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SCHACH-SPHINX/05367: Mit den Augen der Vernunftphilosophie (SB)


Auf der Suche nach Erklärungen für die Regungen unseres Innenlebens haben sich in der Geschichte der Menschen drei Geistesdisziplinen hervorgetan, nämlich als älteste die Religion mit dem Modell der Sündensklaverei, dann die Philosophie mit ihrem Konzept von der Entfaltung der Erkenntniskräfte und zuletzt die Psychologie, die die gesellschaftlichen Erscheinungsbilder für den Heranbildungsprozeß der Persönlichkeit untersucht. Interessant ist in diesem Zusammenhang das philosophische Denkmodell hinsichtlich des Empfindens des Menschen für Schönheit. Vor allem darf man es in diesem Sinne nicht versäumen, bei Emanuell Kant und seiner 'Kritik der Urteilskraft' anzuklopfen. Wir hören also dem Fachgelehrten: "Es gibt zweierlei Arten von Schönheit: freie Schönheit, oder die bloß anhängende Schönheit. Die erstere setzt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegenstand sein soll; die zweite setzt einen solchen und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach demselben voraus. Die Arten der ersteren heißen (für sich bestehende) Schönheiten dieses oder jenes Dinges; die andere wird als einem Begriffe anhängend (bedingte Schönheit), Objekten, die unter dem Begriffe eines besonderen Zweckes stehen, beigelegt. [...] In der Beurteilung einer freien Schönheit (der bloßen Form nach) ist das Geschmacksurteil rein. Es ist kein Begriff von irgendeinem Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objekte dienen, und was dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt, wodurch die Freiheit der Einbildungskraft, die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt werden würde. Allein die Schönheit eines Menschen (und unter dieser Art die eines Mannes, oder Weibes, oder Kindes), die Schönheit eines Pferdes, eines Gebäudes (als Kirche, Palast, Arsenal oder Gartenhaus) setzt einen Begriff vom Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding sein soll, mithin einen Begriff seiner Vollkommenheit; und ist also bloß adhärierende Schönheit. [...] Nun ist das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge in Beziehung auf den inneren Zweck, der seine Möglichkeit bestimmt, ein auf einem Begriffe gegründetes Wohlgefallen; das an der Schönheit aber ist ein solches, welches keinen Begriff voraussetzt, sondern mit der Vorstellung, wodurch der Gegenstand gegeben (nicht wodurch er gedacht) wird, unmittelbar verbunden ist." Geschickt umsegelt Kant die Klippen der Unfreiheit, indem er seiner Umwelt einzureden versucht, daß ein Schönheitssinn, durch die Urteilsgewalt der Zweckbindungen unterjocht, dennoch seine volle Berechtigung hat, 'schön' genannt zu werden. Ein simpler Selbstbetrug, zumal Kants Vorstellung einer zweck-losen Schönheit der Beigeschmack eines Barbarentums oder einer mehr oder weniger primitiv-unkultivierten Ausdrucksweise menschlichen Instinktes anhaftet. Notwendig frei - die klassische Formel aller Vernunftphilosophen -, heißt das nicht auch Geborgenheit der Fessel, die Freuden der Qual und Erfüllung im Schmerz? Schön ist also nur, wenn ein Ding notwendig seinen Zweck erfüllt. Was soll da noch die Ausrede von einer 'freien Schönheit'? Auch im Schachspiel plagt man sich zuweilen mit dieser Frage herum. Der Ex-Weltmeister José Capablanca fand darauf im heutigen Rätsel der Sphinx mit den schwarzen Steinen am Zuge eine sinnvolle Antwort, Wanderer, als er in der Diagrammstellung den einzigen zum Remis führenden Weg fand - und es war schön!



SCHACH-SPHINX/05367: Mit den Augen der Vernunftphilosophie (SB)

Flohr - Capablanca
Moskau 1935

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Aufgescheucht von den beiden Möglichkeiten, wählte Meister Kovatly prompt die Falsche, zog 1...Kh7-h8? und mußte nach 2.g4-g5 Tb4-b6 3.Td7-d8+ Kh8-h7 4.Td8-a8 aufgeben, da der schwarze Turm wegen der Mattdrohung, zur Initiativlosigkeit verdammt, den Freibauern nicht retten konnte. Schade drum, denn nach 1...Kh7-g8! 2.Td7-d8+ Kg8-h7 3.Td8-a8 - 3.g4-g5 Tb4-h4+! und Patt - Tb4-b2 wäre die Partie wegen der fehlenden Mattdrohung Remis gegangen.


Erstveröffentlichung am 21. Februar 2002

27. Januar 2015





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