Schattenblick →INFOPOOL →REPRESSION → FAKTEN

INTERNATIONAL/103: Brasilien - Indigene versus Großgrundbesitzer, Kampf ist mitten im Gange (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2012

Brasilien: Indigene versus Großgrundbesitzer - Kampf ist mitten im Gange

von Alice Marcondes


Die Guaraní-Kaiowá-Indigenen wollen nicht länger auf Hilfe warten - Bild: © CIMI/Cléber Buzatto

Die Guaraní-Kaiowá-Indigenen wollen nicht länger auf Hilfe warten
Bild: © CIMI/Cléber Buzatto

São Paulo, 6. September (IPS) - Der Konflikt zwischen Indigenen vom Volk der Guaraní-Kaiowá und Großgrundbesitzern im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul ist ein Pulverfass, das kurz vorm Explodieren steht.

Nísio Gomes, Jenivaldo und Rolindo Vera sowie Teodoro Ricardi, Ortiz und Xurete Lopes sind nur einige Namen derer, die im Konflikt um Landrechte in den vergangenen Jahren ums Leben gekommen sind.

Insgesamt sind seit 2003 nach Angaben des katholischen Missionarsrats für Indigene (CIMI) 279 Menschen in dem Konflikt ums Leben gekommen. Der jüngste Fall: Eduardo Pires verschwand am 10. August, nachdem bewaffnete Männer eine Gruppe von Kaiowá-Indigenen in Arroio Korá angegriffen hatten. Arroio Korá ist ein rund 7.000 Hektar großes Territorium, das zur Gemeinde Paranhos gehört, die im Süden des Bundesstaates liegt.

Arroio Korá wurde am 21. Dezember 2009 unter dem damaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva offiziell als indigenes Territorium anerkannt. Doch nur eine Woche später hob der Oberste Gerichtshof die Entscheidung auf Bitte eines Großgrundbesitzers wieder auf und begrenzte die Fläche auf lediglich 184 Hektar.

Die rund 600 Indigenen sind damit nicht einverstanden. "Zurzeit leben sie verstreut auf 700 Hektar. Als sie entschieden, auch die übrige Fläche einzunehmen, stießen sie auf gewaltvollen Widerstand der Großgrundbesitzer", sagte Flávio Machado, regionaler Koordinator von CIMI in Mato Grosso do Sul.

Angegriffen wurden am 10. August 400 Indigene, während sie ein Lager auf der als indigenes Territorium genehmigten Fläche aufschlugen. Ganz in der Nähe befindet sich eine Hazienda. Auf einmal kamen mehrere bewaffnete Männer auf das Lager zu. "Ich hörte Schüsse und bin abgehauen", erzählt Eliseu. "Wir sind ein friedliches Volk. Wir haben keine Waffen. Aber trotzdem werden wir für unser Land kämpfen - und wenn wir sterben sollten, dann wenigstens auf unserem Land." Auch die anderen Indigenen traten die Flucht an. Doch einer von ihnen, Eduardo Pires, wird seither vermisst. "Ich bin mir sicher, dass er tot ist", meint Eliseu.

Für den Fall zuständig ist die Polizei von Mato Grasso do Sul. "Wir untersuchen den Fall und gehen den Hinweisen nach - aber bisher haben wir keine konkreten Anhaltspunkte", sagte Superintendent Edgar Paulo Marcon gegenüber IPS.


Kriegserklärung per Youtube

Der Indigenen-Organisation CIMI zufolge verwies die Polizei einige Großgrundbesitzer mit ihrem Vieh aus Mato Grasso do Sul. Seitdem sehen sich die Indigenen verschärften Bedrohungen ausgesetzt. Eine davon ist sogar öffentlich auf dem Videoportal Youtube zu sehen: In dem Video erklärt Luis Carlos da Silva Vieira, bekannt als Lenço Preto (Schwarzes Halstuch): "Wir werden uns organisieren und uns auf die kommende Konfrontation vorbereiten. (...) Sie wollen das Land nur, um uns zu ärgern. Wir aber haben Waffen. Sie wollen Krieg, also bekommen sie ihn auch."

Die Kaiowá schrieben daraufhin einen offenen Brief an die Regierung und fordern sie darin auf, sich endlich einzuschalten und etwas zu unternehmen. "Die Großgrundbesitzer haben uns öffentlich mit Massenmord gedroht. Wir wollen, dass dem nachgegangen wird, und dass die Verantwortlichen rigoros bestraft werden."

Es sei bekannt, dass die Großgrundbesitzer furchtbare Waffen hätten. "Außerdem verfügen sie über die finanziellen Mittel, die sie durch das Blut der Indigenen erwirtschaftet haben und mit dem sie mehr Waffen kaufen und Heckenschützen bezahlen können", heißt es in dem Brief weiter. "Wir haben keine Waffen und wüssten auch gar nicht, wie man sie gebraucht." Und schließlich: "Uns geht es um nichts anderes als um unser Leben und um das der Fauna und Flora unseres Planeten."


Staatsanwaltschaft fühlt sich bedroht

Neben der Polizei hat auch die Staatsanwaltschaft des Bundesstaates mit Ermittlungen begonnen. Am 28. August besichtigten Vertreter die Region. Später veröffentlichten sie auf der Internetseite der Staatsanwaltschaft eine Mitteilung, in der es heißt, sie hätten während ihres Besuches fünf Schüsse gehört. Diese seien offenbar abgefeuert worden, um sie einzuschüchtern, sodass sie ihre Untersuchungen nicht weiter hätten fortsetzen können.

Bereits am 24. August fuhren einige der Indigenen-Führer aus der Region in die brasilianische Hauptstadt Brasília, um sich mit Vertretern des Menschenrechtssekretariats und Mitarbeitern der Präsidentin Dilma Rousseff zu treffen. Die Regierung nahm sie schließlich in das Schutzprogramm für bedrohte Personen auf.

Für den Missionarsrat für Indigene ist die Maßnahme unzureichend. "Viele der Indigenen, die ermordet worden sind, waren von der Regierung in das Schutzprogramm aufgenommen worden. Das hat ihnen aber nichts genutzt", sagt Machado. Das einzige, was das Programm bewirkt habe, sei, dass die Regierung Ermittler losgeschickt habe, um die Vorfälle zu untersuchen. (Ende/IPS/jt/2010)


Links:

http://www.youtube.com/watch?v=1tvfASuar4M
http://www.mp.ms.gov.br/portal/
http://www.ipsnews.net/2012/09/declaration-of-war-in-mato-grosso-do-sul/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101503

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2012