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SCHACH-SPHINX/05498: Eine kleine Teufelsgeschicht'... (SB)


In irgendeiner englischen Stube. Die Nacht frißt sich langsam durch die Abenddämmerung, erstickt das Treiben auf den Straßen. Bei Kerzenlicht sitzen zwei Männer an einem kleinen, runden Tisch. Der eine bärtig, mit Armen dick wie Ofenrohre, der andere ein schmächtiger Zwerg mit wieselflinken Augen, die über das Schachbrett huschen. Das ungleiche Paar spielt seit mehr als sechs Stunden an einer einzigen Partie. Die Hälfte der Figuren ist abgetauscht, steht am Brettrand, verloren, gleichgültig, schweigsam-tot wie die beiden, denn nicht ein Wort kommt über ihre Lippen, seit der Zwerg den ersten Zug am frühen Nachmittag ausgeführt hatte. Mit dem Königsbauern. Sein riesiger Gegner antwortete sizilianisch. Drachenaufbau. Die Kerze flackert unstet. Draußen fängt es an zu regnen. Ein gespenstisches Trommeln pocht gegen die Fensterscheiben. Es klingt wie 'matt, matt, matt ...' Der Schmächtige zieht die Schultern ein. Kalt wird ihm, innerlich und äußerlich. Sein Blick streift über die mächtigen Schultern seines Gegenübers hinweg. Fast scheint dessen Schatten die ganze Rückwand einzunehmen. Nach weiteren Stunden gedanklicher Qual schlägt die Wanduhr ein, zwei, drei - - - zwölfmal! Plötzlich erhebt sich der Riese. Sein Kopf stößt fast an die Zimerdecke. Nur knapp verfehlt er die Lampe. Beider Blicke durchbohren sich. Der Dicke sagt: "Es ist entschieden." Der Kleine erwidert nichts darauf. Er weiß auch so, was nun geschehen muß. Die Tür fällt dumpf ins Schloß. Er ist nun allein mit sich und seinem Schicksal. Am nächsten Morgen findet die Putzfrau den schmächtigen Körper - der Kopf liegt mit glasigen Augen neben dem Schachbrett. Er ist tot. Eine Zeile nur auf einem Abschiedspapier: "Ohne Seele kann kein Mensch weiterleben!" Diese kleine Geschichte aus der Feder eines Freundes wirft wohl einige Fragen auf. Wer war der Dicke mit den ofenrohrbreiten Armen, um was wurde gespielt, wozu, wieso. Jeder denke sich seinen Teil. Auch in der Partie zwischen dem Isländer Petursson und dem Dänen Antonsen schlug es plötzlich Zwölf. Welcher Geist trat mit dem nächsten Zug im heutigen Rätsel der Sphinx aus der Versenkung hervor, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05498: Eine kleine Teufelsgeschicht'... (SB)

Petursson - Antonsen
Kopenhagen 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die unsichere Lage des schwarzen Königs gab letztlich den Ausschlag, um aus dem Kortschnoj'schen Figurenopfer einen Gewinnweg zu schmieden. In der Diagrammstellung brachte er mit 1.Db5-e8! die schwarze Stellung ins Wanken. Da half auch nicht, daß Meister Lutz mit 1...Th5-d5 das Zerbrochene zu konsolidieren versuchte. Kortschnoj legte den Ring um die schwarze Majestät immer fester: 2.Td1-a1 Td5-d8 3.De8xf7+ Kc7-c6 4.Df7xa7 De4-c2 5.h2-h4 Dc2xb3 6.Kg1-h2 Lf8-d6 7.Ta1-c1 Db3-d5 8.Da7- a4+ Kc6-c7 9.Da4xb4 Kc7-c6 10.Db4-a4+ Kc6-c7 11.Da4-b5 Td8-h8 12.Tc1xc5+! Ld6xc5 13.Db5xc5+ und Lutz gab auf, nach dem großen Abtausch macht der weiße Freibauer das Rennen.


Erstveröffentlichung am 28. Juni 2002

07. Juni 2015


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