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SCHACH-SPHINX/04552: Seneca als Bettlektüre (SB)


Welche Bettlektüre bevorzugen wohl Schachmeister? Einen Schachthriller oder doch eher das Lesevergnügen beim Betreten der 64 Etagen des Grauens? Garry Kasparow jedenfalls bleibt seinem Tiefgang auch vorm Einschlafen treu und versetzt sich am liebsten in die Gedankenwelt des römischen Philosophen Seneca, der seiner Nachwelt das Erbe der großen Gelassenheit hinterlassen hatte. Warum diese Trostsuche? Hat Kasparow etwa Probleme mit dem Erfolg? Seneca predigte jedenfalls das Wort vom Gleichmut gegenüber allen eitlen Weltgenüssen und der Schnödheit hoher Ämter und Würden. Frei zu sein für das Betrachten des Wesentlichen, lautete sein Credo. Der ungetrübte Blick, nun, das könnte schon eher Kasparows Gefallen finden. Auf dem Brett, im Durcheinander der Möglichkeiten ist Nüchternheit Trumpf, und daß der PCA-Weltmeister kein Freund der Schnörkel und barocken Romantik ist, das bewies er hinlänglich in seinen Partien, in denen Logik sich an Klarheit knüpft und der Sieg immer eine Frage gangbarer, zufallsfreier Wege ist. Doch einer Prise Metaphysik entbehren wohl auch seine Gedanken nicht. Denn suchte Seneca hinter allem Trug nicht auch den unbefleckten Sinn allen Daseins? Dieser entschlüpfte Kasparow allerdings im heutigen Rätsel der Sphinx, als er nun 1.Tb1xf1? zog und sich mit einem Remis begnügen mußte. Später entdeckte er den verborgenen Gewinnweg. Also, Wanderer, mit Seneca in der Jackentasche hätte er diesen auch schon während der Partie gefunden!



SCHACH-SPHINX/04552: Seneca als Bettlektüre (SB)

Kasparow - Kramnik
New York 1994

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Erst marschierte ein Bauer mit vollem Seelendrang voran, 1.g5-g6! h7- h6, dann gab die Dame mit 2.Dh5xh6+! ihr Herzblut hin und zuletzt schmunzelte der selige Philidor: 2...g7xh6 3.g6-g7+ Kh8-g8 4.g7xf8D+ Kg8xf8 5.Td7xd8+ und Schwarz gab wegen horrenden Materialnachteils auf.


Erstveröffentlichung am 30. Dezember 2000

03. November 2012





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