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SCHACH-SPHINX/06521: Schicksalswende in St. Petersburg (SB)


Die Welt war im ausgehenden 19. Jahrhundert noch groß und die Zahl der Turniere daher vergleichsweise gering, so daß zum Messen der meisterlichen Kräfte nicht viel Gelegenheit bestand. Aussagen über die Stärke und den Meistergrad eines Spielers waren ungenau und oftmals nur geschätzt, und deshalb verwundert es nicht, daß der Titel des Weltmeisters weniger sattelfest war und nicht immer die überzeugende Meinung der Schachwelt teilte. Schließlich durften sich die Weltmeister seinerzeit ihre Herausforderer mehr oder weniger aussuchen. Trafen die weltbesten Spieler in einem Turnier dann zusammen, tauchte auf immer die Frage auf, ob der amtierende Champion seinen Titel zu Recht trug. Das Turnier in St. Petersburg 1896 war solch ein Ereignis von epochaler Bedeutung. Die profiliertesten Meister jener Zeit waren eingeladen worden, Emanuel Lasker, Wilhelm Steinitz, Harry Nelson Pillsbury, Michail Tschigorin und Siegbert Tarrasch, letzterer mußte allerdings wegen beruflicher Verpflichtungen kurzfristig absagen. Lasker, der zwei Jahre zuvor Steinitz den Titel entrissen hatte, stand unter dem Druck der Bewährung. Von ihm wurde erwartet, daß er das Turnier gewann, und zwar deutlich, andernfalls hätte sich die Schachwelt von ihm abgewandt und auf eine baldige Titelverteidigung gedrängt. Sein schärfster Konkurrent war der Amerikaner Pillsbury, ein Naturtalent, der im Weihnachtsturnier in Hastings 1895/96 in glänzender Manier von sich reden gemacht hatte. Jeder Spieler hatte sechs Partien gegen jeden anderen Teilnehmer zu spielen, und nach drei Runden führte Pillsbury das Klassement mit einem ganzen Zähler vor Lasker an. In der vierten Runde trafen beide aufeinander. Sein oder Nichtsein, so lautete in der Tat die Frage. Wer hier gewann, in der direkten Konfrontation, so weissagten viele, würde auch das Turnier gewinnen. Für Pillsbury war es die härteste Herausforderung seiner Schachkarriere, und er war ihr nicht gewachsen. Lasker zerschmetterte seinen Rivalen und holte sich den ersten Platz. Besonders tragisch im heutigen Rätsel der Sphinx war, daß Pillsbury in der Diagrammstellung nach beiderseitigen Fehlern mit 1.Kb2xa3?? den letzten, partieentscheidenden tat. Nach 1...Dc4-c3+ 2.Ka3-a4 b7-b5+! 3.Ka4xb5 Dc3-c4+ 4.Kb5-a5 Lf6-d8+ 5.De6-b6 Ld8xb6# war sein König Matt. Nun, Wanderer, gesetzt Pillsbury stünde noch einmal vor dem Problem, ob er den feinen Remisweg dann wohl finden würde?



SCHACH-SPHINX/06521: Schicksalswende in St. Petersburg (SB)

Pillsbury - Em. Lasker
St. Petersburg 1896

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Capablancas Endspielinstinkt verließ ihn auch zum Ende seiner Karriere nicht. In Moskau 1936 gehörte seine Partie gegen Kan zu den besten Endspielbehandlungen: 1...d6-d5! 2.b2-b3 c5-c4+ 3.b3xc4 b5xc4+ 4.Kd3- e3 Tf1-a1 - typisch für den Kubaner, daß er zunächst den weißen Freibauern beseitigt; er schloß jede Eventualität aus, gradlinig war 4...Tf1-f4 - 5.Ke3-f3 Ta1xa3 6.Kf3xg3 Ta3xc3+ 7.Kg3-h4 Tc3-c1 8.g2-g4 Tc1-h1+ 9.Kh4-g3 d5-d4 10.Te2-a2 d4-d3 11.Kg3-g2 Th1-e1 12.Kg2-f2 Te1xe4 13.Kf2-f3 und Weiß gab gleichzeitig auf.


Erstveröffentlichung am 4. April 2005

1. April 2018


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