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REZENSION/034: Frank Holzke - Von der Stellung zum Zug (SB)


Frank Holzke


Von der Stellung zum Zug

Lehrbuch für fortgeschrittene Spieler nach der "synthetischen" Methode




Buchcover: Von der Stellung zum Zug - © Joachim Beyer Verlag

Buchcover: © Joachim Beyer Verlag

Was die Selbstverständlichkeit im Schach im Besonderen ausmacht, ist, dass die Analyse das Wesenselement auf dem Brett bildet. Analyse bedeutet, den zu untersuchenden Stoff in seine Bestandteile aufzuspalten und aus der Bewertung der einzelnen Kriterien wieder auf die Gesamtstruktur zurückzuschließen, um eine Entscheidung zu treffen. Außerhalb dieses Koordinatensystems scheint es keine andere Methode zu geben.

Frank Holzke ist da anderer Meinung. In seinem Buch "Von der Stellung zum Zug" stellt er den Lesern die synthetische Methode vor, um eine brauchbare und anwendungsstarke Alternative zum Konstrukt der Analyse zu präsentieren. Holzke gibt selbst an, dass seine Methode keinen neuen Weg beschreitet, sondern im spezifischen Übertrag das grundlegende Problem im Königlichen Spiel, nämlich seinen nächsten Zug zu bestimmen, aus einer anderen Perspektive zu durchleuchten.

Tatsächlich haben schon die antiken Griechen diese Art von Denksystem aus losen Gedanken zusammengefädelt und es Philosophie genannt. Im Laufe der Jahrhunderte hat die junge Wissenschaft auf die Analyse zurückgegriffen, um ein Weltbild zu formen. In der Hilfswissenschaft der Mathematik gibt dieses System die Quintessenz vor.

Wäre der Übertrag auf das Schachspiel als gelungen zu bezeichnen, so hätten die Jünger Caissas in der Tat ein weiteres scharfes Instrument zur Hand, um die Geheimnisse in jeder Stellung zu lüften. Holzke verbreitet sein Konzept auf über 300 Seiten, um, nach seinen eigenen Worten, "richtig Schach zu spielen" (S. 8), ein Vorsatz, der die gesamte Turniergeschichte durchzieht. Theoretiker aller Couleur haben sich darin versucht, einen unbestrittenen und damit guten Zug zu finden, der die Stellung entwickelt und die Potentiale darin erhöht. In der Sprache spricht man von Dogmatik, als wäre alles andere dagegen falsch oder fehlerhaft.

Zwar wehrt sich der Autor gegen starre Regeln, weil deren Allgemeinwert an der Schwelle zum vertieften Verständnis steckenbleibt. Konfrontiert mit der essaygleichen Erörterung der Grundzüge der von Holzke als synthetische Methode dargestellten Gesamtschau auf das Stellungsgefüge muss sich der Leser ein wenig orientierungslos und verwirrt fühlen. Dass der Autor die aus der Nomenklatur bekannten Begriffe wie Tempo, Figurenentwicklung oder Bauernstruktur umbenennt und Termini wie Wirkungsgrad, innerer Wert und eine Zentrumsneusicht einführt, hilft nicht wirklich weiter.

Holzke bedient sich bei der Dokumentation fast ausschließlich eigener Partien und ihrer Nutzung zur inhaltlichen Tiefe. Merkwürdig nur, dass diese Darstellungsmethode nicht zufällig einer klassischen Analyse sehr ähnlich sieht. Mögen die Begriffe auch eine andere Sicht und Deutung versprechen, so kann es nicht ausbleiben, dass die Synthese eben aus differenzierten Teilen zusammengesetzt ist.

Nichts anderes begründet die Synthese, die immer schon auf die Analyse als Arbeitsmethode zurückgeschlossen hat, um so etwas wie eine Entscheidung herauszudestillieren. Analyse und Synthese bilden von alters her den Stufenplan, um kognitive Zugriffe und Weltbilder instandzusetzen.

Es ist trotz alledem schätzenswert, dass Holzke ein an den Rändern erweitertes Argumentationskonstrukt bereitstellt. Der Leser bekommt so tatsächlich sachbezogene Einblicke in eine Stellung. Das Kapitel "Die Chancenanalyse - subjektive Bewertung" ist ein beredtes Zeugnis davon. Doch die Philosophie in Gestalt einer Synthese wurde hier nicht neu erfunden und Möglichkeiten im Schach zur Zuganalyse nicht nachweislich verstärkt.

Hätte Holzke seinen Anspruch nüchterner verfasst und weniger von sprachakrobatischen Wolkenkuckucksheimen in der Art von Wert und zentraler Neusicht gesprochen, das Werk wäre im Verständnis griffiger gewesen. So jedoch muss jeder Leser zuerst einmal die von Holzke vorgestellten Parameter tief und gründlich hinterfragen. Wozu jedoch, so fragt man sich, dieser Umweg, wenn sich einfacher gestalten ließe, um was es dem Autor im Einzelnen ging - nämlich um die Geburt eines neuartigen Verständnisses.

Gerade das Kapitel "Lerne Eröffnungen richtig" klingt nach Marktreklame. Jahrzehnte einer in alle Richtungen betriebenen Eröffnungsinterpretation, ihrer Ideen und Systematiken, lassen sich nicht, gelinde gesagt, fingerschnippend aus der Balance bringen, um eine neue Richtung einzuschlagen. Der Masterplan muss ein Versprechen bleiben.

Wer Lust hat, sich auch intellektuell statt nur in der Nachahmung mit dem System Schach auseinanderzusetzen, der wird in diesem Buch nicht geschont und vielmehr zur Überprüfung der eigenen Denkvoraussetzungen angeregt. Und manchmal ist dies auch der notwendige Schritt, sein eigenes Spiel zu verbessern.

24. Januar 2025



Frank Holzke
Von der Stellung zum Zug
Lehrbuch für fortgeschrittene Spieler nach der "synthetischen"
Methode
Joachim Beyer Verlag 2023
309 Seiten, 34,80 EUR
ISBN 978-3-95920-191-9


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