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SCHACH-SPHINX/05297: Aus der Asche der Zeitenströme (SB)


Das Leben eines Schachmeisters wird nie eintönig, nie wird er seine Lehre ausgelernt haben, dafür sorgt schon die explodierende Mannigfalt aufgebesserter Varianten, die Jahr für Jahr auf den Markt drängen, in allen Nuancen ausgereizt werden, um dann wieder ins Grab der Vergessenheit zurückzusinken. Dieser Wechsel der Orientierungen ist auch nötig, ansonsten würde das Turnierspiel rasch in Monotonie erstarren wie ein Tropfen Wasser im Atem arktischer Winde. Der Wechsel schafft Leben, gebiert neue Einsichten, läßt langgehegte Wahrheiten verwelken, und aus der Asche dieser Zeitenströme wächst die Kraft zur Erneuerung empor. Daß Abwechslung ein notwendiges Übel ist, erklärte einst auch der französische König Heinrich IV. - er regierte zwischen 1589 und 1610 - seinem Beichtvater. Dieser zeigte sich von der königlichen Schwärmerei für die zarte Weiblichkeit jedoch peinlich berührt und ersuchte den Regenten, von seinen vielen Liebschaften Abstand zu nehmen. Doch für Reue war im Herzen Heinrichs kein Platz und um seinen Beichtvater zur Einsicht zu bringen, ließ er ihm tagelang nur Rebhühner auftischen. Rebhühner gebraten, Rebhühner in Suppen, in Salaten, mal mit Brot, mal gesotten und mit scharfen Soßen, morgens, mittags und abends. Das ging über Wochen so weiter, bis sich der Herr Beichtvater hängeringend ein Stück Käse ausbat oder geräucherten Fisch, eine gebratene Hühnerkeule oder einfach nur einen Apfel. Man sagt, der Beichtvater habe seinem reuelosen König nie wieder Vorhaltungen gemacht wegen dessen ungezählten Liebeständeleien. In solcher Rebhuhn-Üppigkeit und Prasserei konnte der deutsche Großmeister Fritz Sämisch nie schwelgen. Sein Leben lang kaute er das harte Brot der Entbehrungen, und wären nicht gelegentlich mildtätige Seelen zur Stelle gewesen, die ihm Geld zusteckten oder ein Abendbrot spendeten, er hätte wohl so geendet wie der österreichische Großmeister Karl Schlechter, der während einer Simultanvorstellung aus Mangel an Nahrung vor Erschöpfung zusammenbrach und kurz darauf verstarb. Nichtsdestotrotz konnte Sämisch der Nachwelt einige glanzvolle Partien hinterlassen. Im heutigen Rätsel der Sphinx gewann er mit den weißen Steinen dank einer reizvollen Opferkombination. Nun, Wanderer, ergründe, wie Sämisch trotz knurrenden Magens den Siegesweg fand!



SCHACH-SPHINX/05297: Aus der Asche der Zeitenströme (SB)

Sämisch - Engel
Brünn 1928

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der dänische Großmeister Bent Larsen hatte sich allzu sehr verfahren in seiner Partie gegen Pinter, der mit 1.Tg1xg6+! seinen Siegeszug machte. Larsen gab sofort auf, ohne sich die Folge 1...Kg8-f7 2.Tg6xf6+ nebst 3.Th1-h7+ oder 1...Tf6xg6 2.Dd4-h8+ Kg8-f7 3.Th1-h7+ Kf7-e6 4.Dh8-e5# zeigen zu lassen.


Erstveröffentlichung am 17. Dezember 2001

18. November 2014





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