Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/05650: Hinauf zu Adlerhöhen (SB)


Alexander Aljechins Flügel trugen ihn bis hinauf zu Adlerhöhen. Robuster Ehrgeiz, ein drahtiger Wille, der sich eher die Zähne ausbiß als das Stück Felsen, das er mit den Kiefern packte, loszulassen, eine verachtende Haltung allem Geringen, Wurm- und Erdhaften gegenüber, das waren Veranlagungen, die sein Titelkontrahent José Capablanca nicht in blassesten Farben aufweisen konnte. Aljechin war kombinationswütig wie Michail Tschigorin, besaß freilich ein ungleich präziseres Positionsgefühl. Mehr noch: Er war keiner Schule oder Denkrichtung verpflichtet. Dies vertrug sich nicht mit seinen Fittichen. Wer zur Sonne auffliegen will, darf sich durch keinen matten Glanz beirren lassen und muß skrupellos sein gegen alles Hergebrachte. Und ganz besonders gegen alles Stilbehaftete. Was sich in seinem Spiel ausdrückte war bedingungsloser Kampf. Nicht der philosophische Kampf, den Emanuel Lasker propagierte, nicht der Kampf des gesunden Menschenverstandes gegen die Schatten aus Unvernunft und Irrationalität, sondern ein Kampf, der diese Schwebe nicht kannte; denn alles, was schwebt, wird von der Erde heruntergezogen. Jacob Silbermann sagte über ihn: "Aljechin spielte jede Partie mit dem Feuereifer eines Debütanten, der sich bewähren will, und der Gewissenhaftigkeit eines Künstlers, der sein Werk als Vermächtnis an kommende Generationen empfindet." Das war nur die halbe Wahrheit. Im Grunde kümmerte sich Aljechin nicht um den Nachruhm. Ihn interessierte der brennende Augenblick mehr als die kalte Erinnerung. Er generalisierte nicht! Daß ein gerüttelt Maß an Überheblichkeit die Triebfeder seines Handelns und Begreifens war, dafür zahlte er den Preis an die irdische Form. Er lebte als Adler, starb aber nicht als Ikarus, sondern als Flamme; selbst im Tod noch ein Mysterium schaffend! Daß er trotz alledem nicht unfehlbar war, das Geniale, das er immer erstrebte, zuweilen auch verpaßte, machte sein Menschsein aus, war die Hülle, die er nie überwand. Beim AVRO-Turnier entglitt ihm gegen den jungen Paul Keres ein blitzheller Sieg. Im heutigen Rätsel der Sphinx, es war die Abbruchstellung der Partie, gab er 1.Dd3- g6+? ins Kuvert. Nach Wiederaufnahme des Spiels einigten sich beide Kontrahenten nach 1...Kf7-f8 2.Dg6-h7 Kf8-f7 aufs Remis. Erst später fand Meister Judowitsch den schillernden Gewinnweg. Also, Wanderer, irren ist menschlich, was übersah Alexander Aljechin?



SCHACH-SPHINX/05650: Hinauf zu Adlerhöhen (SB)

Aljechin - Keres
AVRO-Turnier 1938

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Liwschitz' Dame war eine Herumtreiberin, zigeunerisch veranlagt, und so drohte sie mit 1.Dh5-h6, wich nach 1...Kf7-g8 geschickt zur scheinbaren Flucht nach 2.Dh6-e3! aus und konterte nach 2...Ta8-c8 mit aller Tücke durch 3.De3-b3+ Dc7-c4 4.Td1-d8+! Sg6-f8 5.Db3-g3+ Kg8-f7 6.Dg3-g7+ Kf7-e6 7.Dg7-e7#


Erstveröffentlichung am 25. November 2002

06. November 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang