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SCHACH-SPHINX/05483: Gehässige Maskerade? (SB)


Der Typ von Schachspieler, der bei jedem Zug grinst, in jedem Grübchen Sarkasmas ausschwitzt, dessen Stirn vor Erhabenheit glänzt - wer ist ihm nicht mindestens einmal in seiner Turnierlaufbahn begegnet? Sein Händedruck ist wie eine Beileidsbezeugung, sein Gruß klingt nach Grabrede, sein Gebärdenspiel drückt Unnahbarkeit aus - möchte man nicht einem solchen Gegenspieler wenigstens ein Matt in 13 Zügen ankündigten? "Psychologisches Instrumentarium", sagt Garry Kasparow zu dieser Partie außerhalb des Brettes. Doch wozu dient diese gehässige Maskerade? Soll der Gegner erzürnt und aus der Reserve hervorgelockt werden? Oder begegnet man hier nur einer ganz alltäglichen Spielart der Arroganz? Sicherlich gibt es auch unter den Schachspielern Charaktere von gallenbitterem Geschmack, denen nichts heiliger ist, als ihre Mitmenschen durch unaufhörliches Possenreißen zur Weißglut zu bringen. Solch ein Verhalten hat jedoch durchaus einen psychologischen Hintergrund. Gedanken sind nicht das Privateigentum eines Menschen. Wie ein verräterischer Schatten umschwirren sie zuweilen das Gesicht. Die wenigsten Menschen können ihre Gefühle faktisch verbergen. Regungen von feinstem Äther entweichen immer wieder. Furcht, Siegeszuversicht, Ärger - all das, was uns zu Menschen macht, das ist die 33. Figur im Schachspiel. Und um dies zu tarnen, legt sich jeder ein zweites Gesicht zu; bei dem einen gleicht einer Grimasse, was beim anderen ein menschenfreundliches Lächeln ist. Pokergesichter sind die Seltenheit. Der Obermedizinalrat Dr. Ludwig Herrmann, Gatte der mehrfachen DDR-Frauenmeisterin Edith Keller, hatte sich den Anschein ernster Gedankenverlorenheit als Tarnung gewählt, um seine wahren Absichten zu verbergen. Leider war ihm in seiner Partie gegen den DDR- Meister Rudolf Elstner mit den weißen Steinen vor lauter Versteckspielerei eine kurz und bündig zum Sieg führende Kombination entgangen. In der Diagrammstellung spielte er das langwierig gewinnende 1.Sg3-h5+ g6xh5 2.Te2xe6 f7-f6. Wie hätte er im heutigen Rätsel der Sphinx den Sieg forcieren können, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05483: Gehässige Maskerade? (SB)

Herrmann - Elstner
Binz 1950

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Berthold Lasker, der Bruder des Weltmeisters Emanuel Lasker, fand einen recht amüsanten Abschluß, als er 1.Le5-d6! zog. Mit dem Läuferzug trieb er einen Pflock zwischen Turm und Dame. Auf 1...De6xb3 wäre nun Matt durch 2.Tf1-f8# gefolgt, und da auch 1...Tc6xd6 unweigerlich wegen 2.Db3-b8+ zur Niederlage führte, gab sein Kontrahent Kagan sofort auf.


Erstveröffentlichung am 13. Juni 2002

23. Mai 2015


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