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INTERNATIONAL/155: Nigeria - Notstandsverordnung verschärft Menschenrechtsverletzungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Juni 2013

Nigeria: Notstandsverordnung in drei Bundesstaaten verschärft Menschenrechtsverletzungen

von Toye Olori


Bild: © Chris Ewokor/IPS

Der Bombenanschlag auf das UN-Gebäude in Abuja Ende August 2011 kostete 23 Menschen das Leben
Bild: © Chris Ewokor/IPS

Lagos, Nigeria, 10. Juni (IPS) - In Nigeria hat die Regierung in drei Bundesstaaten den Notstand ausgerufen. Die lokale Bevölkerung ist alarmiert. Sie fürchtet sich nicht nur vor einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise, sondern vor Menschenrechtsverletzungen durch Regierungssoldaten, die auf der Suche nach Terroristen Tür-zu-Tür-Befragungen durchführen.

Eine Gemeinsame Militärische Taskforce ist bereits in Borno, Yobe und Adamawa im Einsatz, über die Staatspräsident Goodluck Jonathan am 14. Mai den Notstand verhängt hat, nachdem Berichte bekannt geworden sind, dass islamistische Boko-Haram-Extremisten einige Städte im Nordosten des Landes übernommen haben. So sollen sie dort die nigerianischen Flaggen entfernt und ihre eigenen gehisst haben.

Doch wie Lucy Freeman, die Afrika-Beauftragte von 'Amnesty International', berichtet, fürchten die Menschen dort nicht nur die Boko Haram. Die Einwohner der drei Bundesstaaten sehen sich auch mit Menschenrechtsverbrechen von Seiten derjenigen konfrontiert, die sie eigentlich schützen sollen.

"In den letzten Wochen haben Einwohner von Borno im Norden Nigerias Amnesty berichtet, dass es in Maiduguri zu Massenverhaftungen gekommen ist. Viele Menschen sind aus der Stadt geflohen, und einige Viertel sind bereits zu Geisterstädten verkommen", so Freeman. "Öffentliche Schulen mussten geschlossen werden, weil viele Eltern viel zu große Angst haben, ihre Kinder zum Unterricht zu schicken."

Boko Haram, was übersetzt 'Westliche Bildung ist Sünde' bedeutet, kämpft für einen unabhängigen Staat, in dem das islamische Recht der Scharia gelten soll. Einem Bericht der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) aus dem letzten Jahr zufolge wird die Gruppe beschuldigt, seit 2009 fast 3.000 Menschen umgebracht zu haben. Zu den jüngsten Übergriffen kam es am 7. Mai in der nordnigerianischen Stadt Bama. 55 Menschen kamen dabei ums Leben.


Vermeintliche Kollaborateure in Isolationshaft gehalten

Freeman zufolge hat Amnesty herausgefunden, dass die Gefangenen, die von den staatlichen Sicherheitskräften festgenommen wurden, keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Sie dürfen weder mit Anwälten noch mit Angehörigen sprechen. "Angebliche Kollaborateure von Boko Haram werden in der Regel nicht über die Gründe ihrer Festnahme informiert. Ihre Familien wissen nicht, wo sie festgehalten werden, und der Zugang zu Anwälten wird ihnen versperrt. Die meisten warten in Gefängnissen auf ihren Prozess."

Ali Sani stammt aus Mubi, einer größeren Stadt in Adamawa, und ist nach Kano im Norden Nigerias geflohen. Wie er berichtet, hat die Armee in seiner Heimatstadt ein Ausgehverbot verhängt. Von einem Freund, der erst kürzlich aus Mubi gekommen sei, habe er erfahren, dass in Mubi zwar nicht gekämpft werde, dass aber die Ausgangssperre in dem Bundesstaat die Bewegungsfreiheit der Menschen und die wirtschaftlichen Aktivitäten zum Erliegen gebracht habe.

"Jede Kommunikation mit den Menschen vor Ort ist unmöglich, da die Telefonleitungen gekappt wurden. Bauern können aus Angst vor Übergriffen nicht auf ihre Felder und die Nahrungsmittelpreise steigen", fügt er hinzu.

Im März starben 41 Menschen bei einem Selbstmordattentat, und im April kosteten Kämpfe zwischen Armee und Boko Haram 187 Menschen das Leben. Wie ein Journalist aus dem zentralen Bundesstaat Kaduna gegenüber IPS erklärte, ist die Kommunikation in Borno, Yobe und Adamawa seit der Verhängung des Notstands zusammengebrochen. "Es ist eine Sache, die Kommunikation zwischen Mitgliedern von Boko Haram zu unterbinden, um die Islamisten daran zu hindern, ihre Bomben zu zünden", meinte der Redakteur, der sich Anonymität ausbat. "Doch trifft diese Maßnahme unschuldige Menschen, die nun ihre Angehörigen nicht mehr erreichen können."


Allgemeines Verständnis für Notstandsverordnung

Doch Fredrick Fasehun zufolge, dem Gründer des 'Oodua-Volkskongresses' (OPC) im Südwesten Nigerias, sind solche Militäroperationen in einem Gebiet, über das der Notstand verhängt wurde, gang und gäbe. Die OPC ist eine militante nationalistische Yoruba-Organisation. "Die Streitkräfte sind dazu verpflichtet, in einem solchen Fall mit aller Gewalt für Recht und Ordnung zu sorgen", erklärte Fasenun gegenüber IPS in Lagos. Als Gründer einer illegalen militanten Gruppe war Fasehun selbst verschiedene Male vom Militär festgenommen worden. Seiner Meinung nach müssten Verdächtige penibel verhört, jedoch Unschuldige wieder freigelassen werden. Diejenigen, gegen die sich der Verdacht verhärte, gehörten vor Gericht.

Während auch der Menschenrechtsaktivist Femi Falana die Notstandsverordnung verteidigt, erklärte er gegenüber Journalisten in Lagos, Staatspräsident Jonathan müsse zwar angesichts der zunehmenden terroristischen Anschläge, Entführungen, bewaffneten Raubüberfälle und anderen kriminellen Handlungen entschieden gegen die Boko Haram vorgehen, dürfe aber den Rahmen der Verfassung nicht sprengen. (Ende/IPS/kb/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/06/communication-blackout-rights-abuses-in-nigerias-emergency-states/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2013