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SCHACH-SPHINX/05448: Pedantisches Beharren (SB)


Unter Pedanterie versteht man eine ins Fanatische getriebene Form der Ordnungsliebe, wie beispielsweise das Festhalten an starren Verhaltensschemata, mit deren Hilfe ein bestimmter Zweck oder Erfolg wiederholt werden soll. Weit verbreitet ist diese Neigung unter Menschen, die latent oder offen abergläubischen Vorstellungen nachhängen. Daß man ausgerechnet unter Wissenschaftlern und auch Schachmeistern auf solche Beharrungsmerkmale stößt, mag zunächst Verwunderung erweckten, doch bei einiger Beobachtung wird der Mechanismus leicht verständlich. Bei Wissenschaftlern ist es die Fixierung auf Naturgesetze, wodurch der Ordnungsgedanke heiliggesprochen wird. Bei Schachspielern hingegen begründet sich die Annahme, durch ein wiederkehrendes Verhalten einen Dauererfolg sicherstellen zu können, aus dem Umstand, daß in ihrem Denken feste Leitbilder in Form spezifischer Eröffnungen und Schrittfolgen immer wieder auftauchen. So liegt es nahe, daß diese kontinuierlichen Denkmodelle auch aufs Alltagsverhalten abfärben. So wechselte der ehemalige Schachweltmeister Michail Botwinnik rigoros seine Socken nicht, wenn er gerade eine Siegesserie hatte. Verlor er jedoch, so zog er sich umgehend neue Strümpfe an. Das allein genügte allerdings nicht. Seinem Ordnungsdenken zufolge mußte er eine neue Variable in sein Handeln einfügen. Zum Wechseln der Socken gehörte daher auch das Wechseln der Sockenfarbe. Diesem Verhalten blieb er bis zu seinem Tode treu, und immerhin hatte Botwinnik den Beruf des Ingenieurs erlernt und war nebenbei auch auf dem Gebiet der Computertechnologie tätig. Ordnungsliebe, Ordnungswahn - der graduelle Unterschied ist nur eine Frage gesellschaftlicher Auffälligkeit. Im heutigen Rätsel der Sphinx hoffte nun Meister Onischuk mit einem Remis davonkommen zu können, als er seine schwarzen Figuren in einer ähnlichen Formation zu den weißen aufstellte. Sein Kontrahent Illescas war hingegen ein Chaotiker - er zerstörte den schönen Regellauf der Ordnung. Mit welcher Kombination, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05448: Pedantisches Beharren (SB)

Illescas - Onischuk
Wijk aan Zee 1997

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Meister Norwood begriff schnell, daß der Sieg ihm gehörte, wenn er den schwarzen Fianchettoläufer ins Freie lockte. Also opferte er mit 1.Td1xd4! die Qualität und leitete nach 1...Lg7xd4 umgehend einen Königsangriff ein: 2.Se4-f6+ Ld4xf6 3.Dh3-h7+ Kg8-f8 4.g5xf6 Db7xd5+ - eitles Racheschach - 5.Kg2-g1 und Schwarz gab auf, da er gegen die zahlreichen Drohungen nicht mehr gegenankam.


Erstveröffentlichung am 09. Mai 2002

18. April 2015


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