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SCHACH-SPHINX/05329: Königsmaskeraden (SB)


Man muß den schwerwiegenden Widerspruch zwischen der larmoyanten Gangart des Königs und der seit der Renaissancezeit immens zugelegten Schrittweise der Dame in einen geschichtlichen Zusammenhang rücken, und schon klären sich selbst die vielschichtigsten Reibungsflächen. Doch erinnern wir uns zunächst einmal an die Schnitt- bzw. Umbruchstelle zwischen altem und neuem Schach. Hierzu der Historiker H. F. Massmann: "Da nun fällt jedem zunächst und vor allem auf, daß - wie das Schachspiel jetzt bei uns Abendländern gespielt wird, - ein Weib (die Königin) auf dem Schachfelde so keck, vorherrschend auftritt, eingreift, entscheidet, wie die Königinnen und Frauen Asiens nie gepflegt; während der König des Spieles so knapp berechtigt und so machtlos, untätig, schwerbeweglich, ja so schneckenhaft einherschreitet, und nur einmal im ganzen Spiele (wenn er mit dem Turme wechselt) zwei Schritte tut. Er ist und war freilich von vorn herein nicht der kühne, rasche Herr des Feldes oder der Feldherr; er ist eben der untätige, goldthronige Orientale, und stand als König schon in der frühesten Gestaltung des Spieles geschont und geschützt im Hintergrunde." Auch wenn letzteres so nicht unwidersprochen hingestellt werden darf, schließlich besaß der König bei der alten arabischen Spielweise durchaus eine nicht zu unterschätzende Schlagkraft, richtig ist, daß die alte Figur des Wesirs wesentlich bescheidener mit Befugnissen ausgestattet war als seine abendländische Nachfolgerin, die Dame. Nun muß man allerdings, einmal historisch betrachtet, berücksichtigen, daß die fast schon gottmächtige Position des mittelalterlichen Königtums in der Renaissance mehr und mehr am Bröckeln war, eher heimlich und intrigant ausgeübt wurde als mit dem Prunk der Verherrlichung. In dieser Verschleierung wahrer Machtverhältnisse muß auch die bewußte Vernächlässigung der Gewalt des Königs auf dem Brett gesehen werden. Der König war zwar immer noch das Zentrum und auch der wichtigste Eckpfeiler der feudalen Gesellschaft, seine Insignien jedoch warfen nicht mehr diesen weihräuchernden Schatten. Sie wirkten subtiler aus der Notwendigkeit heraus, daß alle Figuren austauschbar waren, nur nicht der König. Daß im selben Umkehrschluß der Angriff auf den Schach- und reellen König an Rigorosität zunahm, ist nicht als Widerspruch zu werten, sondern als dazugehörige Facette im neuen Kostüm spätmittelalterlicher Machtansprüche. Und so traf es in der Partie zwischen unseren Schachfreunden Lindner und Reinle nicht von ungefähr diejenige Majestät, die, auch im historischen Sinne, nicht demokratisch genug an der Machtverteilung involviert war. Im heutigen Rätsel der Sphinx, Wanderer, ist der weiße König der veraltete.



SCHACH-SPHINX/05329: Königsmaskeraden (SB)

Lindner - Reinle
Murau 1945

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Meister Persitz nutzte die Diagonal- und Liniengewalt seiner Stellung recht hübsch und konzertant aus, indem er mit 1.d6-d7+ Kb8-a8 den schwarzen König in ein latentes Grundreihenmatt hineinscheuchte und nach 2.Df3xf8!! Dd8xf8 3.Le5-c7! zu dem Damenkredit die Zinsen einstrich. Die Umwandlung des weißen Freibauern war nicht aufzuhalten, und da 3...Sd5xc7 4.d7-d8D+ Df8xd8 5.Td2xd8# nicht angängig war, ging der Punkt an Meister Persitz.


Erstveröffentlichung am 16. Januar 2002

20. Dezember 2014





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