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SCHACH-SPHINX/05054: Verschleiß ist kein Gesetz (SB)


Irgendwann im Leben eines Schachspielers kommt der Augenblick, wo er sich eingestehen muß, daß seine Schaffenskurve auf dem Weg nach unten ist. Nicht, daß er abrupt an Spielstärke verliert, eher schleichend, aber bestimmt, nimmt seine schöpferische Kraft ab. Dieser Meinung war zumindest der Ex-Weltmeister Michail Botwinnik gewesen: "Der Schachspieler wird zunächst immer stärker und erreicht seine größte Spielstärke zwischen 30 und 40 Jahren, dann beginnt er wieder schwächer zu spielen. Das ist ein Lebensgesetz, daran kann man nichts ändern. Wann die höchste Spielstärke erreicht wird, hängt davon ab, ob der Spieler der Typ eines Praktikers oder eines Forschers ist. Der Praktiker hat seine beste Zeit wahrscheinlich eher mit 30 Jahren, der Forscher eher mit 40 Jahren." Daß Botwinnik damit seinem Ingenieursstand Rechnung trug, darf in diesem Zusammenhang natürlich nicht außer acht gelassen werden. Sein sogenanntes 'Lebensgesetz' bezieht sich in erster Linie auf die Verschleißprozesse, die aus jeder Maschine eines Tages einen Schrotthaufen machen. Da man sich in dieser mechanistischen Weltanschauung den Menschen nicht anders vorstellt als eine Maschine, lag es für Botwinnik wohl nahe, einen solchen Punkt höchster Schaffenskraft anzunehmen, der dann, bedingt durch den Verbrauch an Potentialen, der natürlich bei einem Praktiker höher liegt als einem Forscher, langsam im Schwinden begriffen ist. Es soll hier gar nicht bestritten werden, daß ein Turnierspieler, der sich ja bildlich gesprochen in einem maschinellen Ablauf - nämlich den der Turnierpraxis - einbindet, durch die hohen Anforderungen regelrecht "verbraucht" wird. Aber nur unter diesen Voraussetzungen läßt sich eine technische Verschleißkurve ableiten. Wo Potentiale in einer bestimmten Art des Verbrauchs verwertet werden, kommt es zu einem Stillstand der Entwicklung. Mehr hat Botwinnik nicht behauptet, obwohl er es aus berufsständischer Sicht irrtümlch als Gesetz formuliert hatte. Daß das Konzept des Verbrauchs vielleicht völlig irrig ist und ganz andere Denkansätze möglich und machbar wären, das mutet einem Techniker natürlich wie ein Sakrileg an. Aber auch hier bestimmt nur das Interesse alle weiteren Denkschritte. Nun zurück zum heutigen Rätsel der Sphinx und damit zu einer glänzenden Siegpartie des österreichischen Großmeisters Karl Schlechter, der mit den schwarzen Steinen gegen die Mattdrohung auf g7 eine lehrreiche Parade fand. Bist du Auge genug, Wanderer, um sie zu sehen?



SCHACH-SPHINX/05054: Verschleiß ist kein Gesetz (SB)

Breyer - Schlechter
Baden 1914

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Das Verlassen der siebten Reihe mit 1...Dd7-c6? war für Meister Taimanow wegen 2.Dh4-h8+! verhängnisvoll: 2...Sf7xh8 3.g7xh8D+ Kg8xh8 4.Tf3-h3+ nebst Matt.


Erstveröffentlichung am 12. Juni 2001

20. März 2014





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