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INTERNATIONAL/441: Chile - "Wir fordern das Recht, in Frieden zu Leben!" (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Chile

"Wir fordern das Recht, in Frieden zu Leben!"



Kleines Mädchen auf dem Bürgersteig, auf der Straße fährt ein gepanzertes Fahrzeug - Foto: © Marcelo Del Campo

Foto: © Marcelo Del Campo

Mit einem Interventionsplan will die Regierung den Drogenhandel bekämpfen. Doch faktisch häufen sich Beschwerden über polizeiliche Willkür.

(Santiago de Chile, 16. Mai 2020, npla/Menschenrechtskomitee La Legua) - La Legua Emergencia ist ein Stadtteil im Süden der chilenischen Hauptstadt. Über die Hälfte der etwa 4.000 Bewohner*innen lebt unterhalb der Armutsgrenze; organisierter Drogenhandel und Gewalt bestimmen den Alltag der Menschen. 2001 wurde ein staatliches Interventionskonzept eingeführt. Mit der Einrichtung einer Polizeistation innerhalb des Viertels sollte die Kriminalität bekämpft werden, doch faktisch häufen sich seither Anzeigen und Beschwerden aufgrund polizeilicher Übergriffe. Mit der Gründung des Menschenrechtskomitees im Oktober 2010 begann die Bevölkerung, sich gegen die staatliche Willkür und das Fehlen rechtsstaatlicher Garantien organisiert zur Wehr zu setzen. In Reaktion auf die jüngsten Eskalationen hat das Komitee die folgende Erklärung veröffentlicht.


Wir haben ein Recht auf Frieden!

In den letzten Wochen hat die Gewalt in den Straßen von La Legua Emergencia merklich zugenommen. Am 15. Mai kam es zu einer blutigen Schießerei. Etwa ein Dutzend Streifenwagen der Kriminalpolizei PDI (Policía de Investigaciones) fuhr vorbei, ohne sich um den Vorfall zu kümmern. Berichten von Nachbar*innen zufolge wurde auf der Straße Mataveri, die das Viertel im Norden begrenzt, auch ein Fahrzeug der GOPE (Grupo de Operaciones Policiales Especiales) gesehen. Doch obwohl die Polizei gerufen [1] worden war, kamen weder die Spezialeinheit der Carabineros noch die Streifenwagen der PDI den Nachbar*innen zu Hilfe. Die offizielle Darstellung der Behörden ist den Menschen von La Legua nur zu bekannt: Man sei bemüht, für Sicherheit auf den Straßen zu sorgen und die Gewalt und den Drogenhandel einzudämmen, doch faktisch passiert das Gegenteil: Die Polizei gibt Gas und fährt weiter. Was die Lage noch schlimmer macht: Bei Menschenrechtsverletzungen, die von Garanten des Rechtsstaats begangen werden, greift die Polizei grundsätzlich nicht ein.


Viele Schusswaffen stammen aus den Beständen von Polizei und Militär

Wir Bewohner*innen von La Legua wehren uns gegen diese Behandlung und fordern: Schluss mit der Ausgrenzung und Diskriminierung. Wir möchten genauso behandelt werden wie andere Bürger*innen. Wir sagen es noch einmal: Die in unserem Viertel stationierten Beamten sollen endlich ihre Arbeit machen. Die Einrichtung der Polizeiwachen von GOPE und PDI dient vielleicht dem Image der Regierung, die Probleme der Bevölkerung lösen sie jedenfalls nicht. Verbrechen werden ganz offen verübt. Der organisierte Drogenhandel stockt sein Waffenarsenal weiter auf, wobei viele Schusswaffen offensichtlich aus Beständen von Polizei und Militär stammen. Die Polizei schaut weg oder zieht sich zeitweilig zurück. Seit 19 Jahren besteht der staatliche Interventionsplan. Wir fragen: Wo war denn die Polizei in all' diesen Jahren, wenn die Schüsse fielen und die Kugeln in die Häuser der Familien, in die Körper der Bewohner*innen drangen?


Jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben in Würde

Unter psychologischem und sozialem Aspekt hatte das Verhalten der Sicherheitskräfte in den letzten zwei Jahrzehnten desaströse Folgen: Immer mehr Kinder und Jugendliche schließen sich den Drogenbanden an. Die Verzweiflung und Perspektivlosigkeit innerhalb der Familie und der Bevölkerung verschärfen die allgemeine Misere. Polizei und Behörden behandeln uns mit Geringschätzung. Es darf nicht sein, dass wir auf die Güte der diensthabenden Beamten hoffen müssen, wenn es um unser Recht auf ein würdiges Leben geht.

Aufgrund der weltweiten gesundheitlichen Notlage erlauben wir weitreichende staatliche Eingriffe in unser tägliches Leben, bemühen uns, zu Hause zu bleiben, nicht zur Arbeit zu gehen, nicht unsere Liebsten zu umarmen. Inmitten dieser außergewöhnlichen Situation fordern wir die Regierung auf, unsere Beschwerden ernst zu nehmen, die Drogenkriminalität zu bekämpfen und die institutionelle Gewalt zu beenden, die der Staat selbst gegen uns ausübt, und sich für die Würde aller Menschen einzusetzen. Wir haben ein Recht darauf, in Frieden zu leben. Unsere Forderungen zu erfüllen wäre ein erster Schritt, um das Leben in Frieden in La Legua wieder möglich zu machen.


Anmerkung:
[1] https://www.eldesconcierto.cl/2020/05/16/redes-vecinos-de-la-legua-denuncian-ausencia-de-intervencion-policial-por-balacera-en-toque-de-queda/


URL des Artikels:
https://www.npla.de/thema/repression-widerstand/wir-fordern-das-recht-in-frieden-zu-leben/


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2020

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