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SCHACH-SPHINX/04641: Wendepunkt im denkerischen Habitus (SB)


Der Gedanke, einen Weltmeister und König für das Schachvolk zu bestimmen, ist über 150 Jahre alt, und wie sollte es anders sein, als daß die royalistischen Engländer ihn ins Leben riefen. 1843 trafen sich in Paris zwei Schachmeister, die jeder für sich ihre eigenen Denkgepflogenheiten widerspiegelten. Für die Franzosen trat Pierre Charles Fournier Saint-Amant an, der nach dem Tode von Louis Charles de Labourdonnais die Fackel des französischen Kaffeehausschachs weitertrug. Gesellig, wie dies Volk an der Seine war, vertrieb es sich die Zeit in einem Umfeld anrüchiger Leichtlebigkeit. Anders der Engländer Howard Staunton. Als Mann von Welt pflegte er in Clubs zu residieren. Er unterwarf das Schach einer viel strengeren Disziplin, als es sein französischer Kontrahent je vermocht hätte. Engländer sind immer schon Verstandesmenschen gewesen. Die Gedanken müssen wie ein Stehkragen sitzen. An der Form erkennt man den Engländer, den Franzosen verrät dagegen seine verspielte Lässigkeit. In der Pionierphase zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es die Franzosen, die Schachgeschichte schrieben. Die Risikobereitschaft war ihr Metier. Der Schwung ihrer Einfälle, die Art, wie sie aus allem das Kurzfristige hervorlockten, verblüffte und irritierte die Engländer zunächst. So gewannen die Franzosen die ersten Gefechte, bis die englische Stirnfalte zurückschlug. So unterlag Saint-Amant in Paris wohl hauptsächlich deshalb, weil er den Kampf mit geringerer Hartnäckigkeit verfolgte. Er kannte anders als Staunton nicht die Verbissenheit fürs Detail. Mit elf Siegen bei sechs Niederlagen und vier Remisen konnte Staunton dank der strengen Folge seiner Überlegungen triumphieren. Das sprunghafte und mehr dem Zufälligen verpflichtete Kaffeehausschach blieb dagegen in seinen Kinderschuhen stecken. Mit den Engländern begann auch die Ära des nationalen Vergleichs. Sie etablierten ihren elitären Anspruch, indem sie Staunton nach seinem Pariser Sieg zum "Champion of the World" hochstilisierten. Acht jahre später beim Londoner Turnier von 1851 zeigte sich jedoch, daß der deutsche Geist mit seinem Tiefgang beide Welten auszusöhnen verstand. In Adolf Anderssen vereinigte sich die französische Kombinationsfreude mit der pragmatischen Logik des Engländers zu einem harmonischen Ganzen. In heutigen Rätsel der Sphinx aus dem Londoner Turnier gewann der Breslauer Meister mit Weiß, indem er die schwarze Stellung im Handstreich überrannte, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/04641: Wendepunkt im denkerischen Habitus (SB)

Anderssen - Wyvill
London 1851

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
1...f7-f6? ermöglichte es Meister Steinitz, die Jagd auf den schwarzen König zu eröffnen: 2.Sf3-g5! f6xg5 3.Ld3xh7+! Kg8xh7 4.h4xg5+ Kh7-g8 5.Dd1-h5 Sd7xe5 6.f4xe5 Tf8-f5 7.g2-g4 Tf5xe5+ 8.Ke1-d1 Lc5-e3 9.Lc1xe3 Te5xe3 10.Sc3-b5! - der Fluchtweg des schwarzen Königs über d6 wird versperrt - 10...Te3-f3 11.g5-g6 und da 11...Kg8-f8 an 12.Dh5- h8+ Kf8-e7 13.Dg8xg7+ nebst Matt scheiterte, gab Schwarz sogleich auf.


Erstveröffentlichung am 29. Januar 2001

31. Januar 2013





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