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INTERNATIONAL/049: Kolumbien - schwere Menschenrechtsverletzungen, Beobachtermission schlägt Alarm (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Dezember 2011

Kolumbien: Schwere und zunehmende Menschenrechtsverletzungen - Internationale Beobachtermission schlägt Alarm

von Helda Martínez

Mirta Baravalle mit ausländischen Delegierten in Bogotá - Bild: © Helda Martínez/IPS

Mirta Baravalle mit ausländischen Delegierten in Bogotá
Bild: © Helda Martínez/IPS

Bogotá, 5. Dezember (IPS) - In Kolumbien werden nicht nur schwere, sondern auch immer mehr Menschenrechtsverletzungen begangen. Zu dieser Erkenntnis kommt eine internationale Beobachtermission, die sich fünf Tage lang in dem südamerikanischen Land umgesehen hat.

Denis L'Anglais, der für die Rechtsanwälte ohne Grenzen an der Mission vom 28. November bis 2. Dezember teilgenommen hatte, zeigte sich schockiert, "dass sich keine Besserung der Situation erkennen lässt".

Nach Angaben des Informationssystems über Aggressionen gegen Menschenrechtler (SIADDHH) wurden 2009 32 Menschenrechtler ermordet und 174 attackiert. Im Zeitraum von Juli 2010 bis Mai 2011 kostete der Einsatz für die Menschenrechte 54 Personen das Leben. Hinzu kamen 255 Übergriffe.

"In Kolumbien findet ein Völkermord statt", meinte dazu Mirta Acuña de Baravalle, ein Gründungsmitglied der argentinischen Menschenrechtsorganisation der Mütter und Großmütter der Plaza de Mayo. Acuña de Baravalle und L'Anglais hatten bereits mehrfach Gelegenheit, das südamerikanische Bürgerrechtsland zu besuchen.

Die internationale Beobachtungsmission ist aus der Internationalen Kampagne für das Recht, die Menschenrechte in Kolumbien zu verteidigen, hervorgegangen, die 2009 mit der Unterstützung von 292 internationalen Organisationen gestartet worden war.

Die Kampagne war zunächst als Antwort auf Drohungen gegen Kolumbiens Menschenrechts- und Sozialaktivisten gedacht gewesen, die jahrelang vom Präsidentengeheimdienst DAS illegal abhört worden waren. Der DAS hatte auch Journalisten, Oppositionspolitiker und Richter des Obersten Gerichtshofs bespitzelt.


Abgehört und dann verfolgt

Den Abhöraktionen folgten Drohungen, Übergriffe, Morde, Gerichtsverfahren und sexuelle Gewalt. Betroffen waren Anwälte, Sozialaktivisten, Reporter, Gewerkschaftler sowie Mitglieder von Gemeindeorganisationen, Indigenen- und Schwarzenverbänden.

Der Skandal führte zu einem Gerichtsverfahren gegen die damalige DAS-Direktorin María del Pilar Hurtado - die inzwischen in Panama im Exil lebt - und Jorge Noguera, der wegen seiner Verbindungen zu den rechten Paramilitärs im September zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde. Das Gericht befand ihn für schuldig, den Paramilitärs Listen mit den Namen von Personen ausgehändigt zu haben, die daraufhin ermordet wurden.

Auch Bernardo Moreno, ein ehemaliger Minister des früheren Staatschefs Álvaro Uribe (2002-2010), sitzt in Untersuchungshaft. Der Beschuldigungsausschuss des kolumbianischen Unterhauses ermittelt zudem gegen Uribe. Der Ausschuss ist berechtigt, gegen frühere und amtierende Staatspräsidenten Untersuchungen anzustrengen. Die Ermittlungen gegen den DAS gehen auch nach dessen Schließung im letzten Monat weiter.

Auch die Ermordung von 2.500 jungen Zivilisten, die von Armeeangehörigen später als im Kampf gefallene Rebellen ausgegeben wurden, beschäftigt die Gerichte. Bei den Opfern handelte es sich vorwiegend um junge Männern aus Armensiedlungen, die sterben mussten, damit Soldaten in den Genuss von Kopfgeldern oder anderen Vergünstigungen kommen konnten.


Hoffnungen auf bessere Zeiten getäuscht

Als Präsident Juan Manuel Santos im August 2010 die Präsidentschaft übernahm, rief er zu Frieden und Versöhnung auf und bezeichnete den Schutz der Menschenrechte als "grundlegende und zutiefst demokratische, ethnische und menschliche Verpflichtung". Santos hatte sich zudem zu einer unabhängigen Justiz bekannt, die sein Amtsvorgänger Uribe oft in Frage gestellt hatte. Außerdem baute er die Beziehungen zu verfeindeten Nachbarländern auf und beschleunigte die Verabschiedung eines Gesetzes, das die Rückgabe von Millionen Hektar Land an diejenigen Bauern vorsieht, die im Verlauf des Bürgerkrieges enteignet worden waren.

Dennoch ist die Zahl der Morde an Umweltschützern und Menschen gestiegen, die für die Rückgabe der weitgehend von den Paramilitärs enteigneten Ländereien kämpften. Auch mehren sich neue Fälle von Verschwindenlassen.

Wie die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) kritisierte, hat die Santos-Regierung mit ihrer Initiative zur Förderung des Bergbausektors schwere Umweltschäden auf indigenem Kollektivland angerichtet. HRW zufolge wurden 233 Bergbaukonzessionen über eine Gesamtfläche von 267.623 Hektar Land in 117 Reservationen vergeben.

Dem nationalen Entwicklungsplan von 2010 bis 2014 zufolge hat Uribe mit seiner Politik für ein hohes Maß an Sicherheit gesorgt. Doch die Internationale Kampagne für das Recht, die Menschenrechte in Kolumbien zu verteidigen, wirft dem damaligen Präsidenten vor, dass er sein Hauptaugenmerk auf die militärische Rückeroberung der Territorien gelegt und keine Anstrengungen unternommen habe, Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden oder den Opfern Hilfe anzubieten.

"Wir können zwar nicht die Santos-Regierung für die Geschehnisse verantwortlich machen", räumte L'Anglais ein. "Doch als Präsident muss er viel mehr tun, damit sich die Dinge zum Guten kehren." Die Internationale Beobachtermission war am 1. Dezember mit Regierungsvertretern zusammengekommen. Sie wird Bogotá im Januar ihre Empfehlungen zur Verbesserung der Menschenrechtslage unterbreiten. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2011