Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/05398: Philister und Biedermann (SB)


Oft, wenn neue Schachgedanken das Bewußtsein der Meister bestürmen, ist die erste Reaktion Abwehr. Man versteht das Neumodische zunächst nicht, und da Schachspieler in ihrem tiefsten Wesen durch und durch konservativ sind, neigen sie leicht dazu, Neues zu verwerfen, statt es gründlich in Augenschein zu nehmen. Die Reaktionen sind um so heftiger, je umstürzlerischer sich die neuen Gedanken ausnehmen. Im Grunde genommen müssen sie nicht einmal wirklich Revolutionäres bieten. Allein der Umstand, daß bestimmte Facetten und Schwerpunkte konventioneller Betrachtungen angekratzt werden, kann genügen, daß der Schachphilister zum Biedermann wird. Jedenfalls traf die Hypermoderne Schule, die in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Runde durch die Turnierhallen machte, auf ebendiesen Unverstand. Einer ihrer wortgewandtesten Protagonisten, nämlich der österreichische Meister S.G. Tartakower, formulierte eine gewürzte Philippika gegen die Anfeindungen seitens einiger bornierter Meister: "Mag daher auch der weltgereister Meister Kostitsch die neue Schachrichtung als 'Bluff' bezeichnen, nichtsdestoweniger pflegt er sich alle Evolutionen und Zusammenhänge dieses Bluffs in seinem Notizbuche fleißig zu notieren und dieselben als etwas wirklich Vorhandenes, kraftvoll Gestaltendes, vielseitig Aufrüttelndes zu studieren! - Da wäre schon der Ausspruch des seligen Teichmann viel zutreffender, der auf einige Ausführungen Réti's im Jahre 1923 mit dem ihm eigenen knorrigen Humor erwiderte: 'Erstens existiert die hypermoderne Schule gar nicht und zweitens stammt sie von Nimzowitsch!' Dies zur Klarstellung des Schachverhaltes, dessen richtige Beurteilung jedenfalls nicht darin bestehen kann, daß man einen nutzlosen Nominalistenstreit vom Zaune bricht, ob man nämlich den Neu-Romantismus als Schule oder nur als Moderichtung bezeichnen darf." So scharf wie seine Zunge war zuweilen auch sein Schachstil. Im heutigen Rätsel der Sphinx war es sein Kontrahent Lowcki, der dies am eigenen Leibe fühlen mußte. Tartakower hatte mit den schwarzen Steinen nunmehr 1...Sf7-g5 2.Th3-h4 Df4xf5 gespielt. Nun unternahm Lowcki den recht wagemutigen Springerausfall 3.Se4xd6? und verlor nach wenigen forcierten Zügen. Kannst du den Sieg der Hypermodernen Schule in dieser Partie nachweisen, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05398: Philister und Biedermann (SB)

Lowcki - Tartakower
Jurata 1937

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Richard Réti, ein weiterer Wegbereiter der Hypermodernen Schule, drohte beim New Yorker Turnier von 1924 nach seinem letzten Zug 1.Ta1- f1 nichts weniger als ein Matt. Sein Kontrahent Efim Boguljubow stand nun an einem schlimmen Scheideweg. Der Damenzug 1...Dc7-e7 hätte wegen der Folge 2.Lh5-f7+ Kg8-h8 3.Lf7-d5! De7-f6 4.Df5-c8 nichts genützt. Also entschied er sich für 1...Td4-d8, aber nach 2.Lh5-f7+ Kg8-h8 3.Lf7-e8!! konnte Réti verdientermaßen einen Schönheitspreis erringen.


Erstveröffentlichung am 23. März 2002

27. Februar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang