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SCHACH-SPHINX/06183: Ein subversiv erscheinendes Büchlein (SB)


Wer viel auf Reisen ist, setzt sich großen Gefahren aus, und insbesondere Schachspieler sind davon betroffen. Heutzutage braucht man zwar nicht so sehr Angst vor Wegelagerern und Strauchdieben zu haben, doch ein Besuch in der Sowjetunion konnte durchaus zu unangenehmen Erfahrungen führen. Max Euwe war 1948 nach Moskau gereist, um an der von der FIDE nach Alexander Aljechins Tod organisierten Weltmeisterschaft teilzunehmen. Die Wogen des Krieges hatten sich zum Teil gelegt, doch der schwelende Kalte Krieg ließ das Mißtrauen gegen Spionageversuche neu aufflammen. So wurde Euwes Gepäck an der polnisch-sowjetischen Grenze penibelst durchsucht. Waffen fand man natürlich keine bei ihm, aber ein Büchlein mit sonderbaren Notizen und Symbolen erregte dann doch den Verdacht der Grenzwächter. Offenbar war unter ihnen kein Schachfreund, dem so hätte man leicht das Mißverständnis aufklären können. Ins geheimnisvolle, subversiv erscheinende Büchchen hatte Euwe nämlich lange Eröffnungsvarianten niedergeschrieben. Alle Aufklärungsversuche stießen auf taube Ohren. Euwe durfte zwar weiterreisen, aber ohne die "Geheimdokumente". Erst die Vermittlung von Michael Botwinnik, der in Moskau später die FIDE- Krone gewann, konnte die Aushändigung der Notizen erwirken. Vielleicht waren die Grenzstrapazen schuld daran gewesen, daß Euwe in Moskau zum Teil deutlich unter Niveau spielte. Im heutigen Rätsel der Sphinx verlor er gegen Samuel Reshevsky, ohne während der Partie jemals Gegenchancen gehabt zu haben. Mit nunmehr 1.f3xe4 f5xe4 2.Tc2-f2 hoffte Euwe auf ein Spiel in der f-Linie, was Reshevsky jedoch leicht vereiteln konnte, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/06183: Ein subversiv erscheinendes Büchlein (SB)

Euwe - Reshevsky
Moskau 1948

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die Folgen von 1.Dd2-h6 waren in der Tat schwer vorauszusehen gewesen. Offenbar hatte del Corral nur mit 1...Le7-c5! 2.Dh6xf6 c4xb3 3.a2xb3 Te8-f8 gerechnet, so daß er mit 4.Df6-e6+ Dc7-f7 5.Tg4xg7+! Kg8xg7 6.De6xe5+ Kg7-g6 7.De5xc5 dank der gefährdeten Lage des schwarzen Königs hervorragende Angriffschancen behielte. Allein Kortschnoj hatte noch einen Trumpf im Ärmel. Nach 3...Te8-e7!! 4.Df6-g5 Ta8-f8 5.Td1-f1 Dc7-d7! erwachte die schwarze Stellung und drohte bei 6.g2-g3 Lc5xf2+! 7.Tf1xf2 Dd7-d1+ 8.Kg1-g2 Tf8xf2+ 9.Kg2xf2 Te7-f7+ oder 6.h2-h3 Tf8xf2! 7.Tf1xf2 Dd7-d1+ 8.Kg1-h2 Lc5xf2 sowie 6.Lb2xe5? Lc5xf2+ 7.Kg1- h1 Te7xe5! blitzartig zu gewinnen. Auch die von del Corall gewählte Fortsetzung 6.Tg4-c4 konnte den schwarzen Angriff nicht mehr bändigen: 6...Lc5xf2+ 7.Kg1-h1 Te7-f7! 8.Dg5-h5 Dd7-d2 9.Tc4xc6 - eine letzte listige Falle, falls nun 9...Lf2-d4 so behielte Weiß nach 10.Dh5xf7+! Tf8xf7 11.Tc6-c8+ noch die Oberhand - 9...Lf2-b6! und Weiß gab auf, da er nun nach 10.Dh5xf7+ Tf8xf7 11.Tc6-c8+ Lb6-d8 am Ende gewesen wäre, sonst jedoch keinen besseren Zug zur Abwehr des vernichtenden schwarzen Angriffs besaß.


Erstveröffentlichung am 03. Mai 2004

27. April 2017


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