SCHACH-SPHINX/05508: Patronin der Zwietracht (SB)

Die Göttin des Schachspiels, hätte sie nicht ebensogut die Patronin der Zwietracht sein können? Legen wir einmal für einen Augenblick unsere hohe Meinung beiseite, die wir vom Königlichen Spiel haben. Natürlich ist das Schachspiel die Mutter aller Vernunftspiele! Und unbestritten ist auch, daß es den Charakter formt und die Einbildungskraft schärft! Aber betrachten wir das Spiel einmal unvoreingenommen. Ist es dann nicht so, daß sich Mensch und Mensch in unversöhnlicher Matt-Bosheit gegenübersitzen. Keiner weicht einen Deut zurück. Dem König an den Kragen, um mehr geht es anscheinend und auf den Punkt gebracht nicht, und die Kunstfertigkeit bestünde allenfalls darin, die strategischen Umwege kurzzuhalten und den taktischen Gewinnzug rasch ausfindig zu machen. Kriegerische Wurzeln durch und durch. Man mache sich da nichts vor, im zivilen Kleide ist Schach, so besehen, nur die Lehre der unversöhnlichen Feindschaft, wenngleich auf dem Brett abstrakt und salonfähig gemacht. Duelle, könnte man auch sagen, wurden früher mit dem Säbel in der Hand, heutzutage jedoch, dem Anschein nach friedfertiger, mit einem Läufer oder Turm zwischen den Fingern ausgetragen. Zwietracht säen, Böses ernten, Rache, Haß und Neid vermehren, Göttin, deine Tugenden gleichen kalten Messerschnitten! Verlassen wir nun jedoch diese dunkelgärende Anwandlung und kehren zum heutigen Rätsel der Sphinx zurück. Der russische Meister Khalifman hatte mit den weißen Steinen den holprigen Aufbau seines usbekischen Kontrahenten Serper arg in die Bredouille gebracht. Was fehlte, war der zündende Gedanke. Also, Wanderer, rasch an Feuer gedacht!

Khalifman - Serper
Sankt Petersburg 1994

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Schrecklich ist es, die Dame zu verlieren, es sei denn, man opfert sie um eines höheren Zweckes willen. Statt mit 1.Lc1-g5 ins remisliche Fahrwasser abzugleiten, hätte der russische Meister Josif Dorfman mit 1.Dd7xd8+! Tc8xd8 2.Td1xd8+ Df6xd8 3.Ta1-a8 Le5-b8 4.Lc1-f4 Dd8-d1+ 5.Lg2-f1 ein zum Sieg bequem ausreichendes materielles Übergewicht erzielen können.

Erstveröffentlichung am 08. Juli 2002

17. Juni 2015

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