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SCHACH-SPHINX/04648: Mannheimer Zwischenfall (SB)


Daß selbst Politiker zuweilen geostrategische Entwicklungen in einem gänzlich falschen Licht beurteilen, ruft kaum noch eine Unmutfalte hervor. Die wirkliche Politik wird schließlich nicht im Plenarsaal gemacht. Noch weniger dürfte verwundern, daß Schachmeister seit jeher kein Augenmaß für Realitäten besaßen. Man denke da an das Mannheimer Turnier von 1914. Der Deutsche Schachbund hatte anläßlich seines 35jährigen Bestehens zum 19. Kongreß eingeladen. 18 Meister kamen und spielten bis zur elften Runde, als plötzlich ein Kurier hereinstürmte und mit trommelwirbelartigem Tonfall den Ausbruch des Ersten Weltkrieges bekanntgab. Die Schachmeister hatten in ihrer weltanschaulichen Nestwärme alle Zeichen des drohenden Gemetzels übersehen oder schlichtweg ignoriert. Ein aufgeregter Tumult entstand. Was war zu tun? Der Instinkt riet zur Flucht, zumal bei den ausländischen Turnierteilnehmern. Doch wenn es etwas gibt, das Schachspieler noch mehr verabscheuen als ein Matt dann die Unterbrechung ihrer allerwertesten Angelegenheiten. Also machte man den Vorschlag, das Turnier kurzerhand in die neutrale Schweiz zu verlegen. Dagegen sprach jedoch der enorme Aufwand an Zeit, und noch dem blindesten Zeitgenossen dämmerte, daß Zeit wohl das Kostbarste war, dessen man in dieser Situation verlustig gehen konnte. Da meldete sich der deutsche Großmeister Siegbert Tarrasch zu Wort und schlug vor, das Turnier um ein Jahr zu verschieben, offenbar in der irrigen Annahme, daß sich der kriegerische Aufruhr als Antwort auf die Ermordung des österreichischen Thronfolgers nach dieser Frist gelegt haben dürfte. Tarrasch, der auf dem Brett feinste Züge vorausberechnen konnte, bewies in diesem Augenblick, wie fern vom tatsächlichen Geschehen sich doch sein Realitätssinn bewegte. Im heutigen Rätsel der Sphinx zeigte Tarrasch wenigstens auf dem Brett Durchblick, als er auf den Zug 1...Ta8-a7 seines Kontrahenten eine brillante Gewinnkombination aus seinem Schulmeisterhut zauberte. Also, Wanderer, wie brach die schwarze Stellung zusammen?



SCHACH-SPHINX/04648: Mannheimer Zwischenfall (SB)

Tarrasch - von Scheve
Leipzig 1894

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
1...Lg4xe2 2.Th1-e1 sah gescheit aus, scheiterte jedoch eklatant an der Erwiderung 2...Tf8-e8! mit der kraftvollen Finesse eines Läuferabzugs: 3.Te1xe2 Le5xc3+ 4.Kd2-d1 Te8xe2 5.Kd1xe2. Das Endspiel behandelte Bruckner mit der nötigen Akkuratesse: 5...Lc3xb4 6.Lc2-a4 Kg8-f7 7.Ke2-e3 Lb4-e1 8.La4-c6 Kf7-e6 9.Ke3-d4 Le1-f2+ 10.Kd4-c3 Ke6- d6 11.Lc6-e8 Kd6-c5 12.h4-h5 d5-d4+ 13.Kc3-c2 d4-d3+ 14.Kc2-d2 Kc5-d4 und Weiß gab auf.


Erstveröffentlichung am 31. Januar 2001

07. Februar 2013





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