Schattenblick →INFOPOOL →SCHACH UND SPIELE → SCHACH

SCHACH-SPHINX/04555: Prophetischer Wandel (SB)


Wenn Einfachheit Rätsel aufgibt, dann nennen wir es Tiefe und entledigen uns so der Mühe einer klärenden Auseinandersetzung. Die Schachkunst hat viele Legenden gehabt, und der kubanische Weltmeister José Raoul Capablanca gehört mit Abstand wohl zu den am meisten mythologisierten Figuren auf der 64feldrigen Weltbühne. Sein Erscheinen hatte etwas Kometenhaftes. Europa war nahe dran, unter den Dogmen des Positionsspiels zu ersticken, die von Wilhelm Steinitz und vornehmlich Siegbert Tarrasch zu Papier gebracht worden waren, als mit Capablanca ein Talent auftauchte, das keiner Schule angehörte und Schach so natürlich und ungekünstelt spielte, daß viele, beispielsweise Richard Réti, in ihm einen Propheten des Wandels zu erblicken glaubten. Gradlinigkeit, wo zuvor allzu schablonenhaft gedacht wurde, Zweckreinheit in den Ausführungen, Sauberkeit des Plans, Präzision im Handwerk, klare Kombinationen und keine schwindelerregenden Wagnisse, all das zeichnete den Kubaner aus. Mit Sicherheit war er keine Wagnersche Sturmgestalt, doch auch keine Rokoko-Figur der Geziertheit. Das Feld, das er durchschritt und auch für andere begehbar machte, die Ideen, die er der Welt schenkte, und nicht zuletzt die Rückbesinnung auf einfache Denkstrukturen machte aus ihm die "Schachmaschine". Doch wozu soviel Worte verschwenden, wenn es Réti mit einem einfachen Satz treffsicher formuliert hatte: "Schach ist seine Muttersprache." Im heutigen Rätsel der Sphinx aus dem WM- Kampf in Havanna zeigte sich Capablanca so souverän, daß selbst ein Emanuel Lasker mit seinem gesunden Menschenverstand den kürzeren zog. Also, Wanderer, wie führte Capablanca die weißen Figuren zum Sieg? Lasker hatte zuletzt 1...Ta5-a4 gespielt.



SCHACH-SPHINX/04555: Prophetischer Wandel (SB)

Capablanca - Lasker
Havanna 1921

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Kortschnoj bewies, daß er von seiner alten Frische nichts eingebüßt hatte, als er den niederschmetternden Zug 1...Lh6xf4!! fand. Wie tief diese Antwort auf 1.f6-f7 durchdacht war, zeigte der Partieverlauf: 2.f7-f8D Lf4xe3+ 3.Kg1-h1 Le3-h6 4.Df8-f2 Lh6-g7 5.a5-a6 Tb3-f3 6.Df2- e1 Lb7xa6 7.Lf1-e2 Tf3-f7 8.Da7-c5 c4-c3 9.Dc5xc3 La6xe2 10.De1xe2 De6- f6 11.Dc3-c1 Lg7-h6 12.Dc1-b1 Df6-f5 13.Kh1-g1 Tf7-c7 und Karpow mußte trotz seiner beiden Damen die Segel streichen. Hinterher fanden die Analytiker in 2.f7-f8S+! den besseren Zug, wenngleich Kortschnoj auch hier nach 2...Kh7-h6 3.g3xf4 - 3.Sf8xe6 Lf4xe3+ 4.Kg1-h1 Tb3-b1 - 3...De6-f7 4.a5-a6 Df7xf4 5.Se3xd5 Tb3xg3+! 6.h2xg3 Df4xg3+ 7.Kg1-h1 Dg3-f3+ 8.Kh1-g1 h3-h2+ 9.Kg1xh2 g4-g3+ bzw. 4.Se3xg4+ Kh6-h5 5.Da7-b8 Kh5xg4 6.Lf1-e2+ Tb3-f3! auf dem Siegespfad gewandelt wäre.


Erstveröffentlichung am 31. Dezember 2000

06. November 2012





Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang