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SCHACH-SPHINX/05796: Ehre ist ein Kalkül (SB)


Es gibt unausgesprochene Rivalitäten, die brennen die tiefsten Wunden in die Seele, vernarben nicht und schwelen noch unter der Oberfläche weiter. Und dann gibt es Menschen, für die jede Partie ein Kampf um Ehre ist, als würde ein nicht wiedergutzumachender Gesichtsverlust drohen. Jeder Mensch reagiert anders auf eine Niederlage. Das hängt davon ab, wieviel Gewicht er in sie legt. Lehrreichen Wert haben Fehler nur für den, der sich seiner eigenen Unzulänglichkeit nicht schämt. Nicht, daß er sie zu einem Profil verdichtet, sondern vielmehr sind sie ihm die konkreteste Linie zu einem Sieg, der jenseits von Partie und Brett errungen wird. Solch eine Meisterschaft des Charakters erwerben sich jedoch die wenigsten Meister. Bei vielen bliebt das Infantile im Gemüt vorherrschend. Das ewige, scheinbar unbewältigbare Konkurrenzdenken überschattet dann jenes Spiel, das wir königlich nennen. Sein Adel rührt allerdings nicht von der Zahl der Siege her, etwas, das gerne und beflissentlich übersehen wird. Wie anders ist es zu erklären, daß, nur um ein Beispiel anzuführen, der jugoslawische Meister Ivkov beim Interzonenturnier 1970 in Palma de Mallorca nach seiner Niederlage gegen den Amerikaner Samuel Reshevsky die Figuren auf den Boden warf und wie die verletzte Eitelkeit in Person zornschnaubend aus dem Saal rannte? Der Hintergrund, daß er sich wochenlang abgeplackert hatte, daß ihm in seiner Verzweiflung alle Mühe wie vergeblicher Tand vorkam, zählt nicht. Irren mag menschlich sein, aber die Ehre ist ein Kalkül. Sie hält den anderen für minder wert; und das erst macht die Niederlage auf dem Brett zu einer persönlichen Kränkung. Da zeigte sich Meister Eckart wesentlich kulanter und umgänglicher, trotzdem er im heutigen Rätsel der Sphinx mit seinem letzten Zug 1.Ld2-g5? gewissermaßen das Matt zur Haustür hereingelassen hatte, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05796: Ehre ist ein Kalkül (SB)

Eckart - Tarrasch
Nürnberg 1888

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Das wundersame Remis entblätterte sich mit 1.f5xg6!, trotzdem Mieses mit 1...Sb5-c3+ drohte und diesen Zug auch ausführte. Allein, Meister Walbrodt hatte die goldrichtige Parade zur Hand: 2.Dd2xc3! b4xc3 3.Sh4- f5+ Kg7-g8 - 3...Kg7-h8? 4.g6-g7+ nebst 5.Sf5-h6# - 4.Sf5-e7+ Kg8-g7 5.Se7-f5+ und Remis. Wie schön die Kombination war, läßt sich daran ersehen, daß 1...h7xg6? zum Untergang geführt hätte: 2.Tg1xg6+ Kg7-f7 3.Dd2-h6 Sb5-c3+ 4.b2xc3 b4xc3+ 5.Kb1-a1 Kf7-e8 6.Tg6xf6! Tf8xf6 7.Dh6xf6 Da5-b6 8.Df6-e6+ Ke8-d8 9.De6-b3 und Weiß besitzt gewinnbringenden Vorteil. Ganz schlecht wäre dagegen 1...f6-f5? gewesen wegen 2.g6xh7+ Kg7-f7 3.Dd2-h6 Sb5-c3+ 4.b2xc3 b4xc3+ 5.Kb1-a1 und Schwarz kann dem Matt nicht entrinnen.


Erstveröffentlichung am 19. April 2003

04. April 2016


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