Turnierschach und wissenschaftliches Schach gehen nicht immer denselben Weg. Das Turnier favorisiert den Sieger, erkennt nur volle Punkte an und hat sonst nur eine geringe Meinung von künstlerischen Ambitionen. Der Sport hängt die Meßlatte des Erfolges fest. Ein anderes Parameter ist ihm fremd. Anders ein Schach, das sich auf eine wissenschaftliche Basis stellt. Hier wird nicht der Fanfarenzug des Sieges gefeiert, sondern das Problem der Entfaltung der Stellungsbilder, ihr dynamischer Impuls und die Richtung der Figurenkräfte in aller Gründlichkeit durchleutet. Das Fernschach ist solch ein Mittel zur Wissenschaftlichkeit oder kann es sein, sofern der Spieler sich diesem Studium verschreibt. Dann wird er Abstand nehmen vom schnöden Eifer nach der Blindheit des Erfolgs und seine Frage in einem weitaus nüchterneren und auch höheren Anspruch stellen. Hermann Heemsoth ist zeit seines Lebens diesen Weg gegangen. Ihn interessierten nicht Titel und Placierungen. Heemsoth war ein Handwerker des Wissens. Nie genügte es ihm, Partien lediglich zu gewinnen, er wollte stets einen Blick in das Innere einer Stellung werfen, wollte die Kräfte verstehen, die Kausalität und Zufall trennen wie verfeindete Lager. Zufall war ihm auch ein Sieg, der sich auf einen Fehler des Kontrahenten stützte. Solche Ergebnisse hatten keinen Wert. Sie waren Beiwerk, ein unbedeutender Stein am Wegrand. Nie verwechselte er jedoch das Wesentliche mit dem Wahrscheinlichen. Im heutigen Rätsel der Sphinx wandte der 1919 in Bremen geborene Fernschachmeister die Bremer Partie an, und sein wissenschaftlicher Forscherdrang verhalf ihm dabei zu wichtigen Erkenntnissen. Sein sowjetischer Kontrahent Simagin ging nicht mit derselben Strenge an die Stellungsprobleme heran, und so kostete ihm sein letzter Zug 1...Db7-d7? Material, Wanderer.
Heemsoth - Simagin
Länderkampf 1957
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Nach dem Springerzug 1.Se4-g5 wäre die schwarze Stellung sofort
zertrümmert worden, wenn Karpow nicht als Ausrede 1...De8xe1+ zur Hand
gehabt hätte. Um dem Schach vorzubeugen, spielte Kasparow daher 1.Kg1-
h2!! und die Widerstandskraft der schwarze Stellung erlahmte. Karpow
verteidigte sich noch fintenreich mit 1...De8-e5 2.Se4-g5 De5-f6 3.Te1-
e8 Lc8-f5, doch nur solange, bis Kasparow mit 4.Dh4xh6+!! das fehlende
i-Tüpfelchen setzte: 4...Df6xh6 5.Sg5-f7+ Kh8-h7 6.Lb1xf5+ Dh6-g6
7.Lf5xg6+ Kh7-g7 8.Te8xa8 Lf8-e7 9.Ta8-b8 a6-a5 10.Lg6-e4+ Kg7xf7
11.Le4xd5 und Karpow gab sich geschlagen, da er nach 11...Sb4xd5
12.Tb8xb2 seines letzten Stolzes beraubt worden wäre.
Erstveröffentlichung am 4. November 2004
30. Oktober 2017
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