Efim Bogoljubow und Alexander Aljechin waren ein Gegensatzpaar, das ungleicher nicht hätte sein können, einer des anderen Zerrbild, und das, obwohl Großmütterchen Rußland beide hervorgebracht hatte. Aber während Aljechin nach Frankreich emigrierte, schlug es Bogoljubow nach Deutschland, zum alten Erbfeinde hin. Und war Aljechin von der Idee des Schachspiels nahezu besessen, das von Leidenschaft nicht mehr die Rede sein konnte, so war eine unbeschwerte Fröhlichkeit die bestechendste Charaktereigenschaft an Bogoljubow. Er nahm das Leben mit beiden Händen, liebte die gesellige Runde, aß und trank nach Herzenslust und scherte sich wenig um kleinliche Moral- und Sittenvorstellungen. Auch Aljechin war ein Faß ohne Boden, wenn er zur Flasche griff, und nicht selten erschien er am Brett mit geröteten Augen und schwankendem Gang. Da war Bogoljubow robuster im Nehmen. Mit seiner fülligen Gestalt federte er die Unwuchten der Trunkenheit bequem ab. Dennoch war er nicht robust genug, um Aljechin die Schachkrone abzunehmen. In einem längeren Match gaben Aljechins Biß und Besessenheit immer den Ausschlag. In seiner Ausdauer war er so hartnäckig, daß er einmal in einer durch und durch verlorenen Partie gegen Bogoljubow zum Verrecken nicht daran dachte, aufzustehen und sich geschlagen zu geben. Bogoljubow knurrte schließlich zum Weltmeister herüber: "Sie haben zwei Möglichkeiten: entweder aufzugeben oder das Publikum zu unterhalten." Aljechin fiel es sichtlich schwer, von der ersten Möglichkeit Gebrauch zu machen, aber gänzlich zum Narren machen wollte er sich vor den Zuschauern und anwesenden Meistern auch nicht. Daß Aljechins Gegenwart mitunter magisch und verhexend wirken konnte, bewies die Partie gegen Géza Maróczy aus dem Turnier in Bled 1931 im heutigen Rätsel der Sphinx. In der Diagrammstellung schnappte sich der Ungar den vergifteten Läufer mit 1...Td4xd3?, mußte sich aber nach 2.f5-f6+ sofort geschlagen geben wegen 2...Ke7-d8 3.Dh8xe8+ Kd8xe8 4.Tc1-c8# bzw. 2...Sd7xf6 3.Dh8xf6+ Ke7-d7 4.Sh7-f8# Aber eine gründliche Analyse förderte den schwarzen Rettungsweg schließlich zutage. Also, Wanderer, was hätte Maróczy wohl gespielt, wenn ihn Aljechins beherrschender Blick nicht eingeschüchtert hätte?
Aljechin - Maróczy
Bled 1931
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Nimzowitschs gefräßiger Hunger nach Zentrumsbauern wurde ihm gegen
Aljechin zum Verhängnis, und als er sich schließlich wider seinem
eigenen Lehrsystem am unbedeutenden g-Bauern vergriff, war Aljechins
Weg zum Sieg weder steinig noch unbequem: 1...Lc6xg2 2.Th1-e1 Lg2-e4
3.Le2-h5 Sf6xh5 4.Td1-d8+ Ke8-f7 5.Dh4xh5 und Schwarz gab auf. Nicht
zu früh und nicht zu spät, denn nach 5...Kf7-g7 hätte 6.Sc3xe4 f5xe4
7.Lg5-h6+ und nach 5...De5-g7 6.Sc3xe4 f5xe4 7.Te1-f1+ die Partie
entschieden.
Erstveröffentlichung am 21. April 2003
06. April 2016
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