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INTERNATIONAL/095: Afghanistan - Keine Heimkehr in von Taliban kontrollierte Dörfer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. August 2012

Afghanistan: Keine Heimkehr in von Taliban kontrollierte Dörfer

von Esmatullah Mayar*


In Dörfern, die von den Taliban beherrscht werden, hat die Regierung einen schweren Stand - Bild: © Najibullah Musafir/Killid/IPS

In Dörfern, die von den Taliban beherrscht werden, hat die Regierung einen schweren Stand
Bild: © Najibullah Musafir/Killid/IPS

Kabul, 20. August (IPS) - Nematullah Wardak aus der zentralafghanischen Provinz Maidan Wardak arbeitet in Kabul. Die Angst vor den Taliban hält ihn bereits zwei Jahre von seinem Heimatdorf fern. "Die Regierung ist dort nur am Tag präsent", beklagt er. "Nachts herrschen die Taliban."

In Afghanistan trauen sich viele Menschen, die ihre Dörfer verlassen haben, aus Angst vor den radikal-islamischen Taliban nicht mehr zurück. Das gilt besonders für diejenigen, die derzeit in Städten wie Masar-e-Scharif, Maidan Shar, Ghasni und Herat leben.

Nach Angaben der Regierung hat sich die Sicherheitslage verbessert, seitdem die US-geführten NATO-Truppen damit begonnen haben, die Verantwortung an das afghanische Militär abzugeben. Bis 2014 sollen sich die ausländischen Truppen vollständig aus dem Land zurückziehen. Die ersten beiden Phasen des Abzugs sind bereits abgeschlossen.

Nematullah Wardak fürchtet aber nicht nur die Taliban, sondern auch afghanische Regierungssoldaten, die in Maidan Wardak Zivilisten schikanieren. "Mein Bruder war auf Besuch in unserem Heimatdorf, als dort Gefechte zwischen der Armee und den Taliban ausbrachen. Er wurde gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern festgenommen und kam unter großen Schwierigkeiten wieder frei", berichtet er.


Verwandtenbesuche sind ein tödliches Risiko

Wie ein Beamter der Behörde für Kommunikations- und Informationstechnologie in Ghasni östlich von Kabul, erzählt, wohnt er zur Miete in der Stadt, obwohl sein Dorf nicht weit entfernt ist. "Eine Rückkehr kommt für mich nicht in Frage. Weil ich für die Regierung arbeite, wäre dort mein Leben bedroht", sagt er, der sich Anonymität ausbat. "Ich ertrage Einsamkeit und Heimweh, um meinem Land zu dienen."

In einer ähnlichen Lage ist Mohamad Ali Ghasnawi, der im Distrikt Muqor in der Provinz Ghasni lebt. "Letztes Jahr konnte man einfach in den Distrikt Qara Bagh fahren, jetzt ist das unmöglich. Man würde sein Leben aufs Spiel setzen", sagt er. Seit er an der Eröffnungsfeier einer Schule in seinem Ort teilgenommen habe, stehe er auf der 'Abschussliste' der lokalen Taliban.

Enyatullah Hamdard stammt aus Khogiani, einem Dorf in der Provinz Nangarhar. Er traute sich noch nicht in sein Dorf zurück, um Anfang Juli an der Beerdigung eines Verwandten teilzunehmen. "Ich hätte mit meinem Leben gespielt", sagt er. "Unser Angehöriger wurde gleich neben einer Polizeiwache erschossen. Die Taliban sind überall. Abends und nachts ist die Regierung machtlos."

Mohammad Saleem Wafa aus der Provinz Farah, der für eine Nichtregierungsorganisation arbeitet, hat seine Familie seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. "Ich kann nicht auf dem Landweg dorthin fahren, das ist zu gefährlich. Und ein Flug ist sehr teuer."

Ein Beamter aus der Provinz Helmand wirft der Regierung sogar vor, noch nicht einmal in den afghanischen Städten für Sicherheit sorgen zu können. "Meine Familie ist in Helmand, und ich arbeite im Ministerium. Wenn ich einmal im Jahr nach Hause fahre, wird das vor Verwandten und Nachbarn geheim gehalten. Denn sie könnten regierungsfeindlichen Gruppen einen Hinweis geben."


Regierung Koordinationsschwächen vorgeworfen

Akhlaqi, ein politischer Beobachter in Kabul, führt die verschlechterte Sicherheitslage auf Koordinationsschwächen der zuständigen Behörden zurück. "Die Menschen haben aus einem Bedürfnis nach Sicherheit für diese Regierung gestimmt. Doch die schaut zu, wie sie ermordet werden."

Das Verteidigungsministerium weist die Vorwürfe zurück. Man habe die Sicherheitslage im Griff, hieß es kürzlich. Geplant sei, die größeren Autostraßen in allen Konfliktgebieten zu schützen, so Ministeriumssprecher Dawlat Wasiri. Er streitet ab, dass sich der Konflikt zwischen der Armee und den bewaffneten Gruppen verschärft hat. "Die Provinzen Kundus, Baghlan, Badakhshan und der Süden sind vollständig sicher. Wir haben daher keine Sicherheitsbedenken. Die Polizei arbeitet Tag und Nacht, um unsere Feinde zu bekämpfen." (Ende/IPS/ck/2012)

* Esmatullah Mayar arbeitet für 'Killid', eine unabhängige afghanische Mediengruppe. Killid ist Projektpartner von IPS.


Links:

http://www.isaf.nato.int/
http://www.ipsnews.net/2012/08/no-homecoming-where-taliban-rules/

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IPS-Tagesdienst vom 20. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2012