutsi, Nshimyimana ein Hutu - sind nach einem langwierigen Annäherungsprozess Freunde geworden. Das zu Anfang vorhandene Misstrauen war ein Erbe des Blutbads, das radikale Hutu in nur 100 Tagen im Frühjahr 1994 an 800.000 Tutsi und moderaten Hutu begangen hatten. Heute leben Kayitare und Nshimyimana als Flüchtlinge in Südafrika.

Beide diskutieren derzeit heftig über eine Empfehlung des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), bis Ende des Jahres den Flüchtlingsstatus für ruandische Flüchtlinge durch die Anwendung der sogenannten 'Wegfall-der-Umstände-' oder 'Allgemeinen Beendigungsklausel' aufzuheben. Die Voraussetzungen dafür sind in den Genfer Konventionen festgeschrieben. Danach muss gewährleistet sein, dass Herkunftsländer ihren heimkehrenden Bürgern nachweislich den Schutz bieten können, den sie ihnen zuvor versagt hatten. In einem solchen Fall wird der Schutz der Gastländer überflüssig.

Nachdem das UNHCR die Aufhebung der Klausel empfohlen hat, ist es Sache Südafrikas, dem Vorschlag zuzustimmen und ihn umzusetzen. Ausnahmen sind möglich, doch Nshimyimana ist skeptisch. "Auf dem Papier mag es Sonderregelungen geben. Doch in der Praxis sieht das Ganze folgendermaßen aus: die Anwendung der Wegfall-Klausel erlaubt den Staaten, Ausländer abzuschieben. Wir werden zur Rückkehr in unsere Heimatländer gezwungen."

Viele Nichtregierungsorganisationen, zivilgesellschaftliche Gruppen und die ruandischen Flüchtlinge sehen in Ruanda die Bedingungen für eine sichere Heimkehr nicht gegeben. Seit der Ankündigung des UNHCR 2009, die Anwendung der Klausel zu empfehlen, haben Menschenrechtsorganisationen Ruanda einer genauen Überprüfung unterzogen. Die Ergebnisse sind keineswegs ermutigend.


Unterdrückung

Kayitare hatte Ruanda 2003 verlassen. "Ich war Mitglied der Ruandischen Patriotischen Armee. Als Soldat arbeitete ich für den militärischen Geheimdienst DMI", berichtet er. Doch jetzt setze die ruandische Regierung das Militär ein, um politische Widersacher, kritische Journalisten und sogar Zivilisten mundtot zu machen.

"(Ruandas Präsident) Paul Kagame hat bei den Wahlen 95 Prozent der Wählerstimmen erzielt. Ist eine solche Mehrheit realistisch?", fragt Kayitare. "Stellen Sie sich vor, wie sie zur Wahl gehen. Sie treffen im Wahllokal auf einen Soldaten mit Gewehr. Und dann stellen Sie sich vor, was passiert, wenn der Soldat sieht, dass Sie ihr Kreuz nicht für Kagama gemacht haben. Es könnte nämlich passieren, dass er sich Ihren Wahlzettel ansieht, sobald Sie gegangen sind. Sie können in einem solchen Fall nicht davon ausgehen, sicher nach Hause zu kommen."

Kayitare und Nshimyimana führen unzählige Beispiele für Kagames autoritären Führungsstil auf. Sie betonen, dass der Präsident einen Militärstaat aufgebaut habe, der die Menschen in Angst und Schrecken versetze. Kayitare zufolge verfügt der DMI über weitreichende Netzwerke ziviler Informanten, die eine Kontrolle der Bevölkerung möglich machen.

Nshimyimana ist selbst ein Opfer einer solchen Entwicklung. Nachdem er 1994 aus Ruanda geflohen war, zwang ihn der Ausbruch der Cholera in einem Flüchtlingslager in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) zur Heimkehr. "Ich kam zwar heil zu Hause an, doch meine Familie hätte mich den Behörden melden müssen, wäre ich geblieben. (...) Mein Vater hatte Angst, getötet zu werden, sollte ich zu Hause angetroffen werden", berichtet er.


"Klima des Kehledurchschneidens"

Kayitare kann die Aussagen seines Freundes nur bestätigen. "In Ruanda herrscht derzeit ein Klima des Kehledurchschneidens", sagt er. "Dort heißt es töten oder getötet zu werden. Ich selbst wurde gezwungen, die Knochen getöteter Menschen zu reinigen."

Bei den Schilderungen handelt es sich nicht um die Berichte verängstigter und traumatisierter Männer. 'Amnesty International', 'Human Rights Watch' und kirchliche Organisationen haben Untersuchungen vorgelegt, die detailliert Fälle von Verschwindenlassen und willkürliche Verhaftungen dokumentieren. Auch werden politische Parteien daran gehindert, sich registrieren zu lassen.

Diese Tatsachen stehen in einem starken Widerspruch zu dem schönen Bild, das Kagame von sich selbst und seinem Land in der internationalen Öffentlichkeit entworfen hat. Nach Ansicht der Ruandischen Plattform für Dialog, Wahrheit und Gerechtigkeit, der Kayitare angehört, poliert Kagame an seinem internationalen Image, um dem Westen vorzumachen, dass Ruanda ein gut funktionierender Staat sei.

Kayitare und Nshimyimana berichten beide, dass hochrangige internationale Gäste in Ruanda bestens betreut werden. "Was immer sie auch vorhaben, man sieht sie nie ohne Aufpasser", erläutert Kayitare. Eine Repatriierung der ruandischen Flüchtlinge, die sich noch immer in Ländern wie Südafrika, Sambia und Tansania aufhalten, wäre für das Regime der größte Public-Relation-Erfolg.

"Die Flüchtlinge beflecken sein Image. Er will, dass wir zurückkehren, damit er den Schaden beheben kann, den wir Flüchtlinge mit unserer Kritik an seiner Politik anrichten. Er will sich in Übersee von seiner besten Seite zeigen, doch Zuhause beschimpft er uns als Hunde und erbärmliche Fliegen." Tatsächlich ließ sich Paul Kagame Medienberichten zufolge zu der Aussage hinreißen, dass Ruandas Flüchtlinge "menschlichen Fäkalien gleichen, die ausgeschieden werden müssen".


Nach Repatriierung in der Falle

"Unsere Repatriierung würde bedeuten, dass Kagame endlich auf uns zugreifen kann. Er würde an alle Personen herankommen, die er zum Schweigen bringen will", warnt Nshimyimana. Von einer Anwendung der Allgemeinen Beendigungsklausel hält er deshalb gar nichts. "Hätte ich heimkehren können, wäre ich bestimmt nicht mehr hier, um mit Ihnen zu sprechen. Ich wäre schon längst in meine Heimat zurückgekehrt."

Kayitare zufolge sind die Probleme nicht wirtschaftlicher Natur oder auf einem mangelnden Zugang zu Land zurückzuführen. Was fehlt, sei der Friede. "Die tief sitzende Angst der Bürger wird Kagame an der Macht erhalten. Das versteht man unter Diktatur: Menschen, die so verängstigt sind, dass sie sich kein besseres Regime vorstellten können." (Ende/IPS/kb/2011)


* Robyn Leslie ist die Beraterin und Pressesprecherin des 'Jesuit Refugee Service' für das südliche Afrika.

Links:
http://www.facebook.com/pages/Rwandan-Platform-for-Dialogue-Truth-and-Justice-RDTJ/214871268550837
http://rwandinfo.com/eng/kagame-rwandan-exiled-officials-are-like-excreted-human-waste/
http://www.jrs.net/news_detail?TN=NEWS-20100709100500
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105768

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2011